Lärm von Baumaschinen tönt über den Friedhof Son Coletes bei Manacor. Er weht herüber von einem nahen Steinbruch. Der Bagger in einer Baugrube in der Mitte des Friedhofs dagegen steht still: Motorschaden. Es ist eines der kleineren Probleme, mit denen das Team von Cesc Busquets derzeit bei der Suche nach sterblichen Überresten von Bürgerkriegsopfern auf dem Gelände zu kämpfen hat. Der Koordinator der katalanischen Firma ATICS, die im Auftrag der Balearen-Regierung die inzwischen zweite Reihe von Exhumierungsprojekten ausführt, macht keinen Hehl daraus, dass die Chancen nicht allzu gut stehen. Und das, obwohl hier nach Schätzungen von Historikern die Schergen des Franco-Regimes zu Beginn des Spanischen Bürgerkriegs (1936-1939) die Leichen von mehr als 200 Erschossenen verscharrt haben dürften - am helllichten Tag. „Die Menschen kamen mit Taxis aus Palma, um das ­Spektakel zu sehen", sagt Busquets.

Son Coletes ist ein weiteres zentrales Kapitel der Bürgerkriegszeit auf Mallorca, das jetzt, fast 80 Jahre später, bewältigt werden soll, und um es zu verstehen, muss man etwas ausholen. Der Friedhof hat seinen Ursprung im Jahr 1820, als hier Tote der Beulenpest bestattet wurden. Manacors eigentlicher Friedhof befand sich zwar im Ortskern, doch wegen der Infektionsgefahr wurde das Gelände an der Straße nach Felanitx für Bestattungen der Pestopfer genutzt - drei Jahre lang, dann geriet Son Coletes wieder in Vergessenheit.

Bis Sommer 1936. Mallorca war schnell in die Hand der Putschisten gefallen, die auch eine Landung republikanischer Truppen am 16. August blutig niederschlugen. Hunderte Milizionäre kamen zu Tode. Laut Forschungen des Historikers Antoni Tugores begann zu diesem Zeitpunkt eine systematische Repression mit Hinrichtungen auf dem alten Friedhof Son Mas im Zentrum von Manacor. Da es hier schnell zu eng wurde, wurden die Exekutionen ab dem 24. August nach Son Coletes verlegt. Verscharrt wurden hier nicht nur die Leichen mallorquinischer Opfer. Bei den meisten Leichen dürfte es sich laut Tugores vielmehr um Gefangene der gescheiterten Landung handeln. Dazu könnten auch jene fünf Milizionärinnen und ausgebildete Krankenschwestern gehört haben, deren Schicksal in den vergangenen Jahren vielfach thematisiert worden ist, weil es von ihnen ein Foto gibt (MZ berichtete).

Ein Denkmal in der Mitte des Friedhofs erinnert an die „Republikaner, die für die Freiheit gestorben sind". Auf einem Steinquader stehen auch die Namen der Milizionärinnen Daría, Mercedes, Tere und María - die Identität der fünften Frau ist ungeklärt. Würde man sterbliche Überreste finden, könnte man anhand der DNA von Nachkommen die Identität der Opfer klären, so Busquets, dessen Team aus Archäologen, Anthropologen, Gerichtsmedizinern und Genetikern besteht. Die katalanische Regionalregierung führt für den Abgleich eine eigene Datenbank.

Doch ob in Son Coletes Skelette zutage kommen, ist ungewiss. Zum einen können die Bagger nur zwischen den Familiengrüften zum Einsatz kommen - die später angelegten Grabstätten sind tabu. Vor allem aber: Son ­Coletes hat nicht mehr viel mit dem Friedhof der Pest- und Franco-Opfer zu tun. In seiner heutigen Form wurde er erst 1947 angelegt - ein sechs Jahre dauerndes Projekt mit massiven Erdbewegungen. „Schauen Sie, diese Erde wurde nachträglich aufgefüllt", sagt der Ausgrabungsleiter und zeigt auf die glatt ge­mauerten Befestigungen der Grabstätten. Die heute unterirdisch liegenden Grüfte - von ­einer Luke aus führt jeweils eine Treppe nach unten - wurden offenbar ebenerdig angelegt, und das Erdreich zwischen ihnen wurde im Nachhinein aufgeschüttet.

Was mit den Knochen passierte, die bei diesen Arbeiten ans Tageslicht gekommen sein dürften, ist Spekulation. Erzählt wird zum einen, dass sie in Tüten gepackt und an einen ­unbekannten Ort gebracht wurden. Zum anderen heißt es, dass sie ins Fundament der ­Umfassungsmauer einbetoniert worden seien. „Wenn wir etwas finden, dann wegen der Nachlässigkeit der damaligen Arbeiter", so Busquets. „Aber trotz der geringen Aussicht sind wir den Nachkommen der Opfer zumindest den Versuch schuldig."

Dieser Versuch läuft nun in vier rechteckigen Ausgrabungszonen mit insgesamt rund 200 Quadratmetern ab, definiert wurden sie nach einer aufwendigen Bildanalyse historischer Luftaufnahmen aus den Jahren 1942 und 1956: Wo Laien nur unscharfe Flecken er­kennen, interpretiert der Computer Vegeta­tion oder frisch bewegte Erde. Überliefert ist, dass einst ein großes Kreuz in der Mitte des Friedhofs stand, von ihm ausgehend sollen Gräben in verschiedene Richtungen ausgehoben worden sein. Die Begrenzungen des frühe­ren Friedhofs wurden bei Probegrabungen 2018 bestätigt. Dabei fanden sich auch Skelette - aber nicht von Franco-, sondern von ­Pest­opfern. Die Skelette ließen sich leicht unterscheiden, erklärt ­Busquets: Während die ­Toten aus dem 19. Jahrhundert ordentlich bestattet sind, liegen Skelette von Hingerichteten quer durcheinander, und die von den Hinrichtungen herrührenen Kugeleinschüsse lassen sich in den Knochen schnell nachweisen.

Trotz der Schwierigkeiten wurden inzwischen vier Skelette gefunden, die tatsächlich aus der Zeit des spanischen Bürgerkriegst stammen dürften - darauf deuten die Einschusslöcher und die wohl aus den 1930er Jahren stammenden Objekte hin, die sich neben den Skeletten fanden. Weitere Hinweise verdichten den Verdacht: So konnten die Experten auch eine 9-Milimeter-Munitionskugel sicherstellen - jene Munition, die die Franco-treuen Falangisten gewöhnlich benutzten. "Dieses Fundstück ist ein weiterer Beweis dafür, dass die Fundstücke mit absoluter Sicherheit aus dem Jahr 1936 stammen", so Busquets. "Die Kugel weist Fasern von Kleidung auf, sie hat also einen Menschen getroffen."

Wie auch schon bei den Exhumierungsarbeiten auf anderen Friedhöfen schauen auch in Manacor regelmäßig Angehörige vorbei. „Jeder hat die Bilder von Porreres", so Busquets - dort hatte man schnell Dutzende von Skeletten gefunden. Dass es hier in Manacor komplizierter sein würde, sei den meisten klar. Davon, dass sich in den Mienen der vorbeischauenden Menschen weniger Hoffnung als Enttäuschung widerspiegelt, will sich das Ausgrabungsteam nicht entmutigen lassen.