Stricken ist ein ausgesprochen produktiver Zeitvertreib. Und beruhigt zudem die Nerven. Denn gerade die liegen bei Joana Prohens seit Wochen blank. Aus diesem Grund hat die 49-jährige Mallorquinerin heute mal ihr Strickzeug zur Arbeit am Flughafen auf Mallorcamitgenommen. „Irgendwie muss man die Zeit mit etwas Sinnvollem totschlagen", sagt sie und klappert dabei eifrig mit den Nadeln hinter dem Lenkrad. Ein Paar Socken für die zwei Monate alte Enkelin sollen irgendwann dabei herauskommen. Nun gut.

Etwa zehn Meter von Joanas Skoda entfernt, am Taxistand vor dem Ankunftsterminal von Palmas Flughafen, sitzt ein Teil ihrer männlichen Berufskollegen gelangweilt auf der Bank. Statt zu stricken starrt man hier in die Luft. Oder auf den Boden. Manchmal auch verzweifelt Richtung Terminalausgang.

Rund ein Dutzend Flugzeuge sollen an diesem Tag noch landen, die Mehrzahl davon von den Nachbarinseln Ibiza und Menorca, der Rest vom spanischen Festland. Wie viele Passagiere davon ein Taxi rufen werden, sei schwer vorherzusagen, sagt Juan Antonio. „Wenn ich Glück habe, mache ich noch zwei Touren." Wenn nicht, na ja.

Wer will noch Taxi fahren?

Der derzeit brachliegende Flugverkehr. Von den mehr als 1.200 im Stadtgebiet von Palma registrierten Taxis dürfen nur noch 20 Prozent auf die Straße. So hat es das Rathaus angeordnet. „Das sind für jeden von uns gerade einmal zweieinhalb Arbeitstage pro Woche", sagt Juan Antonio resigniert.

Dass vor allem am Airport dennoch viele Taxis stehen, habe einen einfachen Grund: „Die meisten Restaurants, Lokale, Geschäfte oder Sehenswürdigkeiten im Stadtgebiet sind dicht. Wer will da noch Taxi fahren?" Der Airport sei sowohl für ihn, als auch die meisten anderen als selbstständige Unternehmer arbeitenden Fahrer die einzige Möglichkeit, überhaupt noch an Kunden zu kommen. „Vor der Krise haben wir im Durchschnitt eine Stunde auf eine Fuhre gewartet. Derzeit sind es vier Stunden oder mehr. Vergangenen Sonntag mussten Kollegen, die bereits um 6 Uhr morgens auf dem Parkplatz standen, bis um halb drei nachmittags auf den ersten Kunden ausharren", erzählt Juan Antonio. Seine derzeitigen Einnahmen reichten gerade einmal aus, um die Sozialversicherungsabgaben und die Miete zu zahlen. Bei einigen Kollegen sehe die Lage noch schlimmer aus.

Der Pleitegeier der Corona-Krise zieht natürlich nicht nur über dem Taxistand stetig seine Kreise. Auch hinter den verspiegelten Türen von Palmas International Airport, der bis zum Ausbruch der Virus-Pandemie zu den 20 verkehrsreichsten Flughäfen Europas gehörte, herrscht alles andere als business as ­usual. Und Business hat hier eigentlich einen enormen Stellenwert. Son Sant Joan ist nämlich nicht nur simpler Start- und Landeplatz für Verkehrsflugzeuge aus halb Europa, sondern dank seiner kommerziellen Vertriebs­fläche von mehr als 20.000 Quadratmetern das größte überdachte Einkaufszentrum auf den Balearen. Mehr als die Hälfte dieser ­Fläche nehmen gastronomische Angebote wie Cafés, Bars oder Restaurants ein. Die anderen rund 8.200 Quadratmeter im Terminal sind Unternehmen, Geschäften und Dienstleistern wie Airlines, Autovermietungen, Reiseagenturen, Mode- und Schmuck-Bouti­quen, Zeitschriftenhändlern, Technik-Gadgets-Shops, Souvenir- und Spielzeugläden ­sowie dem Duty-Free-Bereich vorbehalten.

Allerdings: Nicht jeder, der möchte, kann am Airport ein Geschäft aufmachen. In der Regel stecken hinter den meisten Läden nationale oder internationale Unternehmensketten. Einige davon, wie Fast-Food-Riese McDonald's oder das spanische Modelabel „Desigual", sind den meisten Konsumenten bekannt, die große Mehrzahl dagegen überhaupt nicht. „Zea Retail" beispielsweise, ein 2014 in Madrid gegründetes Unternehmen, das sich auf den Vertrieb von Reiseartikeln und Techno-Gadgets an Orten mit höchstmöglicher Touristenfluktuation spezialisiert hat. Zea Retail betreibt unter anderem 13 Shops in spanischen Flughäfen, drei davon in Palma.

Oder „Areas". Schon mal davon gehört? Das Unternehmen mit Sitz in Barcelona zählt zu den Big Playern der weltweiten Reise-Gastro-Branche und bedient in mehr als 2.000 eigenen Airport-, Bus- und Bahnhofsrestaurants rund um den Globus mehr als 340 Millionen Kunden jährlich. In Palmas Flughafen ist Areas mit 24 Gastro-Spots wie „Deli&Cia" der Platzhirsch unter allen Gastro-Anbietern, auch wenn es aufgrund der kürzlichen Übernahme von Konkurrent „Autogrill" aus wettbewerbsrechtlichen Gründen einige der Lokale wieder schließen muss.

Die Zusage für eine Geschäftskonzession in Palmas Airport hängt in erster Linie davon ab, ob das Unternehmen mit seinem Angebot in das kommerzielle Gesamtkonzept von Aena passt. Und einem dazugehörigen, hinsichtlich des angepeilten Jahresumsatzes ­vielversprechenden Business-Plans. Es geht schließlich um Geld. Viel Geld. 2019 bezifferte Aena den Gesamtumsatz aller an Palmas Flughafen ansässigen Konzessionsunternehmen auf rund 90 Millionen Euro. Angesichts von knapp 30 Millionen registrierten Fluggästen eine irgendwie verwirrende Zahl. Schließlich würde sie bedeuten, dass jeder Airportgast während seines Aufenthaltes im Flughafen im Durchschnitt nur 3 Euro Umsatz generierte.

Ebenfalls fragwürdig: Aus welchem Grund sollten die Geschäftsbetreiber Aena ihre Einnahmen überhaupt offenlegen? Und genau das ist der springende Punkt. Die monatlichen "Lokalmieten" werden von Aena nach den zu erwartenden Jahresumsätzen der Konzessionsnehmer berechnet. Und: Damit die Flughafenbetreiber in einem schlechten Geschäftsjahr womöglich nicht ganz leer aus­gehen, wird eine Minimum-Umsatzgrenze festgelegt, die so genannte renta mínima garantizada anual (RMGA).

Bis zum vergangenen Jahr alles scheinbar kein Problem. Doch dann brach die Pandemie aus. Statt rund 30 Millionen durchquerten 2020 nur noch rund sechs Millionen Menschen den Flughafen. Für die Geschäftsbetreiber also 80 Prozent weniger Laufkundschaft als zuvor. Die Folge: Seit vergangenem Oktober haben fast alle von ihnen den Laden ­dichtgemacht und ihre Angestellten entlassen oder in Kurzarbeit geschickt. Anfang dieses Jahres bat Aena dennoch zur Kasse. Und berief sich dabei auf die RMGA-Klausel in den Konzessionsverträgen. Seitdem hängt der Haussegen in Son Sant Joan schief. Die Mehrzahl der Geschäftsbetreiber verlangt von Aena eine Anpassung ihrer laufenden Verträge an die derzeitige krisen­bedingte wirtschaftliche Situation sowie eine Stundung der „Mieten" für den dreimonatigen Lockdown im Frühjahr 2020. Die Flug­hafenbetreiber wollen davon jedoch nichts wissen. Der Gang vor die Gerichte scheint damit unausweichlich.

Bürokratisches Monster Aena

Das eigentliche Problem dabei ist Aena selbst. Oder um es noch komplizierter zu machen: Aena ist nicht gleich Aena. Hinter dieser Abkürzung steckt die Aktiengesellschaft „Aero­puertos Españoles y Navegación Aérea", ein ehemals staatliches Unternehmen zur Verwaltung aller Flughäfen in Spanien. 2010 begann die Zentralregierung in Madrid mit dessen Teil­privatisierung, die jedoch aufgrund zahlreicher juristischer und politischer Ungereimtheiten erst vier Jahre später zum Börsengang führte. Gleichzeitig wurde die Verwaltung zahlreicher Flughäfen aus Kostenspargründen an ­verschiedene private Betreiber vergeben, was wiederum zu einer Unklarheit hinsichtlich der Entscheidungskompetenzen im Unternehmen führte. Vielleicht ein Grund für die derzeitige Situation in Son Sant Joan.