Wer als Außenstehender in der Katalonien-Krise Partei ergreifen will, findet Argumente für jede der beiden scheinbar unversöhnlichen Positionen. Das mag daran liegen, dass man als Ausländer die Beobachterrolle einnimmt und nicht von der Hysterie der Beteiligten ergriffen wurde. Aber es liegt auch daran, dass es wie in den meisten Konflikten keine absoluten Wahrheiten gibt, so sehr das auch die Verfassungshüter in Madrid und die Verteidiger des Selbstbestimmungsrechts in Barcelona glauben machen wollen.

Formal betrachtet verbietet die spanische Verfassung ein Referendum, wie es die katalanische Regierung trotz Festnahmen und Durchsuchungen an diesem Sonntag (1.10.) durchziehen will. Das ist keine spanische Besonderheit, sondern wurde etwa von deutschen Bundesverfassungsrichtern im Fall von Bayern ähnlich gesehen. Für Sezessionsbestrebungen der Länder sei unter dem Grundgesetz kein Raum, hieß es im Januar nach einer Verfassungsbeschwerde. Zu den formalen Argumenten gehört aber auch, dass eine Verfassung geändert

werden kann. Und nur, wenn ein Referendum im gesicherten Rechtsrahmen wie im Fall von Schottland stattfindet, ist eine Mehrheit für eine Loslösung etwas wert.

Politisch betrachtet steht Madrid überhaupt nicht gut da. Die konservative Regierungspartei hat Katalonien gedemütigt - vor allem mit ihrer 2010 erfolgreichen Klage gegen ein von zwei Parlamenten abgesegnetes Autonomie­statut -, und sie hat einem sich zuspitzenden Problem eine Lösung verweigert. Spanien schreit nach einer großen Föderalismusreform.

Vor allem findet die Katalonien-Krise jedoch auf einer emotionalen Ebene statt. Hier wird schon lange nicht mehr abgewogen und nach intelligenten Lösungen gesucht. Stattdessen regieren Sturheit, Hass und Ideologie. Nationale Gefühle sind keine absoluten Wahrheiten, kein Ersatz für Politik und hebeln das Rechtssystem nicht aus. Und Madrid wäre gut beraten, politische Lösungen anzubieten, statt unerbittlich Polizei und Justiz vorzuschicken.

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