Andreas Rüttgers ist Leiter der Touristik beim Reiseveranstalter Schauinsland Reisen. Von ihm stammt die Kampagne „Mallorca freut sich auf dich", womit er im Dezember 2018 mitten in der Debatte um Overtourism klarmachen wollte, dass weiterhin viele Menschen auf der Insel den Tourismus wollen und brauchen. Jetzt, eineinhalb Jahre später, sind die Vorzeichen zwar komplett anders, die Botschaft passt aber wieder.

Auf Mallorca hat die Saison mit dem Pilotprojekt begonnen. Sie nehmen nur mit Mitarbeitern daran teil. Warum?

Eine Testphase mit Urlaubern erscheint uns völlig abwegig. Allein der Gedanke, unsere Gäste als Test-Urlauber nach Mallorca zu schicken, ohne selbst zu wissen, wie das funktioniert, ist in unserer Philosophie undenkbar. Man weiß ja gar nicht, wie sich die Gäste verhalten, wenn bestimmte Dinge noch nicht funktionieren. Wir haben uns für ein anderes Konzept entschieden und sind seit Freitag im Iberostar Cristina (an der Playa de Palma, Anm. d. Red.) und haben da unsere Mitarbeiter, Reiseleiter, unsere Agenturen und Einkäufer untergebracht. Mitarbeiter von Iberostar sind auch dabei. Die Auslastung des Hotels liegt bei ungefähr 45 Prozent, so wie sie später auch sehr wahrscheinlich ist.

Gibt es viele Abläufe, bei denen nachgebessert werden muss?

Ja, sehr viele Details. Ich glaube, wir testen mittlerweile die fünfte oder sechste Art, auf welchem Weg man am besten zum Buffet kommt. Die Leute laufen sich dann doch immer wieder über den Weg. Oder das Thema Sonnenliegen: Die müssen weiter als bisher auseinanderstehen, um den Gästen eine gewisse Flexibilität zu ermöglichen. Es sind viele Dinge, die man in der Testphase mit Gästen sehr schwer umsetzen kann. Und man liest es ja jetzt schon, dass die Leute, die am Pilotprojekt teilnehmen, feststellen, dass der Sicherheitsgedanke zwar sehr stark umgesetzt wird. Durch kritische Anmerkungen der Reisegäste könnte aber der Eindruck entstehen, dass der Servicegedanke dabei teilweise auf der Strecke bleibt. Das wird sich aber definitiv bis zur Anreise ab 1. Juli positiv verändert haben.

Haben denn die Leute überhaupt Lust, in den Urlaub nach Mallorca zu fahren?

Wir haben mit einem generellen Mallorca-Problem zu kämpfen. Wir hatten vor drei Wochen auf alle Reiseziele weltweit gesehen rund 200 Buchungen am Tag, vor zwei Wochen 1.000 Buchungen, vor einer Woche 2.000, und gestern (Montag, 15.6., Anm. d. Red.) waren es 3.000 Buchungen. Diese Dynamik überrascht uns. Vor allem die Geschwindigkeit, in der sie Fahrt aufnimmt. Aber Mallorca bekommt davon am wenigsten ab. Das Problem ist das der vergangenen Jahre: Das Preisgefüge der Hotels ist sehr ambitioniert. Und in Zeiten, in denen in Deutschland viele Leute Kurzarbeit hatten, ist weniger Geld da. Deshalb sind Zielgebiete wie Bulgarien, Griechenland oder die Türkei gefragt.

Die Hoteliers erklären die Preise meist mit Renovierungen an ihren Häusern.

Da werden auch ganz viele Dinge gemacht, die die Leute gar nicht wollen. Man kann es damit teurer machen, aber Menschen, die viel Geld ausgeben wollen, sind eine begrenzte Zielgruppe. Qualitätstourismus ist schön, aber als Veranstalter verdienen wir 30 bis 50 Euro pro Person, das ist die Marge. Wir könnten natürlich mit deutlich weniger Gästen genauso viel verdienen. Das wäre ohne Probleme machbar, wir müssten nur die Marge erhöhen und die Anzahl der Plätze verringern. Aber wir sehen uns auch in der Verantwortung den Zielgebieten gegenüber. Denn die hätten ein Problem, wenn plötzlich nur noch halb so viele Flüge kämen. Und wir haben eine Verantwortung den Menschen gegenüber, den Urlaub bezahlbar zu belassen. Ich möchte nicht, dass Urlaub irgendwann eine elitäre Geschichte ist, die sich nur Großverdiener leisten können. Der Preis muss bezahlbar bleiben, damit genug Leute kommen können. Dieses Verständnis dafür fehlt mir manchmal auf Mallorca.

Viele Reiseveranstalter sind in wirtschaftliche Not geraten. Wie lange kommt Schauinsland noch mit weniger Umsatz klar?

Das Hauptproblem ist nicht, dass es uns große Schwierigkeiten bereiten würde, wenn eine Zeit lang weniger oder keine Buchungen kommen. Das Problem ist, dass es in der Touristik immer ein Gleichgewicht zwischen Anzahlungen der Kunden und Vorauszahlungen an die Hotels geben muss. Für uns bedeutet das: Wir haben für den Sommer 2020 knapp 300 Millionen Euro Vorauszahlungen weltweit an Hotels gezahlt, für Renovierungen, für Neubauten, für Nachhaltigkeit. Diese Summe wird durch die Anzahlungen der Kunden ausgeglichen. Jetzt sagt die EU: Ihr müsst den Leuten die Anzahlung zurückzahlen. Da müssten wir das Geld von den Hoteliers zurückholen, aber das ist jetzt ausgegeben. Die können das nicht zurückzahlen. Wir müssen Geld weggeben, was wir auf der anderen Seite nicht zurückholen können. Deshalb hätten wir uns gewünscht, zumindest die Anzahlung in Gutscheinform behalten zu können.

Sind Sie wie die Tui auf Staatshilfe angewiesen?

Natürlich müssen wir Kredite aufnehmen. Wir haben deshalb auch einen Staatskredit angefragt. Kein Veranstalter der Welt kann ohne diesen Staatskredit überleben. Niemand hat Hunderte Millionen Euro irgendwo herumliegen. Die Tui gehörte zu den Firmen in Deutschland, die den Staatskredit bereits bekommen haben. Ich gönne es der Tui, aber wir hätten die Staats­hilfen auch gern so schnell gehabt. Wir sind ein Veranstalter, der komplett in Deutschland ansässig ist und hier Steuern zahlt. Bei der Tui kommen viele Anleger aus dem Ausland.

Wie war das Arbeiten bei Ihnen in den vergangenen Wochen?

Wir haben im März und April quasi durchgearbeitet. Anders war es nicht möglich. Wir mussten 50.000 Gäste aus aller Welt zurückholen. Viele in der Firma haben da 18 bis 20 Stunden gearbeitet, denn irgendwo auf der Welt ist ja immer Tag. Dann kam das Problem, dass die EU nicht verstanden hat, was in der Gutscheinregelung stand. Wir wurden gezwungen, das Geld sofort auszuzahlen. Für uns bedeutete das, dass wir im ersten Shutdown über 100 Millionen Euro an über 300.000 Kunden zurückzahlen mussten. Das ist schon von administrativer Seite kaum möglich. Wir bekamen pro Tag 10.000 Mails.

Wie lange wird Mallorca, wird die Reisebranche generell noch mit den Folgen von Corona beschäftigt sein?

Bis Oktober 2021 wird das Thema noch massive Auswirkungen auf die Buchungen haben. Wir werden eine deutliche Veränderung des Marktes spüren. Zum einen, was den Zuspruch der Veranstalter betrifft. Ich glaube, dass die Hoteliers ein gutes Gefühl haben, wer sich in der Krise engagiert hat und wer sich abgeduckt hat. Die Balearen hatten im Winter nicht so viele Probleme damit. Aber wenn andere Veranstalter (beispielsweise die Tui auf den Kanaren, Anm. d. Red.) noch nicht einmal die Rechnung der bereits gebuchten Gäste gezahlt hat, finden das Hoteliers nicht gut. Zum anderen werden in Zukunft weniger Menschen reisen. Es ist durch die Corona-Zeit auch etwas anderes entstanden: Viele sind aus ihrer Spirale ausgebrochen und haben festgestellt, zu Hause ist es auch schön. Dazu kommt die Problematik der Kurzarbeit verbunden mit weniger Geld, zumindest die nächsten eineinhalb Jahre. In vielen Ländern wird die Arbeitslosigkeit steigen. Ich gehe davon aus, dass 50 Prozent der Hotels auf Mallorca dieses Jahr nicht mehr aufmachen. Man wird sehen, ob Hotels, die 600, 700 Meter vom Strand weg sind, noch berücksichtigt werden.

Wie groß ist die Angst vor einem erneuten Corona-Ausbruch jetzt in der Tourismus-Saison?

Die Angst ist nicht größer als die, die man privat auch hat. Das Virus kennt keine Grenzen. Ob wir uns in Deutschland oder auf Mallorca aufhalten, macht keinen Unterschied. Ich glaube sogar, dass in den Hotels eine höhere Sensibilität herrscht, als das vielleicht in Deutschland der Fall ist. Wir Deutschen sind ja ohnehin wie für Corona gemacht, wir sind in allem etwas vorsichtiger.