In den vergangenen Jahren hat vielerorts auf der Welt die Polarisierung und Aggressivität in Politik und Gesellschaft zugenommen. Auch in Spanien verroht der Umgang zunehmend. Die Kampagne zu den Neuwahlen in der Region Madrid am 4. Mai ist ein neuer Tiefpunkt in der demokratischen Kultur des Landes, mit wüsten Anfeindungen, Drohbriefen mit Patronen und Messern, abgebrochenen Debatten und extrem simplen Slogans aus den 30er-Jahren wie „Freiheit oder Kommunismus" und „Demokratie oder Faschismus". Eine Woche vor dem Wahlgang haben die Parteien rechts und links des Spektrums ihren Aufruf an die Wähler im Wesentlichen darauf reduziert, dass es den Sieg der anderen Seite zu verhindern gilt.

Die Region Madrid mit ihren 6,6 Millionen Einwohnern ist ein eigenartiges Konstrukt des spanischen Föderalismus. Im Gegensatz zu den anderen 16 Regionen hat die im Herzen der iberischen Halbinsel gelegene Hauptstadt mit ihren Vororten keine historisch gewachsene eigene Identität, wie sie Andalusien, das Baskenland, die Balearen und die anderen Regionen kennzeichnet. Gleichzeitig ist Madrid in den vergangenen Jahren zum wirtschaftsstärksten Landesteil aufgestiegen.

Seit einem Vierteljahrhundert regiert ununterbrochen die konservative Volkspartei (PP). In dieser Zeit hat es zahlreiche große Korruptionsskandale gegeben. Den Rechten hat das in der Wählergunst kaum geschadet. Lediglich 2003 kamen die Sozialisten (PSOE) zusammen mit der Vereinigten Linken (IU) auf eine knappe Mehrheit der Sitze. Doch zwei abtrünnige Parlamentarier der PSOE machten den Machtwechsel aus bis heute ungeklärten Gründen zunichte. Bei den letzten Wahlen vor zwei Jahren wurden die Sozialisten erneut stärkste Kraft und hätten mit den Linken und den liberalen Ciudadanos die Regierung stellen können. Doch die Ciudadanos zogen es vor, als Juniorpartner in eine Koalition mit der PP einzutreten, die auf die Unterstützung der rechtsextremen Vox angewiesen war. Als Sozialisten und Liberale im März die PP-Regierung in der Region Murcia stürzen wollten, beendete die konservative Ministerpräsidentin Madrids, Isabel Díaz Ayuso, ihr Bündnis und rief Neuwahlen aus.

Die 42-jährige Regierungschefin liegt in allen Umfragen deutlich vorn. Díaz Ayuso hat die Kampagne ganz auf sich zugeschnitten. Ihre Herausforderer sind nicht die anderen Kandidaten wie etwa Ángel Gabilondo von der PSOE, der vor zwei Jahren die meisten Stimmen bekam. Sie legt sich bei allen Auftritten mit dem spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez an, dessen Politik zur Pandemiebekämpfung sie seit Beginn an zu unterlaufen versucht. So werde Madrid „das gallische Dorf des Widerstandes" gegen Sánchez' Koalition aus Sozialisten und Linken sein. „Ich schaue ihm in die Augen und sage' wir sehen uns am 4. Mai an den Urnen", so Díaz Ayuso.

Seit dem Sommer hat die Region die mit Abstand lockersten Corona-Beschränkungen Spaniens, wenn nicht gar Europas. So dürfen Bars und Restaurants bis 23 Uhr öffnen. Dabei belegt die Hauptstadt bei den Neuinfektionen seit Monaten einen der führenden Plätze im Land. Díaz Ayuso machte diesen Umgang mit dem Virus zum Hauptthema ihrer Kampagne. Auf den Plakaten an den Madrider Straßen und Plätzen steht neben dem Konterfei der Kandidatin der einfache Slogan „Libertad" („Freiheit"). In zahlreichen Bars und Restaurants haben die Wirte das Schild ins Fenster gehangen. Damit nicht genug. In ihren Reden baut Díaz Ayuso das Wahlmotto zu „Freiheit oder Kommunismus" aus. Bei einer Linksregierung in Madrid wäre es angeblich vorbei mit der Freizügigkeit bei abendlichen Bierchen und Essen.

Diese Art der Polarisierung, die die eigenen Wähler motivieren soll, wird von Experten mit der Taktik des früheren US-Präsidenten Donald Trump verglichen. Zum Entzücken von Díaz Ayuso und ihrem Berater Miguel Ángel Rodríguez - früher einmal Regierungssprecher unter José María Aznar - nahm man auf der Gegenseite den Fehdehandschuh mit Freude auf. Der Vorsitzende der Linkspartei Podemos, Pablo Iglesias, verzichtete überraschend auf sein Amt als stellvertretender Ministerpräsident Spaniens, um die Partei vor dem drohenden Abstieg in Madrid zu retten. Nach seinen Worten geht es ihm freilich darum, eine Regierung der PP mit den Rechtsextremen von Vox in Madrid zu verhindern. Der überzogene Slogan der Linken: „Demokratie oder Faschismus".

Das Schlachtfeld war bestellt, und die Ereignisse im Wahlkampf haben die Konfrontation angeheizt. Vox nahm mit einem Wahlkampfauftritt im linken Arbeiterviertel Vallecas eine Auseinandersetzung mit Gegendemonstranten gern in Kauf. Iglesias erhielt einen Drohbrief mit Pistolenpatronen, genauso wie Innenminister Fernando Grande-Marlaska und die Chefin der Guardia Civil, María Gámez. Als sich die Kandidatin von Vox, Rocío Monasterio, in einer Radiodebatte weigerte, die Morddrohung zu verurteilen, verließ Iglesias unter Protest das Studio.

Am Montag (26.4.) erhielt Reyes Maroto, die Ministerin für Industrie und Tourismus und Nummer zwei der Kandidatenliste der PSOE in Madrid, einen Brief inklusive Klappmesser mit roten Flecken. Dafür war ein geistig verwirrter Mann verantwortlich, wie sich später herausstellte. „Alle Demokraten werden mit dem Tode bedroht, wenn wir Vox nicht an den Urnen stoppen", proklamierte die Sozialistin. Díaz Ayuso verurteilte die Drohbriefe, unterstellte den Linken jedoch, „einen Zirkus" zu veranstalten. Tags darauf fing die Polizei in Katalonien einen an Díaz Ayuso adressierten Brief mit zwei Patronen ab.

Angesichts dieser Polarisierung kommen Sachthemen im Wahlkampf weniger vor. Anfangs ging es noch um die Pandemiebekämpfung. Madrid hatte während der ersten Welle die mit Abstand meisten Todesfälle in Spanien, wofür die Opposition Díaz Ayuso verantwortlich macht: Die PP hat mit der Sparpolitik das Gesundheitssystem geschwächt. Die linken Parteien versprechen, etwas gegen die Wohnungsnot in der Metropole zu tun. PP und Vox gehen dagegen mit Steuersenkungen auf Stimmenfang. Madrid hat heute bereits mit die niedrigsten Abgaben, besonders was die Erbschafts- und Vermögenssteuer angeht. Vox macht außerdem mit einer rassistisch geprägten Kampagne Angst vor Migranten.

Die konservative und sozial meist besser gestellte Wählerschaft ist in der Hauptstadt traditionell stärker mobilisiert. Die linken Parteien richten ihren Wahlkampf daher vor allem darauf aus, in den Arbeitervierteln und Vororten die Menschen an die Urne zu bewegen. Das scheint den Umfragen nach besonders gut Más Madrid zu gelingen, einer Absplitterung von Podemos, die mit fast 20 Prozent den Sozialisten auf die Pelle rückt. Spitzenkandidatin Mónica García versucht, sich der Schlammschlacht mit Sachthemen zu entziehen. Die Medizinerin hat in der Pandemie Erfahrungen im Krankenhaus gesammelt. Die Ciudadanos müssen dagegen um den Wiedereinzug ins Parlament fürchten. Die Liberalen schließen Bündnisse mit linken Parteien aus und wollen trotz der Demütigungen der vergangenen Jahre erneut mit der PP regieren.

Díaz Ayuso macht sich unterdessen Hoffnungen auf eine absolute Mehrheit. Doch wahrscheinlich wird sie am Ende auf die Stimmen von Vox angewiesen sein. Das wäre wiederum ein Problem für den PP-Vorsitzenden Pablo Casado. Denn der Oppositionsführer will die Konservativen in ganz Spanien wieder mehr in die politische Mitte führen. Ein Regierung mit den Rechtsradikalen in der Hauptstadt wäre dabei wenig hilfreich.