„A tí te conozco." Dich kenne ich. Immer wieder sagt die Frau im Kassenhäuschen des Dünenparkplatzes hinter der Cala Agulla auf Mallorca diesen Satz. Es ist Dienstagnachmittag (2.6.) und sie kann kaum durchatmen bei all den Autos, die sich hier an der Zufahrt stauen. Viele winkt sie direkt durch. Wer in der Gemeinde Capdepera wohnhaft ist, darf seinen Wagen kostenlos abstellen, alle anderen müssen fünf Euro bezahlen. „Man könnte meinen, dass ohne Touristen nichts los ist. Aber das ist definitiv ein Irrtum. Es kommen sowohl Einwohner von hier als auch Leute vom anderen Ende der Insel", sagt sie. Normalerweise wehen von Cala Ratjadas Naturstrand aus in dieser Jahreszeit deutsche Schlager bis zum Parkplatz. Doch in diesem Jahr ist alles anders. „Die Mallorquiner haben den Strand eingenommen", sagt die Frau.

Dass trotz des Reiseverbots so reger Betrieb herrscht - gut die Hälfte der rund 230 Stellplätze ist belegt, und ständig kommen neue Pkw an -, damit hat auch das Rathaus in Capdepera nicht gerechnet. Eigentlich sollte der Parkplatz, der während des Hausarrests noch von Wildblumen und Unkraut überwuchert war, erst dann öffnen, wenn auch ein Gros der Hotels wieder aufmacht und die ausländischen Urlauber auf die Insel strömen. „Aber am Wochenende war es hier so brechend voll, dass es regelrecht in Chaos ausgeartet ist. Deshalb haben wir am Montag den

offiziellen Betrieb wieder aufgenommen", berichtet die Parkplatzwächterin.Pfingsten ohne Kegelclubs

Die Deutsche Anja Maune, die seit 2006 in Cala Ratjada lebt, war eine von Hunderten, die am Wochenende mit ihren Kindern den größten Strand im Ort aufgesucht haben. Sie war so früh da, dass die meisten Spanier noch gar nicht angekommen waren. „Am Pfingst­wochenende gehe ich sonst nie zur Cala Agulla bei all den Partytouristen. Aber diesmal war es sehr angenehm", sagt sie. Keine Strandbuden, an denen schon vormittags Alkohol in Strömen ausgeschenkt wird, keine deutschen Kegelclubs, keine volltrunkenen Fußballmannschaften. „Voll wurde es erst gegen Mittag, aber mit ganz anderem Klientel."

„Es ist ziemlich ruhig, obwohl viele Menschen da sind", sagt auch Federico Parisi. Der Rettungsschwimmer hat am Dienstagnachmittag von seinem hölzernen Aussichtsturm aus einen guten Überblick und wenig Stress. Das Meer liegt glatt wie eine Badewanne vor ihm, die grüne Flagge weht in der seichten Brise, und die Strandbesucher halten einen gewissen Sicherheits-Mindestabstand zu anderen Gruppen weitestgehend ein. Groß genug ist die Naturbucht ja. „Wobei das ohnehin nicht in meinen Kompetenzbereich fällt, darum kümmert sich die Polizei", fügt Parisi hinzu. Er hat das Gefühl, dass die Menschen nach den Wochen des Eingesperrtseins geradezu nach Natur lechzen. „Wir Rettungsschwimmer sind im Einsatz, seit die Strände wieder aufgesucht werden dürfen, und es gab keinen Tag, an dem von einem leeren Strand die Rede sein könnte."

Wenig Geld, viel Zeit

Doch nicht nur der Drang nach Sonne und frischer Luft treibt die Insulaner derzeit an den Strand, sondern auch ihre berufliche Situation. „Wir haben viel Zeit, aber wenig Geld, was machen wir also? Wir fahren zum Strand", sagt Miguel Montaño aus Palma de Mallorca. Er ist mit drei Freunden angereist und fläzt sich nun im Sand, vor ihm das türkisfarbene Wasser, hinter ihm die unbebaute Dünenlandschaft. Auch eine Kühlbox für Obst und Getränke hat die Gruppe dabei, zudem Brote mit Sobrassada. „So einen Strand haben wir in Palma nicht", sagt Montaño. Er sei Verkäufer in einem Einkaufszentrum in der Inselhauptstadt, erzählt er. „Aber derzeit bin ich in Kurzarbeit. Wir wollten immer schon hier hoch in den Nordosten fahren, die Cala Agulla wurde uns oft empfohlen. Aber wie das während der Sommersaison nun einmal so ist, kommt man nie dazu. Jetzt haben wir endlich die Gelegenheit." Einer seiner Freunde fügt hinzu: „Manchmal habe ich das Gefühl, die Urlauber kennen die Insel im Sommer besser als wir Einheimischen."

Kein Wunder also, dass gerade emblematische, aber wenig zentral gelegene Strände wie die Cala Agulla unter den Insulanern dieser Tage gefragt sind. „Wir machen Inseltourismus, jeden Tag geht es an einen anderen Ort, den wir noch nicht kennen", sagt Eduardo aus Valldemossa und klopft sich Sand vom Arm. Gemeinsam mit seiner Freundin Paqui hat er die anderthalb Stunden lange Anfahrt am frühen Morgen gern in Kauf genommen. Das junge Paar hat wegen des Alarmzustands derzeit keine Arbeit. „Natürlich ist der Hintergrund ernst, aber was hilft es, sich pausenlos zu beschweren? Wir machen das Beste daraus."

Zum Thema: Strände wegen Überfüllung geschlossen

Pepe García und seine Familie aus Santa Ponça, die sich unter einem Sonnenschirm tummelt, hält es ähnlich. Positiv zu denken fällt ihnen zwischen Sandburgen und Sonnencreme gar nicht so schwer. „Sonst arbeite ich im Sommer täglich in einer Bar, sehe die Kinder kaum, und kann froh sein, wenn ich überhaupt mal einen Fuß an einen Strand setze. So einen Tagesausflug wie heute wäre im Juni unter normalen Umständen undenkbar."

Zurück auf dem Dünenparkplatz fährt Sandra Muñoz winkend am Kassenhäuschen vorbei, stellt ihren Wagen ab und lässt zwei Sprösslinge aussteigen. Ihr Anfahrtsweg dauerte gerade einmal fünf Minuten von Cala Ratjadas Ortszentrum hierher. „Ich kann verstehen, dass manche froh sind, dass sie mal an diesem schönen Strand liegen können, statt für die Urlauber zu arbeiten. Aber ich persönlich vermisse die ausländischen Touristen. Irgendwie gehören sie im Sommer doch hierher."