Es ist ein weiterer Schritt in Richtung der Aufarbeitung der Schattenseiten der spanischen Geschichte und ein landesweites Pionier-Projekt: Die Balearen-Regierung will einen digitalen Katalog veröffentlichen, in dem Verfahren öffentlich einsehbar sind, die das Franco-Regime während des Bürgerkriegs gegen seine Gegner eröffnet hat. Insgesamt geht es um 2.761 Gerichtsakte und 4.653 Betroffene, die zwischen den Jahren 1936 und 1939 unter dem späteren Diktator leiden mussten.

"Es ist sehr wichtig für die Menschen, Zugang zur Wahrheit zu haben", betonte die Vorsitzende der Vereinigung "Memòria Històrica de Mallorca", Maria Antònia Oliver, am Mittwoch (28.10.) während eines feierlichen Akts, bei dem der Verein das digitale Verzeichnis an die Balearen-Regierung übergab.

Der Katalog umfasst mehr als 295.000 Dokumente, die in dem Projekt "Totes les Causes" (alle Fälle) seit 2010 abfotografiert worden sind. Die Balearen-Regierung hat sich dazu bereit erklärt, das umfassende Archiv zu ordnen und in eine Internetseite einzubetten (www.memoria.caib.es), die in Kürze freigeschaltet werden soll. Die Nutzer müssen allerdings einige Auflagen erfüllen, um die Dokumente einzusehen, da es sich um "höchst sensible Inhalte" handele, hieß es am Mittwoch seitens der Balearen-Regierung.

"Es ist das wichtigste existierende Archiv über die Unterdrückung auf Mallorca, zumal es von den Unterdrückern selbst gestaltet ist", so Oliver. Die Digitalisierung stelle nun sicher, dass die Dokumente, die teilweise bereits in schlechtem Zustand waren, weiter existieren.

Die meisten Verfahren, die in dem Katalog zu finden sind, behandeln den Straftatbestand Rebellion, einige prangern aber auch Homosexualität oder Abtreibungen an. Laut Oliver haben die Dokumente bereits wichtige Hinweise auf Massengräber geliefert, in denen das Franco-Regime einst seine Opfer verscharrte. Die balearische Ministerpräsidentin Francina Armengol entschuldigte sich am Mittwoch öffentlich bei den Opfern. "Ich weiß, dass wir spät dran sind und viele Menschen nicht mehr an der Gerechtigkeit teilhaben können."

Welche Wichtigkeit die Dokumente noch heute auch für Angehörige der Franco-Opfer haben, zeigt der Fall um Antoni Frau. Er ist einer von Tausenden, die in den Akten des Franco-Regimes vorkommen. "Ich wusste, was meinem Großvater zugestoßen ist, weil sie es mir mehr oder weniger erzählt haben, aber meine Großmutter redete sehr wenig davon und es fehlten Daten", berichtet die Enkelin Rosalía Magdalena Frau. Eines Tages habe der Verein "Memòria Històrica" sie angerufen um ihr mitzuteilen, dass sie die Akten des Großvaters zusammen mit seinem Autopsiebericht aufgetan hätten. "Als ich sie in den Händen hielt, war ich monatelang nicht in der Lage sie zu lesen. Aber ich traute mich. Und als ich das tat, war es wie eine Befreiung."

Die Enkelin erfuhr, dass ihr Großvater vorverurteilt worden war. "Er war Sekretär der sozialistischen Partei in Palma de Mallorca und Vorsitzender der sozialistischen Föderation in Santa Catalina. Er organisierte Theaterstücke für Menschen mit wenig Bildung. Kurz vor Kriegsbeginn hatte er sich mit einem Bischof angelegt, wegen eines Theaterstücks über Abtreibung", so Rosalía Magdalena Frau. Am 25. November 1936 wurde Antoni Frau in seinem Haus von Franco-Anhängern abgeholt und nie wieder lebend gesehen. "Es war eine Gruppe der Falange. In diesem Moment dachte meine Familie, dass sie ihn nicht umbringen, sondern ihm höchstens eine Tracht Prügel verpassen würden. Aber sie brachten ihn zum Friedhof und erschossen ihn. Meine Angehörigen kamen gerade noch rechtzeitig, um zu verhindern, dass sein Leichnam in einem Massengrab verscharrt wurde. So konnten sie ihn selbst beerdigen. Er war erst 53 Jahre alt", so die Enkelin.

Die vom Regime angelegte Akte zu dem Fall sei eine "Farce". "Sie haben es als einen gewöhnlichen Mord abgestempelt und so dargestellt, dass mein Großvater plötzlich verschwunden und irgendwann tot aufgefunden worden sei. Nach einem Jahr zwangen sie die Familie dazu, zur Polizei zu gehen, um den Fall abzuschließen, ohne einen Schuldigen gefunden zu haben."

Vor allem aber habe sie die Art und Weise geschockt, wie ihr Großvater gestorben sei. "Mir war immer erzählt worden, dass sie ihn mit zwei Schüssen umgebracht haben. Aber laut Autopsiebericht war er von Schüssen durchsiebt. Zudem musste er niederknien, um sich noch mehr zu unterwerfen." Für Rosalía Margalida Frau ist das digitale Archiv ein großer Erfolg. "Man muss wissen, was passiert ist, damit eine Ungeheuerlichkeit wie diese nie wieder passiert." /somo