Schlange stehen, als wäre nichts gewesen. Zehn deutsche Urlauber warten am Freitagvormittag (9.4.) vor einem deutschen Ärztezentrum im Süden der Insel. Man lacht und vertreibt sich die Zeit. "Ach, ist das der Arzt, den man festgenommen hat?", fragt einer der Wartenden auf MZ-Nachfrage ungläubig. Danach sorgt er sich aber doch lieber wieder um seinen Termin und erkundigt sich bei anderen Leuten in der Schlange nach dem Preis für den Corona-Test, den die Praxis weiterhin anbietet. Der Aushang an der Tür hat eine ironische Note: "Liebe Patienten, diese Praxis nimmt die durch Covid 19 entstandenen Gefahren sehr ernst!"

Nein, festgenommen wurde bislang niemand. Doch die Polizei ermittelt gegen einen der hier tätigen Ärzte. Ihm wird vorgeworfen, negative PCR-Testergebnisse ausgestellt zu haben, ohne den Test überhaupt durchgeführt zu haben, sowie Antigentests als PCR-Tests ausgegeben zu haben. Auch das Testdatum soll er ja nach Belieben des Patienten eingetragen haben. Den Stein ins Rollen brachte eine RTL-Reportage in der Sendung "Menschen, Momente, Geschichten". Die MZ kann die Anschuldigungen mit eigenen Quellen bestätigen.

Fragt man in dem bei Deutschen beliebten Ort im Inselsüden herum, hört man überall, dass der Herr Doktor ein komischer Kauz sei. Er wird als netter, intelligenter, kompetenter Arzt beschrieben. "Er spricht fließend Mallorquinisch. Durch seine eigentümliche Art hat er es aber trotzdem nicht geschafft, sich zu integrieren", erzählt eine deutsche Residentin. "Er ist der Typ Mensch, der dir immer Kontra gibt."

Zudem habe der dreifache Familienvater einen schrägen Humor. So habe er Patienten schon mal spaßeshalber Krebs diagnostiziert, ohne sie wirklich zu untersuchen. Auch die Ermittlungen gegen ihn verderben ihm wohl nicht die Laune. "Eine Bekannte hat dieser Tage einen Corona-Test bei ihm gemacht. Er hat sich selbst als Bösewicht vorgestellt und Scherze darüber gemacht. Meinte aber, dass er jetzt nur noch sauber arbeite", berichtet die Deutsche. Einer der Patienten in der Warteschlange bestätigte der MZ nach dem Besuch der Praxis, dass sein PCR-Test richtig ausgeführt worden war.

"Als ich von den Vorfällen gehört habe, war mir klar, dass es sich nur um ihn handeln kann", schildert eine andere Inselresidentin aus der Schweiz der MZ. Sie war im vergangenen August bei ihm in Behandlung. "Noch ehe ich mich hingesetzt und mein Leiden geklagt hatte, hat er mich gefragt, ob ich ein Attest für die Befreiung von der Atemmaske wolle." Auch andere Patienten berichten der MZ, dass sie diese Zertifikate für 60 Euro regelrecht aufgedrängt bekamen.

An seinen sonstigen fachlichen Qualifikationen zweifeln die Gesprächspartner im Ort nicht. Es gibt auch Stimmen, die ihn verteidigen. "Es ist mein Hausarzt, und ich kann nichts Schlechtes über ihn sagen. Für meine Schwiegereltern war er Tag und Nacht im Einsatz", sagt eine Frau. Sie verstehe nicht, wie es zu solchen Berichten kommen kann. "Ich glaube kaum, dass er für ein paar leichte Euros bei den Corona-Tests seine Existenz aufs Spiel setzen würde."

Die Frage nach dem Ob und Warum bleibt weiter ungeklärt, zunächst gilt weiter die Unschuldsvermutung. Der Arzt selbst setzte die MZ mit einem freundlichen "Danke schön" vor die Tür und war zu keiner Stellungnahme bereit. "Er hat wohl den Ernst der Lage nicht erkannt. Es geht hier nicht um ein Kavaliersdelikt", sagt die deutsche Residentin. "In Zeiten, in denen Karl Lauterbach die Corona-Zahlen auf Mallorca anfechtet, kocht so ein Thema natürlich schnell hoch. Das schadet dem Image der ganzen Insel."

Mit ihm im Schlamassel sitzen noch zwei andere Ärzte in der Gemeinschaftspraxis. "Mir geht es sehr schlecht. Ich werde in den ganzen Strudel mit hineingezogen", sagt einer von ihnen. Das Ärztezentrum sei wie eine Bürogemeinschaft. "Wir teilen uns das Wartezimmer und die Mietkosten. Ansonsten hat jeder seine eigene Praxis. Ich bin weder sein Vorgesetzter noch würde ich ihn als Freund bezeichnen. Zu mir kommen die Leute wegen anderer Beschwerden, einen Corona-Test habe ich noch nie vorgenommen."

Mutmaßungen über die Beweggründe des Kollegen möchte er nicht anstellen. "Ich vertraue in die spanische Rechtsprechung." Die spanische Nationalpolizei und die Guardia Civil ermitteln in dem Fall gemeinsam. Die balearische Ärztekammer macht von dem Ermittlungsergebnis eine eigene Untersuchung abhängig, die bis zu einem Berufsverbot führen könnte.