Wenn sich irgendwo der Wandel unserer Gesellschaft ablesen lässt, dann in der Kathedrale. Das Gebäude an sich hat sich kaum verändert, doch der Betrieb ist heute ein ganz anderer als zur Blütezeit, in der gut 100 Priester an mehr als 30 Altaren ­amtierten – heute finden die Messen lediglich an den Wochenenden statt. Und früher betraten nur wenige Menschen das Gotteshaus, um „nur" dessen Schönheit zu bewundern. Offiziell zur Touristenattraktion mutierte La Seu 1975, als sich die Domverwaltung gezwungen sah, die ­Besuchermassen zu organisieren.

Der letzte Quantensprung erfolgte 2007 mit der Einweihung der Barceló-Kapelle: Schlagartig verstärkte sich der Besucherstrom um 23 Prozent, die Jahres-Gesamtzahl nähert sich der Millionenmarke. Die catedral de Mallorca ist die meistbesuchte Touristenattraktion der Balearen und wurde vor kurzem von über 100.000 Internet-Nutzern zum „besten religiösen Baudenkmal Spaniens" gewählt, noch vor der ­Moschee-Kathedrale von Córdoba.

La Seu Superstar. Mit dieser Mischung aus Rummel und Religion, aus kultureller Berieselung und katholischer Besinnung symbolisiert die Kathedrale eine Entwicklung, wie sie auch das Weihnachtsfest genommen hat: Aus dem spirituellen Supermarkt der Monumente, Symbole und Riten pickt sich ein zusehends unreligiöses Publikum das Attraktivste heraus, verpackt es neu und verleiht ihm als Marke, als Produkt eine neue Existenz, die sich oft zur Gänze von den Ursprüngen abkoppelt. Im Fall der Kathedrale könnte man fragen: Befriedigt ihre historische Pracht vor allem das Bedürfnis nach dem visuellen Kick gotischer Monumentalität oder „bringt" sie es auch beim modernen Betrachter, funktioniert sie noch als Brücke zu etwas Höherem, wie immer man das benennen mag?

Zumindest dürfte La Seu bei vielen das Bedürfnis wecken, gedanklich ans Universum anzudocken. Grund genug, dieser Tage die Kathedrale aufzusuchen.