Leider kein Einzelfall - mit diesem Satz werden Nachrichten gerne versehen, damit sie noch erschreckender, noch dramatischer wirken. Charlie, der obdachlose Deutsche, der nun tot ist, war sicherlich kein Einzelfall. Doch er wollte mit Sicherheit auch nicht als arme Kreatur, der ihr tragisches Schicksal zum Verhängnis wurde, Schlagzeilen machen und als solche in die Geschichte eingehen. Denn bemitleidenswert ist er lediglich vom Standpunkt einer Gesellschaft aus, die sich schwer tut mit anderen Lebensentwürfen.

Objektiv gesehen dagegen sind Charlie und all die anderen, die sich für ein Leben auf den Straßen Mallorcas - und nicht Berlins oder einer bayerischen Kleinstadt - entschieden haben, nur eine von vielen Gruppen unterschiedlichster „Insel-Deutscher". Wenn Millionäre, Rentner, Angestellte oder Existenzgründer mit vielfältigsten ­Geschäftsideen aufgrund der zu langen, kalten und grauen deutschen Winter Mallorca den Vorzug geben - warum sollten das nicht auch Obdachlose tun? Würde man sie zählen, würde ihr prozentualer Anteil hier vermutlich höher sein als anderswo. Doch auch das ist kein Drama. Denn wenngleich es für die allermeisten Menschen mit festem Wohnsitz - inklusive Dusche und Toilette - nur schwer nachvollziehbar ist: Viele Obdachlose haben sich für dieses Leben entschieden, wollen daran nichts ändern und von Hilfsangeboten nichts wissen. Dass psychische Probleme oder Alkoholsucht es vielen irgendwann unmöglich machen, ins „normale" Leben zurückzukehren, darf hierbei nicht beschönigt werden.

Die Entscheidung, den freien Willen eines besonders freiheitsliebenden Landstreichers zu tolerieren oder einzuschreiten, weil dessen Gesundheit oder Leben ernsthaft in Gefahr ist, spielt sich auf einem schmalen Grat ab. Um sie richtig zu fällen, muss man hinschauen, mit ihnen reden. Und zwar nicht nur, wenn sich in der Krise auf einmal sogar deutsche Lokalblätter für das Schicksal der obdachlosen Deutschen auf der ­Ferieninsel ­interessieren. Charlie und all die anderen waren schon lange zuvor unter uns.