Erschrecken und abschrecken: Die Händler vom Carrer de Sant Nicolau in Palma de Mallorca haben eine neue Methode, um die Kundschaft vor Taschendieben in ­ihren Geschäften zu warnen und die Langfinger davon abzuhalten, jemanden zu bestehlen oder Artikel aus dem Laden mitgehen zu lassen: Triller­pfeifen.

Es ist die Verzweiflung, die viele Ladenbesitzerinnen und Verkäuferinnen - es sind mehrheitliche Frauen - nun so erfinderisch macht. Denn ihre etwas mehr als 100 Meter lange verkehrsberuhigte Straße hinter der Kirche Sant Nicolau sowie die anliegenden Gassen haben sich in diesem Sommer zu einem der Lieblingsreviere der Taschendiebe entwickelt.

Diebe wenden sich von den Strandmeilen ab

„In anderen Jahren gab es hier kaum Taschendiebe, ab­gesehen von einigen Hotspots an den Haltestellen für Touristenbusse, wie etwa an der Plaça de la Reina", sagt Pep Lluís ­Iglesias, der Vorsitzende der Händler­vereinigung „Palma Viva". „Aber diesen Sommer scheinen sich die Diebe von den Strandmeilen und Touristenattraktionen abgewendet zu haben, weil es dort weniger Besucher gibt."

Normalerweise, also vor Corona-Zeiten, treiben die auf ­Taschendiebstahl spezialisierten Banden etwa an der Playa de Palma ihr Un­wesen, wo sie in den Sommermonaten regel­mäßig (vorzugsweise betrunkene) Urlauber um Bargeld und Smartphones erleichterten.

Mehr Diebe als Urlauber in diesem Sommer

Eine der betroffenen Händlerinnen, Piluca Osaba von der gleichnamigen Boutique musste bereits ihre Trillerpfeife

zücken, um zwei Verdächtige aus ihrem Laden zu vertreiben. Sie sagt: „Es gibt feste Gruppen von Dieben, insgesamt etwa 20 Personen, die paarweise vorgehen. Während der eine Ausschau hält, begeht der andere den Diebstahl."

Susana Armendáriz von Top Natural Fibers fügt hinzu: „Es gibt mehr Taschendiebe als Touristen und ­Käufer. Aber bei den wenigen, die hier ­vorbeikommen, wird genau geschaut, wer sich als Opfer eignet." Laut Piluca Osaba operieren die Diebe von einer Art Operations­zentrum an der Plaça Chopin aus. Von dort würden sie ihre Kollegen anrufen und ihnen Beschreibungen derjenigen Passanten durchgeben, die sie ausrauben sollen.

Die Diebe seien schwer zu erkennen, so Piluca Osaba. „Sie gehen sehr professionell und strukturiert vor, wechseln drei Mal täglich ihre Kleidung, um nicht erkannt zu werden und verhüllen sich mit ihren Atemschutzmasken." Die Boutique-Inhaberin sagt, sie sei seit 25 Jahren im Handel tätig und hätte so etwas bislang noch nie gesehen.

Einem Touristen wurden 1.000 Euro geklaut

Der Bereich, in dem die Diebe agieren, umfasst die genannte Einkaufszone und schließt auch den nahe gelegenen Carrer de Jaume II mit ein. Dort seien vor Kurzem einem Urlauber 1.000 Euro entwendet worden, als er dabei war, ein Schuhgeschäft zu verlassen, sagen die Händler. Laut Pep Lluís Iglesias gibt es auch auf der Rambla Diebstähle. In ­einem Fall sei der Betreiberin ­einer Tapas-Bar die Tasche gestohlen worden, und einem ihrer Angestellten das Handy.

Und was macht die Polizei? Sie glänzt laut Piluca ­Osaba und Pep Lluís Iglesias mit Abwesenheit. „Hier wird überhaupt nicht Streife gegangen", so der Vorsitzende des Händlervereins. „Und wenn man wegen eines Diebstahls die Polizei ruft, kommt sie nicht. Deshalb rufen wir dort mittlerweile gar nicht erst an."

Auf Nachfrage bei der der Policía Nacional heißt es, dass man von diesem Problem nichts gewusst habe. Die Beamten verweisen auf Statistiken: In der Innenstadt habe es im Monat Juli 20 Prozent weniger Anzeigen wegen Diebstahls gegeben als im selben Monat des ­Vorjahres 2019. Außerdem gebe es durchaus Polizisten in Zivil, die diese Gassen überwachen würden. Die Händler von Sant Nicolau vertrauen trotzdem lieber auf ihre Trillerpfeifen.