Es tut uns leid, diese Nachricht überbringen zu müssen, aber es ist nun einmal unsere Aufgabe: „Sagen, was ist", wie es „Spiegel"-Herausgeber Rudolf Augstein einst so griffig formulierte. Die Corona-Lage auf Mallorca ist ernst, und die Insel ist aller Voraussicht nach noch weit davon entfernt, nicht mehr als „Risikogebiet" eingestuft zu werden. In bekannten deutschen Insel-Medien wird der Eindruck vermittelt, dass es bergauf geht und die Reisewarnung schon sehr bald aufgehoben werden wird, aber das ist denkfaul, unseriös und unverantwortlich.

„Wishful thinking" heißt es auf Englisch. Man wünschte, es wäre so. Aber es ist nicht so. Um die Schwere der Pandemie zu messen, hat sich die Bundesregierung für die sogenannte 7-Tages-Inzidenz entschieden und einen Richtwert aufgestellt. Das sind die berühmten 50 Neuinfektionen auf 100.000 Bewohner in der zurückliegenden Woche. Wenn dieser statistische Wert anhaltend über 50 liegt, kann ein Land, eine Region, eine Gemeinde zum „Risikogebiet" erklärt werden. In der Folge wird dann von Reisen dorthin gewarnt.

Was die Balearen betrifft, also Mallorca, Ibiza, Menorca und Formentera, ist dieser Wert laut den vom Gesundheitsministerium in Madrid veröffentlichten Zahlen schon seit Wochen sonderbar niedrig. Zuletzt ist er deutlich unter 50 gefallen. Jedem, der nachrechnete und diesen Wert mit den von der Balearen-Regierung in Palma veröffentlichten Zahlen verglich, musste auffallen, dass da etwas nicht stimmte.

Wie konnte es zu solch eklatanten Unstimmigkeiten kommen? Von der MZ dazu befragt, verwies die balearische Gesundheitsministerin am Mittwoch auf eine verzögerte Datenwiedergabe an Madrid und ein „schwer zu erklärendes" Verfahren. Am Freitag sprach die für die Versorgungsqualität verantwortliche Direktorin im Gesundheitsministerium nun auch noch von „Informatikfehlern".

Hat die Balearen-Regierung etwa Daten beschönigt, um Madrid, Brüssel und Berlin hinters Licht zu führen und so doch noch etwas von der Saison retten zu können? Dieser Verdacht könnte durchaus aufkommen. Dem widerspricht jedoch, dass die weniger ermutigenden Zahlen in Palma ja sehr wohl veröffentlicht werden. Auch ansonsten tendieren Ministerpräsidentin Francina Armengol und ihre Leute in ihren öffentlichen Äußerungen keineswegs dazu, die Lage schönzureden - eher das Gegenteil. Wahrscheinlich steckt keine böse Absicht dahinter, sondern Ineffizienz und Überforderung der von der Pandemie unter Druck gesetzten öffentlichen Verwaltung.

Was die Reisewarnung an sich betrifft, ist das im Übrigen wahrscheinlich ohnehin irrelevant. Die Europäische Kommission hat am Donnerstag (10.9.) empfohlen, bei den Risikoabwägungen eine Art Ampelsystem einzuführen, die sich nicht nach der 7-Tage-Inzidenz richtet, sondern nach der 14-Tage-Inzidenz. "Rot" und Beschränkungen des Reiseverkehrs seien demnach angebracht bei einer Inzidenz von mehr als 150 Neuansteckungen pro 100.000 Einwohner in den vergangenen 14 Tagen (oder aber bei einer 14-Tage-Inzidenz von mehr als 50 und wenn mehr als 3 Prozent aller PCR-Tests positiv ausfallen).

Wer nun die Statistiken des Gesundheitsministeriums nach der 14-Tage-Inzidenz durchforstet, wird feststellen, dass diese schon sehr viel eher mit den hohen von der Balearen-Regierung bekanntgegebenen Zahlen übereinstimmt. Die 14-Tage-Inzidenz liegt derzeit schon seit einigen Tagen bei 170 und lag Anfang des Monat auch schon bei über 200. Also erheblich über der Schwelle, ab der die Europäische Kommission von einer "roten Zone" sprechen würde.

Heißt das nun, dass man Mallorca als Reiseziel auf unbegrenzte Zeit abschreiben muss? Nein. Die Balearen-Regierung versucht das Infektionsgeschehen derzeit mit zusätzlichen Einschränkungen und örtlich begrenzten Lockdowns in den Griff zu bekommen. Man muss jetzt abwarten - und hoffen - , dass diese Maßnahmen greifen und die Zahl der Neuinfektionen tatsächlich sinkt. Unabdingbar dafür ist, dass sich alle Bewohner und Besucher an die Auflagen halten - also auch diejenigen, die da meinen, dass alles halb so wild ist.

Noch einmal: Die Lage ist ernst, übrigens auch abseits der sozialen Brennpunkte auf der Insel. Wir wünschten, es wäre nicht so. Aber es ist so. Alles andere ist Augenwischerei.