Keine Branche ist von der Pandemie so hart getroffen worden wie der Tourismus. Und kaum ein Land auf der Welt ist so vom Tourismus abhängig wie Spanien. Zwölf Prozent des Bruttoinlandsprodukts stammen direkt aus dem Geschäft mit dem Urlaub, die indirekte Wirkung noch nicht mitgerechnet. Politisch verantwortlich dafür ist Reyes Maroto, die spanische Ministerin für Industrie, Handel und Tourismus. Die 46-Jährige Sozialistin gab dieses Interview bei einem Besuch auf Teneriffa den Kollegen der MZ-Schwesterzeitung „El Día" .

Gibt es noch Rettung für die Wintersaison?

Das ist unser Ziel. Wir haben sehr wenig Zeit, deshalb setzen wir auf sichere Reisekorridore. Auf den Balearen haben wir mit einem Korridor mit Deutschland Pionierarbeit geleistet. Die Quellmärkte mussten zunächst verstehen, dass das eine Lösung sein kann. Als das gelang, änderte sich auch die Einstellung der EU-Kommission im Hinblick auf Protokolle und Reisehinweise. Die Hinweise, die man im Mai auf den Weg brachte, entsprachen den damaligen Umständen. Aber im September ist die Situation eine ganz andere. Wir müssen lernen, mit der Pandemie zu leben, und dafür brauchen wir Protokolle, die wir immer wieder nachbessern müssen. Wir müssen die Art und Weise, wie wir Reisebeschränkungen handhaben, überdenken.

Reicht die Zeit, damit diese Reisekorridore in den kommenden Wochen etabliert werden können?

Wir sind bereit, jetzt müssen wir noch unsere wichtigsten Quellmärkte überzeugen. Der von der EU-Kommission vorgelegte Vorschlag ist sehr wichtig, weil er die Koordination erleichtert (Brüssel hat vergangenen Woche eine Art Ampelsystem für Risikogebiete vorgeschlagen, Anm.d.Red.). Wir arbeiten mit den anderen Ländern zusammen und zugleich mit unseren Partnern in den Quellmärkten, um die Korridore zu öffnen.

Kommt das nicht zu spät? Die Kanaren haben noch die Wintersaison vor sich, aber auf den Balearen ist die Hauptsaison vorbei.

Nun, wir tun, was wir können - und was andere uns zugestehen. Die Umstände der Pandemie haben nun einmal dazu geführt, dass unsere wichtigsten Quellmärkte zu der Auffassung gelangt sind, dass das Land nicht die Bedingungen erfüllt, damit ihre Landsleute hierher reisen. Aber die Situation hat sich geändert. Es geht uns allen gleich. Diese Pandemie trifft den weltweiten Tourismus. Ganz besonders uns, weil unser Land so stark vom Tourismus abhängig ist. Deshalb räumt die spanische Regierung dem Tourismus auch Priorität ein. Auch jetzt wieder, etwa bei auf diese Branche zugeschnittenen Kurzarbeits-Regelungen.

Wie laufen die Verhandlungen mit den Quellmärkten?

Mit Großbritannien gestalteten sie sich sehr komplex, aber der britische Verkehrsminister hat sich mittlerweile so geäußert, wie wir es erhofft hatten. Sie haben ein Verhandlungsfenster geöffnet, um mit der spanischen Regierung daran zu arbeiten, die Korridore zu öffnen. Wir haben bereits im Juli, als man uns den Markt abriegelte, für sichere Korridore plädiert, die Antwort darauf ist jetzt positiv. Sie hat auf sich warten lassen, aber jetzt ist sie da, das ist das Wichtige.

Wird es Steuererleichterungen für Urlauber geben? Italien und Frankreich haben bereits Gutscheine und sogar Vergünstigungen bei der Steuererklärung angekündigt.

Zunächst einmal würde ich gerne die Anstrengungen herausstellen, die die spanische Regierung geleistet hat, um der Tourismusbranche unter die Arme zu greifen. Wir haben bereits 25 Milliarden Euro für die Branche mobilisiert. Und wir haben einen Plan zur Reaktivierun verabschiedet, in Höhe von 4,2 Milliarden Euro, der gerade entwickelt wird, etwa mit Maßnahmen für nachhaltige Reiseziele. Darüber hinaus haben mehrere Autonome Gemeinschaften bereits Gutscheine herausgegeben, um die Nachfrage zu steigern. Wir arbeiten auch am Wirtschaftsförderungsplan der EU mit. Es wird Direkthilfen für Zielgebiete und Unternehmen geben. Aber hier müssen sich alle einbringen. Die Privatwirtschaft hat ihre Hausaufgaben gemacht, aber auch die Autonomen Gemeinschaften und die anderen autonomen und kommunalen Verantwortlichen müssen mitziehen. Ich verstehe ja, dass sie zunächst mal etwas von der spanischen Regierung einfordern. Aber es muss eine gemeinsame Kraftanstrengung sein.

Die Branche vermisst Hilfen, die dem Gewicht des Tourismus in der Gesamtwirtschaft gerecht werden.

Wir haben einen Etat aus einer Zeit, in der unser Hauptaugenmerk nicht auf dem Tourismus lag. Ich arbeite mit einem Haushalt - immer wieder aufgeschoben seit 2018 -, der wenig mit der wahren Bedeutung der Branche zu tun hat. Deshalb brauchen wir einen neuen Haushalt. Ich appelliere hier an die Verantwortung aller Parteien, auch der PP (konservative Volkspartei, Anm.d. Red.). Die PP arbeitet regelrecht daran, die Regierung zu destabilisieren und nutzt die Pandemie für ihre Zwecke. Aber es ist nicht der Moment, mit einer Blockadehaltung die Bevölkerung zu spalten. Wir müssen gegen die Pandemie kämpfen, und der Haushalt für 2021 ist dafür gedacht, die sanitäre Krise in den Griff zu bekommen, aber auch die sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen. Wir haben in dem Haushaltsentwurf daran gearbeitet, die Tourismuspolitik zu stärken. Dass nun die europäischen Fonds hinzukommen, ist eine Gelegenheit, die wir nicht verpassen dürfen.

Wie sieht es mit Steuererleichterungen für touristische Unternehmen, wie etwa Hotels, aus?

Wir haben momentan wenig Spielraum für Steuersenkungen. Die Krise hat auch die Einnahmen des Staates verringert, auch auf Ebene der Autonomen Gemeinschaften und der Rathäusern. Angesichts dessen muss die Debatte über derartige Maßnahmen konstruktiv geführt werden: was und zu welchem Zweck? Die spanische Regierung ist dialogbereit. In den vergangenen zwei Jahren haben wir uns bemüht, Steuerschlupflöcher zu stopfen. Es geht nicht darum, mehr Steuern zu erheben, sondern sie dort zu erheben, wo bisher niemand zahlt. Das ist ein großer Unterschied. Damit dürften viele einverstanden sein

Was ist mit einer weiteren Kürzung der Flughafengebühren?

Das ist eine Möglichkeit und könnte den Flugverkehr dynamisieren. Allerdings sind hier noch Absprachen notwendig. Auf europäischer Ebene arbeiten wir auch an den Auflagen zu den Slots.

Viele Hoteliers befürchten, dass kleinere Ketten in die Hände von Hedgefonds fallen könnten.

Wir haben mit dem Hypothekenmoratorium bereits eine Maßnahme umgesetzt, die uns die Branche vorgeschlagen hat. Spanienweit haben 20.000 Hotels das Moratorium bereits in Anspruch genommen. Und da sind die ICO-Kreditlinien, die zusätzlich Liquidität verschaffen. Ist das genug? Das hängt davon ab, ob es uns gelingt, den Sektor wiederzubeleben. Umso mehr Zeit verstreicht, umso mehr Geierfonds werden am Erwerb unseres Vermögens Interesse zeigen. Wir werden aber alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, um das zu verhindern. Wir müssen den Hotels helfen zu widerstehen.