Gerade hat man sich an den Computer gesetzt, da schiebt sich ein Kinderkopf durch die Tür des Arbeitszimmers. Der zweite kommt gleich hinterher. Dazu die vorwurfsvolle Klage des Älteren. „Papa, die Sophia hat mein Flugzeug runtergeworfen." Kurze Diskussion, man setzt sich wieder hin. Zwei Minuten später dringt Geschrei durch den Flur, Türen knallen. Die Konzentration ist längst wieder weg, so sie denn überhaupt einmal da war. Jetzt hat sich die Kleine drei Flugzeuge gekrallt und dem Bruder nur eines gelassen. Wieder sieht man sich genötigt aufzustehen und zu schlichten.

Das ist das Schicksal von Eltern mit kleineren Kindern. Für die Älteren haben die Lehrer vorgesorgt und ihnen Hausaufgaben für die Zeit des Alarmzustandes gegeben. An einigen Schulen lassen sich die Lehrer aber offenbar in ihrem Ehrgeiz, weiter möglichst viel Unterrichtsstoff zu vermitteln, kaum stoppen. Vor allem ältere Schüler bekommen derzeit fast mehr Aufgaben aufgebrummt als im regulären Schulbetrieb - und sollen möglichst alles am heimischen PC erledigen. Das sorgt für Konflikte, so wie bei Lola Sánchez in Palma. Sie arbeitet derzeit von zu Hause aus und ist auf den Computer angewiesen. Ihre 17-jährige Tochter Alejandra besucht die Abschlussklasse an der öffentlichen Schule Josep María Llompart in Palma und sitzt jeden Tag viele Stunden daheim am Wohnzimmertisch, um ihre Aufgaben zu machen.

Vergangene Woche hatte Sánchez eine Videokonferenz mit ihrem Chef, während Alejandra mit ihrer Lehrerin ein Videotelefonat auf dem Handy führen sollte. „Wir mussten beide fast flüstern, sonst hätte der eine den anderen übertönt. Wir konnten aber auch nicht in einen anderen Raum gehen, weil dort das Internet zu schwach ist", so Sánchez. Ohnehin sei es schwierig, sich auf die Arbeit zu konzentrieren, wenn eine Tochter danebensitze, die sich andauernd lautstark über die Menge an Hausaufgaben auslässt. „Die Lehrer haben ein Intranet für die Schüler erstellt, und stellen dort neue Aufgaben ein. Alejandra könnte jeden Tag zehn Stunden Hausaufgaben machen und würde trotzdem nicht fertig", sagt Sánchez.

Damit ist Alejandra nicht allein. Am Donnerstag (19.3.), dem vierten Tag der faktischen Ausgangssperre ohne Unterricht, appellierte der balearische Bildungsminister Martí March (Sozialisten) per Videoschalte an die Schulen, es nicht zu übertreiben mit der Menge an Stoff, die die Kinder zu Hause bewältigen sollen. Natürlich solle das Gelernte vertieft werden, aber zu viele Aufgaben seien kontraproduktiv, kam die Ansage aus dem Ministerium.

„Wahrlich Wichtigeres"

Eine Forderung, die auch der Verband der Elternvereinigungen auf der Insel (FAPA) unterstützt. Sprecherin Inma Alcina sagt der MZ: „Es gibt zurzeit wahrlich Wichtigeres als die Hausaufgaben. Die Schulen und die Lehrer müssen sehen, dass es für viele Familien eine schwierige Situation ist." Zur Unsicherheit darüber, wie es in den kommenden Wochen auch wirtschaftlich in vielen Familien weitergeht, kommt das Bedürfnis der Kinder, sich draußen an der frischen Luft zu bewegen, was derzeit nicht möglich ist. Das sorge für Spannungen in vielen Familien. „Ein anderes Problem ist, dass durch den Unterricht zu Hause die Unterschiede zwischen den einzelnen Schülern noch stärker zutage treten." Manche Eltern könnten ihre Kinder gut bei den Aufgaben unterstützen, andere überhaupt nicht - entweder, weil sie selbst arbeiten müssen oder weil sie nicht über die entsprechende Schulbildung verfügen.

Die Menge an Hausaufgaben trifft nicht nur die Schüler in den Abschlussklassen. Auch an den Grundschulen meinen es die Lehrer mitunter zu gut. So zirkulierte in WhatsApp-Gruppen der Grundschule Rafal Vell in Palma der Brief eines Vaters, der an die Lehrer appelliert, die Aufgabenlast „spürbar zu senken". „Wir befinden uns in einer Ausnahmesituation, und uns ist klar, dass ihr nach bestem Wissen vorgeht, aber die Last und der Druck sind zu groß." Die Lehrer müssten bedenken, dass in vielen Haushalten nur ein Computer zur Verfügung stehe und man sich abwechseln müsse, zumal viele Eltern von daheim aus arbeiten müssten. Außerdem wolle man nicht, dass die Kinder einen Großteil des Tages vor dem Bildschirm verbringen.

24-Stunden-Lehrer

Auch für die Lehrer ist die Situation nicht einfach. So hat beispielsweise Antònia Gelabert (Name geändert), die an einer Privatschule in Palma unterrichtet, zurzeit keinen festen Stundenplan für ihren Deutschunterricht. Das bedeutet aber auch, dass von ihren rund 300 Schülern jederzeit Fragen per Mail eintrudeln. Gelabert stellt Aufgaben ins Netz, die die Schüler bearbeiten sollen und ist zweimal am Tag per Videokonferenz für diejenigen da, die Fragen haben.

Aber das genügt den meisten nicht. Sie bombardieren Gelabert von früh bis in die Nachtstunden hinein mit Mails, auch am Wochenende. „Das ist deutlich stressiger als während des gewöhnlichen Schulbetriebs", sagt Gelabert. „Da habe ich nur eine Klasse mit rund 30 Schülern zur selben Zeit, die Fragen stellen können. Jetzt sind es zehnmal so viele." Und nebenher muss Gelabert ihre beiden Kinder beaufsichtigen, die ebenfalls daheim ihre Aufgaben erledigen sollen.

Maßhalten, das ist denn auch das, wozu Inma Alcina aufruft. Es könne nicht sein, dass die Eltern nun als Ersatzlehrer einspringen müssen. „Sie haben das nicht gelernt und selbst zurzeit viele andere Dinge zu tun."

Erstmal locker angehen

Allerdings gibt es auch das andere Extrem: Lehrer oder Schulen, die kaum Aufgaben stellen. „Manche Lehrer sind seit Beginn des Alarmzustandes regelrecht abgetaucht", sagt Alcina. Ein bisschen kommt sich beispielsweise Rosa Heredia aus Marratxí so vor. Ihre Tochter geht in die Abschlussklasse an einer öffentlichen Schule in der Gemeinde vor den Toren von Palma. Ihr Sohn ist drei Jahre jünger. „Ich sehe die beiden keineswegs gestresst bisher. Sie schlafen bis in die Puppen und schauen dann erst mal fern."

Große Sorgen um ihr Abitur scheint sich die 17-jährige Tochter nicht zu machen, ganz im Unterschied zu vielen anderen Altersgenossen, die fordern, die Abiturprüfungen wie geplant abzunehmen, um die Motivation aufrechtzuerhalten. Rosa Heredia arbeitet in einem Betrieb ihres Bruders, der ihr für die Zeit des Alarmzustandes freigegeben hat. Ihr Mann muss aber weiterhin täglich nach Palma in seine Firma fahren, die Marmorprodukte herstellt. Die Sorgen um eine mögliche Infektion mit dem Coronavirus sind ständig da.

Glück hat, wer einen Garten oder zumindest einen Hof besitzt, so wie Paula Gómez (Name geändert), die mit drei Kindern und ihrem Mann auf einer Finca nahe Sencelles lebt. „Der neunjährige Sohn hat von seiner Schule Sa Llavor ein paar Aufgaben bekommen, aber ich achte darauf, dass die Kinder genügend Auslauf im Garten bekommen", sagt Gómez. Sie arbeitet zurzeit nicht, ihr Mann ist von zu Hause aus tätig. Nerven schonen, lautet die Devise.

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