„Wahrheit für Martina, Gerechtigkeit für alle" ist auf Italienisch auf den Spruchbändern zu lesen, die Demonstranten in den vergangenen Jahren immer wieder hervorgeholt haben, wenn sie für Verurteilungen im Fall Martina Rossi auf die Straße gegangen sind. Zehn Jahre ist es her, dass die 20-jährige Italienerin während ihres Mallorca-Urlaubs im August 2011 von einem Balkon aus dem sechsten Stock eines Hotels in Cala Major in den Tod stürzte. Während die Gerichte auf Mallorca den Fall schnell als balconing - also als Balkonsturz leichtsinniger oder angetrunkener junger ­Urlauber - zu den Akten legten, beschäftigt er die italienischen Gerichte noch immer. Denn möglicherweise verbirgt sich ein Verbrechen hinter dem Tod von Martina Rossi.

Der juristische Verlauf des Falls ist zäh: Zwei junge Männer, ebenfalls Italiener, waren bereits 2018 in Italien zu sechs Jahren Haft­strafe verurteilt worden, weil sie kurz vor dem Sturz versucht haben sollen, Rossi in ihrem Hotelzimmer zu vergewaltigen. Die beiden Hauptverdächtigen hatten sich im Lauf der Ermittlungen in Widersprüche verwickelt. Gegenüber der Nationalpolizei in Palma hatten sie ausgesagt, in jener Nacht nicht mit Martina Rossi zusammen gewesen zu sein. Bei Befragungen in Italien gaben sie später zu, dass die junge Frau doch bei ihnen im Zimmer war. Ein erstinstanzliches Gericht sah das als erwiesen an und warf ihnen letztlich versuchte Vergewaltigung mit Todesfolge vor.

Doch die Verurteilten gingen in Berufung. Ihre Anwälte argumentierten, dass die Ver­gewaltigung verjährt sei und zudem nicht ­genügend Beweismittel für den Tathergang ­vorlägen. Das Berufungsgericht gab ihnen recht - und sprach die beiden Männer im vergangenen Juni frei. Ein Urteil, das die Ange­hörigen der toten Studentin nicht nur dazu veranlasste, erneut Revision einzulegen, sondern in der italienischen Öffentlichkeit für ­einen Aufschrei sorgte. Auch feministische Gruppierungen hatten in den vergangenen Jahren mit zahlreichen Protestaktionen auf den Fall aufmerksam gemacht.

Dass in Italien überhaupt Ermittlungen aufgenommen wurden, hatte die Familie der Verstorbenen erreicht. Die Eltern der jungen Frau hatten nie an die Unfall-Version der Polizei auf Mallorca geglaubt und waren selbst auf die Insel gereist, um Nachforschungen anzustellen. Sie brachten bereits im Jahr 2012 ­einen italienischen Staatsanwalt dazu, den Fall neu aufzurollen und im Sommer 2014 eine erneute Autopsie von Martinas Körper zu veranlassen.

Ein Suizid galt für die Familie als völlig ausgeschlossen. Martina sei ein fröhliches Mädchen gewesen, das sich sehr auf ihren Urlaub auf Mallorca gefreut hatte. Auch an einen Unfall infolge von Alkoholgenuss glaubten ihre Eltern nicht. Die Studentin soll nie Alkohol getrunken haben. Die Obduktion bestätigte, dass die junge Frau weder Alkohol noch Drogenzu sich genommen hatte.

Ein endgültiger Urteilsspruch gegen die Hauptverdächtigen wird nun für den 21. Ja­nuar erwartet. Für März ist in einem Nebenverfahren zudem mit einem Urteil über zwei Freunde der Hauptverdächtigen zu rechnen. Ihnen wird vorgeworfen, gegenüber den ­Ermittlern falsche Aussagen gemacht zu haben, um ihre Freunde zu schützen. Den beiden drohen Haftstrafen von bis zu vier Jahren.