In seltener Einhelligkeit verurteilen Politiker, Wissenschaftler und Journalisten dieser Tage in Deutschland die Wiederaufnahme der Mallorca-Reisen zu den Osterferien. Selbst ansonsten kluge und besonnene Zeitgenossen stoßen in dieses Horn, und im Resultat könnte es durchaus sein, dass Bund und Länder am Montag (22.3.), wenn schon nicht in Deutschland selbst, zumindest was die Insel betrifft, die Notbremse ziehen - und dass nur eine gute Woche nachdem diese Reisen durch die Aufhebung der Reisewarnung wieder erleichtert wurden. Doch viele der Argumente, die da vorgebracht werden, hinken, sind unpräzise oder gar nachweislich falsch.

Eines vorweg: Natürlich wäre die komplette Einschränkung der Ein- und Ausreise über die Landesgrenzen hinaus ein wirksames Mittel der Pandemie-Bekämpfung, das haben die nationalen Lockdowns in Asien bewiesen. Da man sich damit EU-weit jedoch schwer tut, haben die Regierungen eine Art Risiko-Barometer eingeführt, das bei der Bestimmung helfen soll, in welches Gebiet Auslandsreisen vergleichsweise risikofrei sind. Die Kriterien sind transparent, und im Prinzip geben sie der Politik klare Handlungsanweisungen vor: Ab dieser Inzidenz und dieser Positivrate bei den Tests ist von Reisen gänzlich abzuraten. Mallorca hat jetzt wochenlang weit unter dieser Schwelle gelegen (seit ein paar Tagen zieht die Inzidenz nun wieder an, aber das hat nichts mit den Urlaubsreisen zu tun).

Das Risiko-Barometer lässt sich auch auf die nationale Ebene übertragen, aber die Einschränkung der inländischen Mobilität ist noch einmal ein gutes Stück komplizierter, wie sich schon daran ablesen lässt, dass sich jetzt Spanier darüber aufregen, dass sie zu Ostern nicht nach Mallorca dürfen (die Deutschen aber schon), und sich Deutsche darüber aufregen, dass Mallorca-Urlaub erlaubt ist (im Inland aber nicht).

Das ist die Ausgangslage, von der aus jetzt argumentiert wird. Christian Drosten, mit der renommierteste Epidemiologe Deutschlands, erkennt in seinem Podcast (Folge 80) durchaus an, dass die auf den Balearen gesunkene Inzidenz das Reisen wieder erleichtert. Doch einverstanden ist er damit dennoch nicht: „Jetzt reisen da natürlich Leute aus allerhand Ländern ein, zum Teil auch aus Ländern, die nicht so eine Infektionskontrolle leisten. Da trifft man natürlich dann auf andere Touristen, die das Virus mit sich bringen. Und die Folge ist, glaube ich, klar, man kann sich da infizieren."

Andere gehen noch einen Schritt weiter und warnen wie Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) gar vor einem „Mutations-Schmelztiegel", in dem sich die aus aller Welt eingeschleppten Corona-Varianten womöglich zu noch Gefährlicherem zusammenrotten.

Das Problem an beiden Argumenten ist ein ganz Grundlegendes: Es gibt auf Mallorca schon seit Monaten und auf absehbare Zeit keine Reisenden aus „allerhand Ländern". Die Einheimischen sind so gut wie unter sich (von den anreisenden Deutschen einmal abgesehen). Die Briten kehren frühestens Mitte Mai zurück, es gibt kaum Auslandsflüge außer denen nach Deutschland, und was Reisen in Drittländer betrifft, gelten strenge Auflagen. Zudem: Einreisende werden gemeinhin auf Corona getestet.

Was die Virus-Mutationen betrifft, ist es richtig, dass auf den Balearen die britische Variante B.1.1.7 mittlerweile dominant ist und 76 Prozent der untersuchten Proben ausmacht. Auch die als noch gefährlicher eingestufte brasilianische Mutation B.1.1.28 ist in zwei Fällen nachgewiesen worden, wobei es sich laut dem balearischen Gesundheitsministerium jedoch nicht um die eventuell impfresistente Variante B.1.1.28.1. (P1) handelt. Das ist besorgniserregend, aber es entspricht in etwa den Vorkommen in Deutschland, wo laut einer vom Robert Koch-Institut zitierten Auswertung des Laborbundes die Variante B.1.1.7 inzwischen 72 Prozent ausmacht. Auch P-1 ist in Deutschland schon "vereinzelt" nachgewiesen worden.

Doch wenn schon Mallorca nicht als „Risikogebiet" zählt, dann zumindest die Flughäfen im Allgemeinen. Das ist ein zentraler Punkt der Argumentation des Chefredakteurs des Magazins „Finanztip" Hermann-Josef Tenhagen in seiner „Spiegel-Online"-Kolumne „Warum ein Mallorca-Urlaub riskant ist". „So ein Flughafen ist ein wunderbarer Ort für die Mischung unterschiedlichster Virenkulturen. Jeder Flughafen ist ein kleines bisschen Ischgl. Europaweite Verteilung von Mutanten garantiert", schreibt Tenhagen.

Das mag in der Hochsaison stimmen, trifft aber derzeit zumindest auf Mallorca nicht zu (was nicht heißen soll, dass es - etwa was den Bustransport der Reisenden zwischen Flugzeug und Terminal betrifft -, nicht noch Luft nach oben gibt). Nicht ersichtlich ist außerdem, wieso unter den beschriebenen Mallorca-Bedingungen ein Aufenthalt am Flughafen risikobehafteter sein soll als eine Fahrt, sagen wir, in der Berliner U-Bahn.

Für die hohe Inzidenz, mit der man in Deutschland jetzt abreise, sei das Sicherheitsniveau auf Mallorca nicht hoch genug, dort würden sich wahrscheinlich viele Urlauber gegenseitig infizieren, sagt indes laut "Bild-Zeitung" der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach. Was er mit dem „Sicherheitsniveau" meint, bleibt unklar, viel strenger können die für Urlauber wie Einheimische geltenden Einschränkungen auf der Insel gar nicht sein. Zur Erinnerung: In den beiden Osterwochen wird man auf Mallorca in Innenräumen nur mit jenen Menschen zusammen sein dürfen, mit denen man ohnehin zusammenlebt.

Aber vielleicht dachte Lauterbach bei seinen Äußerungen auch daran, woran so viele Menschen in Deutschland wie in einem Pawlowschen Reflex denken, wenn sie das Wort Mallorca hören: Ballermann. Dass diejenigen, die jetzt nach Mallorca reisen, nichts anderes im Sinn haben, als Biergläser schwenkend auf Tischen zu tanzen und Schlager zu grölen, ist eine Unterstellung, die in vielen der aktuellen Stellungsnahmen das zentrale, wenn nicht das einzige Argument ist. Das reicht von den Sketchen der "heute-show" bis zu Peter Dausend, immerhin ein Haupstadt-Korrespondent der „Zeit" (O-Ton: „Seit diesem Tag fliegen die Deutschen nicht mehr auf die größte Insel der Balearen, um Urlaub zu machen - sie kommen nach Hause. Viele von ihnen in der Gestalt von Triple-S-Vandalen: Sonne, Sand, Sangria").

Als Bewohner Mallorcas möchte man da eigentlich nur noch laut aufschreien: Habt Ihr denn immer noch nicht verstanden, dass Mallorca so viel mehr ist? Dass die Feierei derzeit auf Mallorca ohnehin verboten ist? Dass die Party-Urlauber nur ein Teil der Mallorca-Freunde sind, dass es neben den Trunkenbolden unter den Mallorca-Reisenden viele, sehr viele Zweithaus-Besitzer gibt, neben Finca- und Familien-Urlaubern, Wanderfreunden und Radsportlern.

Und schließlich bleibt bei vielen Mallorca-Kritikern unklar, wovor sie eigentlich warnen: dass die Pandemie in all ihren Varianten wieder nach Deutschland getragen wird oder dass die Deutschen die Pandemie nach Mallorca tragen. Der Berliner Epidemiologe Timo Ulrichs sagte gegenüber Focus-Online: „Wenn wir jetzt alle aus dem Risikogebiet Deutschland nach Mallorca reisen, reist das Virus mit, und die Insel wird schnell wieder selbst zum Hotspot - das können auch Hygienekonzepte nicht verhindern."

Mit Verlaub, wie sich die Insel zu schützen hat, ist immer noch Angelegenheit der Verantwortlichen auf der Insel - und nicht die deutscher Epidemiologen. Wie es auch die der Risikoabwägung ist. Natürlich gibt es kein Nullrisiko, natürlich geht die vorsichtige Öffnung im Reiseverkehr und im Tourismus mit Risiken einher, für Bewohner ebenso wie Besucher. Die politisch Verantwortlichen auf den Balearen haben deswegen in Abstimmung mit der Zentralregierung, den Wirtschaftsverbänden und den Gewerkschaften eine Vielzahl von Sicherheitsvorkehrungen und Auflagen beschlossen (an die sich alle deutschen Urlauber und Besucher jetzt auch unbedingt halten sollten). Und unter diesen Umständen, so das Fazit auf der Insel, ist das Risiko vertretbar.

Anmerkung: In einer vorherigen Version dieses Textes war noch unbestimmt von der brasilianischen Mutation des Corona-Virus die Rede. Der betreffende Absatz ist mit neuen, präziseren Informationen überarbeitet worden.

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