Der Inselduden

Deutsche Theorie und mallorquinische Praxis

Wut, heftiger, durch Ärger hervorgerufener Gefühlsausbruch, der sich in Miene, Wort und Tat zeigt

Vom gegenwärtigen Dalai Lama Tenzin Gyatso, der als geistiges und politisches Oberhaupt der Tibeter 1989 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, stammt die feinsinnige Feststellung, dass „dort, wo der Verstand aufhört, die Wut beginnt. Deshalb ist Wut ein Zeichen von Schwäche.“ Besonders betroffen fühlt man sich, je näher einem die beteiligten Personen stehen, bei direkten Familienmitgliedern endete dies in vorigen Jahrhunderten häufig in einer als unausweichbar erscheinenden Gewaltspirale, der Blutrache: „Je mehr Blut, desto mehr Wut“ (Com més sang, més ràbi). Im entgegengesetzten Fall von fehlender Initiative beschwor der deutsche Schriftsteller Alexander Weber die teils treibende Kraft der Gereiztheit, um eine an sich zögerliche Person mit dem viel zitierten Mut der Verzweiflung zu versehen: „Die Wut ist die Mutter des Mutes.“ Ist der Konflikt erst einmal beigelegt, gibt es im Anschluss daran zwei verschiedene menschliche Verhaltensweisen: beständig nachtragende und den betreffenden Streitpunkt wieder „aufwärmende“ Charaktere oder aber Zeitgenossen, die nach dem Prinzip „Schwamm drüber“ verfahren; die letztere Option lautet auf Mallorquinisch wie folgt: „Mit dem Tod des Hundes ist auch die Wut verflogen“ (Mort es ca, morta sa ràbi).

Ein spaßhaft gemeinter Ratschlag legt bei einer aussichtslosen Lage nahe, „wenn man wütend ist, in eine Zwiebel zu beißen“ (Si tens ràbi, mossega ceba), um so zumindest weinen und der Unzufriedenheit Luft lassen zu können. Ein Vorgänger des berühmt-berüchtigten Ausspruchs aus der Dreigroschenoper, wonach „erst das Fressen und dann die Moral kommt“, lässt sich beim griechischen Dichter Homer aus dem 8. Jahrhundert vor Christus finden, laut welchem „man unmöglich die Wut des hungrigen Magens bändigen kann, welcher den Menschen so vielen Kummer verursacht“!