Der Inselduden

Deutsche Theorie und mallorquinische Praxis

Nadel, spitzes Werkzeug aus Metall

Das Hab und Gut der von jeher im Ruf der Armut stehenden Schneider ist mehr als überschaubar: „Der Besitz eines Schneiders, eine Nadel und ein Fingerhut“ (El cabal del sastre: una agulla i un didal). Das Gähnen im Geldbeutel schmerzt auch im Alltag, wie schon William Shakespeare festzustellen wusste: „Armut – welch spitze Nadel.“ Die Initiative selbst in die Hand zu nehmen, wird auf mallorquí kurz und bündig mit „den Faden in die Nadel einfädeln“ (posar fil a s'agulla) auf den Punkt gebracht. Eine äußerst unruhige, heute vermutlich als hyperaktiv eingestufte Person „hat Nadeln in der Hüfte“ (tenir agulles a sa cadira) – ist also unfähig, lange ruhig zu sitzen. Ein afrikanisches Bonmot besagt, dass dort, „wo die Nadel durchpasst, auch der Faden durchkommt“, und bezieht sich auf die Verantwortung, die Eltern als Vorbild gegenüber ihren Kindern haben.

Im Deutschen sagt man bekanntlich, dass derjenige, der den Pfennig nicht ehrt, des Talers nicht wert ist; die mallorquinische Version jener Wahrheit rügt das Verhalten, „eine Nadel zu sehen und nicht aufzuheben, als Zeichen von zu viel Stolz“ (Qui veu una agulla i no la cull, és senyal de massa d'orgull) – die kleinen Sachen im Leben zu verachten, zahlt sich heim. Der deutsche Kolumnist Stefan Rogal umschreibt bildlich die zahlreichen Schwierigkeiten der menschlichen Existenz: „Der bunte Luftballon des Lebenstraumes ist von tausend Nadeln umgeben.“ Ein langsamer und schmerzhafter Ablauf einer Angelegenheit liegt dann vor, wenn „man jemanden mit Nadelstichen umbringt“ (matar algú a pics d'agulla).

Der deutsche Schriftsteller Kurt Tucholsky tadelte seine Kritiker 1931 in der „Weltbühne“, einer deutschen Wochenzeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, folgendermaßen: „Das ist ihre Arbeit: Banalitäten aufzuplustern wie die Kinderballons. Stich mit der Nadel der Vernunft hinein, und es bleibt ein runzliches Häufchen schlechter Grammatik.“