Dieser Artikel erschien erstmals im November 2019.

Sind 60 Zentimeter Meeresanstieg eigentlich viel? Und wenn der Meeresspiegel im Zuge des Klimawandels gar um einen Meter steigt? Im Fall von Mallorca lautet die Antwort: Kommt darauf an. Flacher Strand oder Steilküste, Naturlandschaft oder Bebauung bis ans Meer - bei mehr als 550 Kilometern Küstenlänge ­fallen die Auswirkungen auf der Insel recht ­unterschiedlich aus.

Eine bis auf 25 Quadratmeter genaue Antwort kann Joan Bauzà geben. Dank Satellitenkarten und Vermessungsflügen des Spanischen Geografischen Instituts von 2014, bei denen die Höhe über dem Meeresspiegel mit Lasertechnik ermittelt wurde, liegen alle nötigen Daten vor. Der Geografiedozent an der Balearen-Universität verwendet diese Daten für Karten, die einen Blick in die Zukunft erlauben - oder zumindest Szenarien über die Folgen des Klimawandels auf Mallorca entwerfen. „Schon ein Anstieg von 60 Zentimetern verändert die Landschaft der Insel", sagt Bauzà.

Den Modellen liegen zwei Szenarien zugrunde, die auf dem UNO-Wissenschaftsbericht vom September dieses Jahres beruhen. Szenario eins: Werden die Kohlendioxid-Emissionen reduziert und steigt die Durchschnittstemperatur bis Ende des Jahrhunderts um weniger als zwei Grad, hebt sich der Meeresspiegel im Schnitt um 30 bis 60 Zentimeter. Nehmen die Emissionen dagegen weiter zu, ist in diesem zweiten Szenario mit einem Anstieg von 60 bis 110 Zentimetern zu rechnen. Die Flächen, die hierbei überflutet werden, markiert Bauzà mit Hellblau (Szenario eins) und Dunkelblau (Szenario zwei). Zusätzlich ist in Rot die Fläche eingezeichnet, die zwischen 110 und 210 Zentimeter über dem jetzigen Meeresspiegel liegt - diese Gebiete lägen künftig direkt am Wasser.

Im Fall der Playa de Palma, Mallorcas wichtigstem Tourismusgebiet, hätte ein solcher Anstieg gleich mehrere Folgen. Die offensichtlichste: Der Strand wird kleiner. Da jedoch das Gefälle an der Playa de Palma größer ausfällt als an anderen Stränden wie beispielsweise Cala Millor, würde mit rund 15 Metern „nur" ein Drittel des Strandes überschwemmt. Dort, wo es flacher ist, verschwänden größere Bereiche, so etwa der weitläufige Strand auf der Höhe von Can Pastilla oder auch der Strand direkt nördlich des Yachthafens von Arenal. Die dortigen Hafenanlagen müssten bei einem höheren Meeresspiegel ohnehin umgebaut werden.

Im Gegensatz zu Naturstränden kann der Verlust des Strandes auch schlecht ausgeglichen werden: Denn während sich die playas naturales dem höheren Meeresspiegel letztendlich anpassen und das Ökosystem nach und nach landeinwärts verlagert wird, gibt es bei den playas urbanas keinerlei Spielraum. Dort, wo an der Playa de Palma noch vor 50 Jahren Dünen verliefen und Kiefern wuchsen, stehen heute Hotels. „Der Strand schrumpft zwar nur etwas, aber er kann nicht landeinwärts ausweichen", so Bauzà.

Eine weitere Folge des höheren Meeresspiegels ist im Hinterland zu erkennen - hier dürfte die Playa de Palma von ihrer Vergangenheit eingeholt werden. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts befand sich hier ein Feuchtgebiet mit Lagunen, das trotz der fruchtbaren Böden zu nicht viel mehr als der Jagd taugte und für seine Mückenplagen bekannt war. Der holländische Ingenieur Paul Bouvy legte das nur knapp über dem Meeresspiegel liegende Hinterland im Jahr 1847 mit einem ausgeklügelten System von Entwässerungskanälen trocken. Nun wurden hier Getreide, Hanf und Gemüse angebaut, das nö­tige Wasser lieferten die Windmühlen. Das System ist in den vergangenen Jahrzehnten nicht mehr gewartet worden - abzulesen etwa an den Überschwemmungen im Pla de Sant Jordi Anfang 2017.

Der ansteigende Meeresspiegel würde wieder eine große Lagune entstehen lassen, eingeklemmt zwischen Palmas Airport und dem Ballermann. Die Landepisten von Son Sant Joan würden zwar auch im pessimistischen Szenario verschont. Doch der Airport müsste sich auf Probleme anderer Art einstellen: Eine Lagune wäre ein attraktiver Ort für Zugvögel, die sich hier niederlassen würden - und jede Menge ­Vogelschlag zur Folge haben könnten. „Das ist kein dramatisches Szenario, aber ein problematisches Miteinander", erklärt Bauzà. „Der Flughafen hätte einen neuen Nachbarn, der einiges an Ärger verspricht." Neben den Vögeln würden sich bei steigenden Temperaturen zudem die ­Insekten wohlfühlen - auch solche, die bislang nur in tropischen Breitengraden heimisch sind und Krankheiten wie Malaria verbreiten.

Der Geograf benötigt nur ein paar Klicks, um auf der Bildschirmkarte jedes beliebige Gebiet Mallorcas aufzurufen. Es ist fast wie eine Zeit­maschine: Mit einem Klick auf den Zeitstrahl ist dank historischer Satellitenbilder ein Blick in die Vergangenheit möglich. Und das eingeblendete Farbspektrum, das die künftigen Ausmaße des Meeres markiert, zeigt die Insel, wie sie im Jahr 2100 aussehen könnte: Die Salinen am Es Trenc stehen im Wasser, in Port d'Alcúdia reicht das Meer bis direkt vor die Hoteltüren, und die dortige Ciudad de los Lagos macht ihrem Namen wieder alle Ehre. Die Gegend wirkt auf der Karte ein bisschen wie Venedig.

Auch das nahe gelegene Feuchtgebiet Albu­fera würde sein Bild verändern, wenn das Salzwasser allmählich weiter vordringt. Doch letztendlich passe sich die Natur an und stelle sich auf eine Salzlagune ein, so Bauzà - dann gebe es beispielsweise eben mehr Flamingos. In den ­bebauten Gebieten dagegen werden hohe Investitionen in Schutzdämme und weitere Infrastrukturmaßnahmen nötig. Hier bedeuten auch wenige Zentimeter viele zusätzliche Euro.