Seitdem die US-amerikanische Arbeiterbewegung 1886 zur Durchsetzung des Achtstundentages am 1. Mai zum Generalstreik aufrief, steht dieses Datum fast weltweit im Zeichen der Arbeitnehmerrechte. Wenngleich längst nicht mehr so zahlreich wie früher, kommen normalerweise auch auf Mallorca Hunderte Menschen zusammen, um auf den Straßen von Palma de Mallorca und vor den Rathäusern zahlreicher Gemeinden mit den Vertretern der Gewerkschaften für mehr Rechte auf dem Arbeitsmarkt zu protestieren.

Doch da dieser Tage eine öffentliche Versammlung einem Ding der Unmöglichkeit gleichkommt, bereiten die Mitglieder der spanienweiten Gewerkschaftsbünde Unión General de Trabajadores (UGT) und Comisiones Obreras (CCOO) einen „virtuellen 1. Mai" vor. Um 11 Uhr beginnt der Tag mit einer Pressekonferenz und ab 13.30 Uhr rufen die Gewerkschaften alle Bürger auf, über ihre sozialen Netzwerke (Facebook, Twitter und Instagram) an den Veranstaltungen von UGT und CCOO teilzunehmen.

„Unsere oberste Priorität ist dabei, all jenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu danken, die an vorderster Front gegen das Virus kämpfen. Ohne sie würde unser Land nicht mehr funktionieren", sagt Alejandro Texías, Vorsitzender der UGT auf den Balearen. Ohnehin sehen sich die Gewerkschaften in einer ihrer seit Jahren erhobenen Hauptforderungen bestätigt. „Die Krise hat noch einmal gezeigt, wie wichtig der öffentliche Dienst ist, etwa im Gesundheitswesen und in der Pflege älterer Menschen. Deswegen fordern wir auch mehr Investitionen in den öffentlichen Sektor. Die Privatisierung der vergangenen Jahre war ein Fehler", sagt José Luis García, Balearen-Chef der CCOO. Finanziert werden müssten diese Investitionen, auch das eine altbekannte Gewerkschaftsforderung, über Steuereinnahmen. „Wir können nur einen Wohlfahrtsstaat schaffen, wenn wir das Steuersystem überdenken. Wer mehr verdient, muss auch mehr zahlen", sagt García.

Beide Gewerkschaftsvorsitzenden begrüßen die von der spanischen Regierung ermöglichten Regelungen zur Kurzarbeit (ERTE) und fordern, sie über die Monate des Alarmzustandes hinaus zu verlängern. Denn gerade auf den Balearen, wo die Mehrzahl der Arbeitsplätze direkt oder indirekt vom Tourismus abhängen, werde die Wiederaufnahme der wirtschaftlichen Aktivität länger als in anderen Regionen Spaniens auf sich warten lassen. „Ein ERTE ist die beste Methode, um die Verbindung zwischen den Unternehmen und deren Arbeitnehmern weiterhin aufrechtzuerhalten", sagt García.

Allerdings hat das balearische Arbeitsministerium Schwierigkeiten, dem immensen Andrang an Anträgen der vergangenen Wochen gerecht zu werden. „Wir bekommen täglich Anrufe von verzweifelten Menschen, die ihr Arbeitslosengeld für März noch nicht erhalten haben und nicht wissen, von was sie ihre Lebenshaltungskosten bezahlen sollen", sagt García. Sowohl er als auch Texías plädieren daher für die schnelle Einführung eines monatlichen Grundeinkommens, das mit dem deutschen Hartz IV zu vergleichen ist (MZ berichtete). „Besonders wichtig ist diese Mindestversorgung für alle Arbeitnehmer mit befristeten Arbeitsverträgen, die derzeitig keine andere finanzielle Hilfe in Anspruch nehmen können", sagt García.

Das Wichtigste sei jedoch, dass alle am gleichen Strang ziehen, sagt Texías. „Wir werden nur einen Ausweg aus der Krise finden, wenn wir unsere Kräfte vereinen", sagt er. Der UGT-Chef ist optimistisch, dass das gelingt: „Arbeitgebern, Gewerkschaften, Politikern, Klein- und Großunternehmern - allen ist bewusst, dass wir nun Seite an Seite zusammenarbeiten müssen", sagt er. Wo er sich noch Verbesserungen wünscht, ist bei der Ausstattung der Arbeitnehmer mit der angemessenen Schutzkleidung. „Die Mehrzahl der Unternehmer auf der Insel tut zwar diesbezüglich ihr Bestes, aber wir können nur zu einer gewissen Normalität an den Arbeitsplätzen zurückfinden, wenn alle Arbeitnehmer die Sicherheitsvorkehrungen einhalten und über Schutzkleidung verfügen", sagt er.

Auch sein Kollege García zeigt sich zuversichtlich. „Durch diese Krise werden wir unser Tourismusmodell überdenken, den Weg vom Massentourismus hin zu einem qualitativ hochwertigeren Tourismus ebnen", sagt er. Zwar sei ein temporärer Anstieg der Arbeitslosenquote unvermeidbar, aber nach einer gewissen Übergangszeit von einem Modell zum anderen werde sich das wieder legen. „Und dann werden wir sogar bessere Arbeitsplätze geschaffen haben, die nicht so saisonabhängig sind."