Als Lucy Garde am Freitagabend (11.9.) aus dem Fenster ihrer Wohnung im Auswandererviertel Son Gotleu in Palma de Mallorca auf eine der Hauptstraßen, den Camí de Son Gotleu, hinausblickte, gab es einiges zu sehen. „Überall war Polizei, die Menschen wurden nach Hause geschickt, die Bars geschlossen", berichtet die 65-Jährige. Seit 22 Uhr am Freitag hat in dem Viertel der angekündigte lokale Lockdown begonnen. Bewohner dürfen den Stadtteil nur noch mit gewichtigem Grund - etwa Arbeit, Schule, Arztbesuch - verlassen.

Auch innerhalb des Quartiers sind die Anwohner dazu angehalten, möglichst in ihren Wohnungen zu bleiben, wenn keine notwendige Erledigungen anstehen. Der Grund: Die Zahl der positiv auf Covid-19 getesteten Menschen war in den vergangenen Wochen in Son Gotleu und drei angrenzenden Vierteln in die Höhe geschossen. Ein Viertel der PCR-Tests fiel positiv aus, das örtliche Gesundheitszentrum war komplett überlastet. Die strikten Restriktionen der Balearen-Regierung sollen verhindern, dass sich das Virus weiter ver­breitet. „Aber letztlich verunglimpfen sie vor ­allem unser Viertel", schimpft Lucy Garde.

Die 65-Jährige hat durch Corona ihre Arbeit als Reinigungskraft verloren, wartet nun darauf, in Rente gehen zu können, und kann die strengen Auflagen ebenso wenig gutheißen wie Menschen, die sich komplett allen

Hygienemaßnahmen verweigern. „Viele Bewohner leben einfach so weiter wie bisher, tragen noch nicht einmal eine Maske. Wenn ich jetzt aus dem Fenster schaue, sehe ich so viele Menschen wie normalerweise auch. Und die Polizei scheint nichts zu unternehmen, ich habe seit der ersten Nacht kaum noch Beamte gesehen", berichtet Garde der MZ am Montag (14.9.) per Telefon.

Kaum einer halte sich an die Auflage, das nicht abgeriegelte Viertel nur zu verlassen, wenn wirklich notwendig, so die Anwohnerin. Verändert habe sich vor allem, dass alle Bars um 22 Uhr schließen müssen. „Auch wenn eine Bar hier in der Nähe sich nicht daran hält", so Garde. Und die Menschen seien spürbar unzufrieden, teilweise auch empört. „Alle Medien schreiben über unser Viertel, als wäre es das schlimmste von allen. Dabei gibt es andere Stadtteile, in ­denen die Fallzahlen noch höher liegen", so die Spanierin - und sie hat recht.

Laura Ríos hat von Empörung nicht viel mitbekommen. „Mein Eindruck ist, dass sich die Einwohner vor allem Sorgen machen", so die Sozialarbeiterin der Caritas, die für Son Gotleu zuständig ist. Trotz des Lockdowns ist das Büro an der Corpus-Christi-Kirche weiter geöffnet. „Wir dürfen die Menschen in so einer Situation auf keinen Fall im Stich lassen", ­findet Laura Ríos. Vor allem am Freitag, kurz vor dem Lockdown, habe sie große Verun­sicherung unter den Nutzern gespürt, die die Caritas aufsuchen. „Viele Menschen wussten nicht genau, was noch erlaubt ist und was nicht." Auch, weil in dem Einwanderer-­Stadtteil viele Menschen nur radebrechend Spanisch sprechen.

Zu der Caritas-Mitarbeiterin kommen diejenigen, die ohnehin um ihre Existenz kämpfen müssen. „Und sie trifft der Lockdown am härtesten." Denn unter den Betroffenen sind viele Menschen, die sich ohne gültige Papiere in Spanien aufhalten. „Sie haben Angst vor ­Polizeikontrollen. Und das Viertel zu verlassen ist für sie kaum möglich, selbst wenn sie außerhalb Arbeit haben, da sie offiziell gar nicht hier sein dürfen."

Auf engstem Raum

Die Sozialarbeiterin hat den Eindruck, dass sich die Mehrheit der Menschen sehr wohl an die Hygieneauflagen hält. Allerdings sei es in vielen Fällen praktisch unmöglich, eine häusliche Quarantäne korrekt einzuhalten, da die Wohnungen sehr klein sind und sich oft mehrere Erwachsene ein Zimmer teilen müssen. Dass die Bewohner nun möglichst erneut zu Hause bleiben sollen, sei vor diesem Hintergrund noch gravierender. „Aber hoffentlich hilft es, die Corona-Fallzahlen zu senken, ­damit die Auflagen nach 14 Tagen wieder gelockert werden können", sagt Laura Ríos.

Dass die Nerven blank liegen, merkt auch Pedro Andion. Der Kubaner ist wenige Stunden vor Beginn des Lockdowns aus Katalonien angereist, um den Geburtstag seiner 92-jährigen Mutter in ihrer Wohnung am äußeren Rand von Son Gotleu zu feiern. Auch zwei Enkel aus Deutschland sind gekommen. Nun wohnen die drei für einige Tage bei der alten Dame, doch der Lockdown überschattet den eigentlich unbeschwert geplanten Verwandtenbesuch. „Meine Mutter geht seit Monaten nicht mehr aus dem Haus, weil sie Angst hat, sich anzustecken. Durch den Lockdown ist ihre Sorge nun noch größer", so Andion. Obwohl sich die Familie die Zeit in der Wohnung mit Brettspielen und Rum versüßt und man froh ist, sich wiederzusehen, sei das Thema ­Corona allgegenwärtig. „Die paar Male, die wir das Haus verlassen mussten, um Besorgungen zu machen, waren kaum Menschen auf der Straße. Die, die ich gesehen habe, haben größtenteils die Maskenpflicht respektiert - und sich mit Hamsterkäufen eingedeckt."