Es gab kein Entrinnen vor der Überschwemmungskatastrophe im Inselosten am Abend des 9. Oktober 2018 mit seinen 13 Todesopfern. So lautet das Fazit einer ausführlichen Untersuchung der dramatischen Ereignisse, die Ende vergangener Woche mehrere Forscher der ­Balearen-Universität vorgestellt haben. Ins­gesamt wirkten neun Wissenschaftler an der Studie mit, die kürzlich in der Fachzeitschrift „Natural Hazards and Earth System Sciences" erschienen ist. Die Wissenschaftler analysierten zum einen die erwartbaren Niederschläge des fraglichen Tages auf Basis des Regenradars des spanischen Wetterdienstes Aemet, zum zweiten eine Simulation der Niederschläge nach der Katastrophe und zum dritten die ­Niederschlagsmenge, die am Ursprung der Sturzbäche in den Bergen der Serra de Llevant zusammengekommen war.

Das grundsätzliche Problem war laut den Forschern eine schwer vorherzusehende Regenmenge, die sehr konzentriert auf einem kleinen Gebiet niederging. Laut der Studie regnete es an jenem Abend innerhalb von nur sechs Stunden knapp 400 Liter pro Quadratmeter und damit das Dreifache von dem, was normalerweise im gesamten Monat Oktober vom Himmel kommt. Weiteres Problem: Diese Regenmenge fiel direkt über dem Ursprung der drei Sturzbäche Ses Planes, Canyamel und Sa Canova. Die Topografie vervielfachte dabei die Heftigkeit des Unwetters: Die knapp 500 Meter hohen Berge in der Serra de Llevant stoppten die Wolken ab, die gerade die Insel von Süden nach Norden überquerten und sich dann über Stunden an den Bergen nahe Sant Llorenç des Cardassar abregneten. Dazu kommt, dass das Bachbett am Beginn der drei Sturzbäche äußerst schmal sowie tief in den Berg geschnitten ist und zu Beginn eine große Steigung aufweist.

Ungebremste Flutwelle

Außerdem wächst in der Serra de Llevant wenig Vegetation auf den Bergen, die die Wassermassen stoppen oder zumindest verlangsamen hätte können. Die Flutwelle rauschte ­ungehindert und mit hoher Geschwindigkeit talwärts und erreichte laut den Forschern eine Geschwindigkeit von bis zu sieben Metern pro Sekunde. Anders ausgedrückt: Der torrente transportierte am Höhepunkt der Flutwelle eine Wassermenge von 300 Kubikmetern pro Sekunde. Das entspricht in etwa der durchschnittlichen Menge, die die Mosel an der ­Mündung in den Rhein bei Koblenz führt und übertrifft die Wassermenge des Mains in ­Frankfurt.

Die Zerstörungskraft war laut den Wissenschaftlern aber auch deswegen so hoch, weil in Überschwemmungsgebieten gebaut worden war. Deshalb helfe es nichts, wenn man Vorkehrungen gegen Hochwasser treffe, aber weiterhin Fehler bei der Raumplanung begehe, sagte Enrique Morán, einer der neun an der Studie beteiligten Forscher. Sant Llorenç ist da kein Einzelfall. Derzeit gibt es auf Mallorca zehn bebaute Gebiete, die bei Hochwasser akut gefährdet sind.

Die Studie beschäftigt sich auch mit der Verantwortung der staatlichen Wetterbehörde ­Aemet. Deren Leiterin María José Guerrero war nach dem Unwetter vorgeworfen worden, dass sie erst um 22.01 Uhr und damit viel zu spät die Warnstufe Rot ausgegeben habe. Die Flut hatte schon etwa drei Stunden zuvor ihren Weg ins Tal gefunden. Die Wissenschaftler kommen allerdings zu dem Schluss, dass diese Extrem­situation für Aemet nicht vorhersehbar gewesen sein konnte. Keines der Wettermodelle an ­diesem Tag ließ ein derartiges Szenario vermuten, so die Erkenntnis der Forscher.

Trotz der gravierenden Folgen des Unwetters hat sich nach Ansicht von Celso García auch über ein Jahr danach wenig gebessert. Leider sei man bei dem Vorhaben, den Not­fallplan für Überschwemmungen auf den ­Balearen (Inunbal) zu verbessern, nicht vorangekommen. Der Plan müsse endlich in allen Gemeinden angewandt werden. Und auch das Risikobewusstsein der Bevölkerung müsse sich verändern. Am Tag der Katastrophe hätten einige Personen von den Brücken aus die Wassermassen gefilmt.

Eine Möglichkeit, in der Zukunft ähnliche Tragödien zu vermeiden, sehen die Forscher darin, kleinräumiger zu agieren und ein ­System einzuführen, das lokaler vor derartigen Extremwetterlagen warnen kann. Infrage käme auch, Hinweise aufs Handy zu ver­schicken, wie das bereits in anderen Ländern bei Warnungen vor Tsunamis gemacht werde.

Am Tag vor Heiligabend wurde eine weitere Studie vorgestellt. Demnach gibt es im Gemeindegebiet 56 Gefahrenstellen, die dringend umgebaut werden sollten. Außerdem widerlegen die Geografen Miquel Grimalt und Joan Bauzá in der Studie, dass sich das Wasser im Sturzbach aufgrund eines Pfropfens zu einer Welle aufgestaut habe. Vielmehr sei eine Wasserwand den Berg hinabgerast.