Llorenç Coll kennt die Probleme von Palmas sozialem Brennpunkt Son Gotleu wie kaum ein zweiter. Seit 23 Jahren ist der Mallorquiner als Sozialarbeiter der Stadt in dem Viertel unterwegs, seit zwölf Jahren kümmert er sich als Sachbearbeiter vor allem um den Aspekt Bildung. Dass Investitionen in dem Stadtteil an der östlichen Ringautobahn drängen, steht außer Zweifel, von daher wären die 23 Millionen Euro, die derzeit im Rahmen der EU-Next-Generation-Fonds unter anderem für Son Gotleu in Aussicht stehen, ein wichtiger Anfang. Das Geld soll vor allem in die Verbesserung der zum Teil sehr heruntergekommenen Gebäude gesteckt werden. Auch 300 Sozialwohnungen sind mit den EU-Hilfen geplant. Ob und wann dieses Geld tatsächlich kommt, ist heute noch nicht absehbar. Im Gespräch mit der MZ berichtet Coll, wo Handlungsbedarf besteht.

Was erhoffen Sie sich von einer möglichen Finanzspritze der EU?

Ich habe bisher auch nur aus der Presse von dem Bemühen um die Fonds erfahren. Sollte es aber klappen mit dem Geld, dann gäbe es einige Dinge, die man dringend angehen müsste. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Leute sich viel wohler fühlen würden, wenn das Viertel besser aussehen würde. Und auf diesem Weg muss man die Leute mitnehmen. Wenn man die Verbesserungen nicht mit den Bewohnern zusammen angeht, dann sehen sie es nicht als ihres an und behandeln es auch nicht pfleglich.

Was müsste dafür konkret passieren?

Das Viertel kämpft nun mal mit einem Stigma. Deshalb wäre es ein großer Fortschritt, dieses negative Stigma ein Stück weit abzubauen. Dafür muss man die Probleme aber ansprechen und angehen, so wie etwa den Drogenverkauf in manchen Straßen oder die Wohnsituation. Vor allem der Zustand der Gebäude und die Wohnsituation müssen sich verbessern. Es würde ja schon viel helfen, wenn die Fassaden mal gestrichen werden würden, wenn die Stromkabel und die Wäscheleinen von den Fassaden verschwinden würden oder auch die kaputten Markisen. Viele Gemeinschaftsbereiche wurden in der Vergangenheit bereits verschönert, jetzt sind mal die Häuser der Bewohner des Viertels an der Reihe. Viele haben keine würdige Wohnung. Es sind Wohnungen, die auch aufgrund des häufigen Wechsels der Bewohner sehr heruntergekommen sind. Die Wohnungen wurden nicht pfleglich behandelt. Kaum können es sich die Leute aufgrund eines besseren Jobs leisten, woanders zu leben, versuchen sie, aus Son Gotleu wegzuziehen. Und wenn sich, wie hier, die Bevölkerung häufig ändert, fällt eine Identifikation mit dem Viertel auch schwer. Dabei wäre sie für das Selbstbewusstsein der Bewohner enorm wichtig.

Was wäre der nächste Schritt?

Wir müssen die Arbeit mit den Jugendlichen verstärken. Es wird vor allem in der Grundschule eine großartige Arbeit geleistet, aber man müsste viel mehr mit älteren Jugendlichen ab 12, 13 Jahren arbeiten. Das ist ein schwieriges Alter, die Umgebung hier im Viertel macht das Aufwachsen nicht einfacher, aber gleichzeitig enden viele Aktivitäten in diesem Alter. In diesem Bereich braucht es deutlich mehr Kontinuität.

Wie könnte man den Drogenverkauf einschränken?

Für diesen Bereich sind zwar auch die örtlichen Behörden zuständig, vor allem aber die Nationalpolizei und die Vertretung der Zentralregierung. Seit zwei Jahren beobachte ich eine starke Zunahme des Drogenverkaufs, den man deutlich im Straßenbild wahrnimmt und der große Konflikte im Zusammenleben mit sich bringt. Häufig verharmlosen wir das Thema hier im Viertel, weil es schon dazugehört. Aber es kann nicht sein, dass es in den Schulhöfen nach Marihuana riecht oder dass jemand auf dem Bürgersteig vor der Schule Drogen oder Alkohol konsumiert. Diesen Leuten muss geholfen werden, es muss in der Prävention gearbeitet werden. Die Jugendlichen wissen, dass Drogen verkauft werden und dass man so an schnelles Geld kommt. Aber auf der anderen Seite muss von Seiten der Sicherheitskräfte mehr kommen, um das Problem einzudämmen.

Ein weiterer Punkt wäre die Stärkung der Ausbildung, gerade von Frauen. Was müsste da getan werden?

Jetzt in der Pandemie hat sich das etwas geändert, aber vorher haben wir viel Alphabetisierungsunterricht, vor allem auf Spanisch, gegeben. Man müsste aber darüber hinaus auch viel mehr Basis-Fähigkeiten vermitteln, wie etwa Kochen, Nähen oder auch Betreuung. Dort, wo es Möglichkeiten gibt, den Frauen im Viertel Arbeit zu geben. Bei den Männern ist das Problem, dass es viele ab 45 praktisch ohne Ausbildung gibt, die schwierig in den Arbeitsmarkt zu integrieren sind.

Warum steht Son Gotleu insgesamt so schlecht da?

Das Hauptproblem ist die prekäre finanzielle Situation vieler Familien. Viele Menschen hier haben nur eine sehr elementare Ausbildung. Auf dem Arbeitsmarkt bekommen sie damit nur zeitlich begrenzte, schlecht bezahlte Jobs. In einer Wirtschaftskrise sind sie die ersten, die ihre Stellen verlieren. Dass viele von ihnen in einer irregulären Situation hier sind und deshalb Angst haben, ihre Rechte einzufordern, verkompliziert die Situation zusätzlich.

Viertel wie Son Gotleu scheinen immer ein wenig vernachlässigt zu werden.

Diese Viertel sind schon lange in Vergessenheit geraten. Man hat hier in Son Gotleu häufig kleine Verbesserungen gemacht, aber nicht das große Ganze gesehen. Es wäre wichtig, zielführende Projekte zu beginnen, die man danach kritisch bewertet. Oft wird irgendetwas gemacht, aber danach schaut sich niemand an, ob sich tatsächlich etwas verbessert hat, und wenn ja, in welchen Bereichen es Verbesserungen gab.