Trotzig warten die prominent platzierten pinken Schwimmflamingos am Straßenrand neben Ständern mit Sonnencreme darauf, dass sie endlich jemand adoptiert. Viel Hoffnung besteht in diesen Tagen allerdings nicht.

Denn Peguera, Heimat vieler deutscher Residenten und geruhsamer Ferienort auf Mallorca, der besonders bei älteren Urlaubern und Familien beliebt ist, wirkt derzeit wie ein verschlafenes Nest, das schon mittags die Gehwege hochklappt. Im strandnahen „Imbiss +49" gehen keine deutschen Bratwürste über die Theke, stattdessen hat ein Autofahrer den Eingang der geschlossenen Bude als Parkplatz zweckentfremdet.

Die Hauptader des Städtchens, der Bulevar de Peguera, ist irritierend blutleer: Ab und an spaziert ein Pärchen an den heruntergelassenen Rollläden, den menschenleeren Souvenirshops und Mini-Supermärkten vorbei, oder es kehrt eine Gruppe standhafter Gäste mit Luftmatratzen unter dem Arm vom Strand zurück. „Es ist eine absolute Geisterstadt", sagt ein Deutscher, der einen der ansässigen Läden betreibt. Das Personal hat er schon reduziert. „Das schlägt einem auch selbst aufs Gemüt und stimmt traurig, wenn man da steht und niemand kommt."

Und dann kam die Reisewarnung

Normalerweise sei der August hier wegen des Hochbetriebs der „absolute Horrormonat", nun sei es ein Horror anderer Natur, sagt der Geschäftsmann. Ein Jahr mit drei Wintern: „Während des Lockdowns war ja nichts. Dann ging es wieder los, da war etwas. Und dann kam die Reisewarnung aus Deutschland."

Die Entscheidung der Bundesregierung habe sich in Peguera stufenweise bemerkbar gemacht: „Die deutschen Urlauber, die hier waren, haben sich eigentlich total sicher gefühlt. Sie haben einen großen Widerspruch gesehen zwischen den Medien und der Wirklichkeit hier." So habe es zwar keine abrupte Flucht von einem Tag auf den anderen gegeben, der Ort habe sich innerhalb der folgenden zwei Wochen dennoch „relativ rapide" geleert.

Die Lokale schließen reihenweise

Die Strände sind nun so leer wie in der Vorsaison - eigentlich traumhaft, wenn es nicht so traurig wäre. Das Hotel Beverly Playa wirbt auf einem Schild mit Sonderangeboten um Gäste aus Mallorca und bemüht sich bei der Abendanimation, Urlauber aus Russland und Osteuropa zu bespaßen. Noch vor fünf Tagen hatte ein Kellner im nahe gelegenen „Momos" bekundet, er könne nicht sicher sagen, wie lange sie noch geöffnet hätten. Seit diesem Dienstag ist das Restaurant trotz seiner Top-Lage direkt am Strand geschlossen, der Eingang mit rot-weißem Absperrband zugeklebt.

Eins nach dem anderen schließen die Lokale. „Krümels Stadl" hat bereits dichtgemacht, und auch die „Strandperle" hatte am Sonntag ihren vorerst letzten Tag. Chris Mayer, der seit vier Jahren mit seiner Freundin Lena das Bistro führt, trifft man gerade mit durchgeschwitztem T-Shirt bei den Aufräumarbeiten an. „Wir verbrennen Geld, wenn wir weiterhin geöffnet bleiben", sagt Mayer und erklärt, dass sie den Betrieb bereits seit neun Monaten durch ihre Ersparnisse aufrechterhalten haben.

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Videos verleihen der Fassungslosigkeit Ausdruck

Die Ankündigung der Schließung habe noch einmal viele treue Gäste zu einem letzten Besuch in „La Perlita" bewogen. „Aber davor haben wir vielleicht zwei Kaffee am Tag verkauft", sagt Mayer. Nun sei der Plan, eine Weile nach Deutschland zu gehen, um dort Geld zu verdienen, weil das hier im Moment nicht möglich sei. Um dann im Januar oder Februar nach Peguera zurückzukehren. Hoffentlich.

Im oberen Teil des Bulevars findet gerade der Wochenmarkt statt. Direkt daneben betreibt Bettina Höner in der sechsten Saison ihre kleine deutsche Buchhandlung. Die Ladenbesitzerin hat in den vergangenen Tagen in der Facebook-Gruppe „Mallorca / Paguera Lifestyle" Videos geteilt, die ihre Gänge durch den Ort dokumentieren und die Fassungslosigkeit in Bilder und Worte fassen wollen. „Alles ist zum Verkauf, wer hätte das mal für möglich gehalten? (...) Es schaut so ein bisschen aus wie nach Tschernobyl", kommentierte Höner in einem ihrer Clips. Sie habe damit zum Ausdruck bringen wollen, wie verlassen es tatsächlich sei und dass niemand mehr die Ladenmiete zahlen könne, sagt sie bei einem Besuch der MZ. „Im Grunde ist hier jeder pleite, keiner fährt mehr Umsätze ein."

So lange wie möglich durchhalten

Sie selbst verdiene nur noch „Kleckerbeträge": „Ich verkaufe mal ein Pixi-Buch, aber der klassische Tourist, der einen Reiseführer kauft, ist weg." Höner hat viele Bücher reduziert, sie bestellt nur noch auf Kundenwunsch neue Ware. Ihre Geschäftspartner hätten ihr Aufschub für ihre Rechnungen gewährt, die sie nun nach und nach abbezahle. Doch die Miete, die laufenden Kosten und die hohe Müllsteuer machen der Ladeninhaberin zu schaffen. Ihren Antrag auf finanzielle Hilfe für Selbstständige hat sie verlängert. Um dieses Geld nicht zurückzahlen zu müssen, sei aber die Bedingung, dass ihr Laden ein halbes Jahr geöffnet bleiben muss. Doch so oder so möchte sie kämpfen: „Das Wort ,Schließung' will ich gar nicht aussprechen", sagt Höner.

Im Juli hatte es wieder Hoffnung gegeben, beim ersten Flugzeug am Himmel habe sie sogar mit ihrem Nachbarn vor Freude getanzt. „Es war zwar wie in der Vorsaison, aber immerhin waren wieder Leute da." Jetzt hoffe sie darauf, dass die Reisewarnung bald aufgehoben wird, damit im Herbst doch noch ein paar Urlauber kommen. Allerdings bitte nur solche, die das Coronavirus, sich verantwortungsvoll und solidarisch verhalten, und nur mit Maske und frisch desinfizierten Händen ihr Geschäft betreten. Die kollektive Losung laute, so lange wie möglich durchzuhalten. „Der hundertste China-Laden macht es vielleicht nicht, aber die kleinen Läden, die das Ortsbild von Peguera ausmachen, sollten erhalten bleiben", sagt Höner.

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