Ich traf einen Freund, den ich länger nicht gesehen hatte, und fragte ihn nach seiner Mutter. „Sie ist gestorben“, sagte er.

Ich sprach ihm mein Beileid aus, dann unterhielten wir uns über dies und jenes und verabschiedeten uns. Auf dem Heimweg dachte ich über die Worte meines Freundes nach: „Sie ist gestorben.“

Wenn ihn jemand nach der dritten Person Singular im Perfekt Indikativ des Verbes „sterben“ gefragt hätte, hätte er nicht antworten können, da ihm Grammatik nie gelegen hat. Dennoch kannte er diese Zeitform und konnte sie perfekt anwenden.

Ich weiß auch nicht wie meine Leber funktioniert, aber es gelingt mir irgendwie, dass sie funktioniert. Das heißt, die Grammatik funktioniert im Menschen wie ein Organ. Sie greift ein, wenn sie eingreifen muss, ohne dass der Mensch um ihre Existenz zu wissen braucht. Die Grammatik ist also ein Organ, wenn auch ein eingepflanztes, denn wir kommen damit nicht zur Welt. Im Alter von drei Jahren wissen wir jedoch, wie man ein Verb in der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft konjugiert.

Die grammatischen Kenntnisse eines Acht- oder Neunjährigen sind erstaunlich, wenn man bedenkt, wie schwer es ist, die Funktionsweise der Sprache zu begreifen. Viele Schüler, die perfekt geordnete Sätze formulieren können, sind anschließend nicht in der Lage, den Satzbau zu analysieren. In dieser Eigenständigkeit der Sprache, wie in der Eigenständigkeit der Lunge oder des Herzens, liegt etwas wahrhaft Teuflisches, das sich dagegen sträubt, ergründet zu werden: Nicht wir sprechen durch unsere Worte, sondern die Worte sprechen durch uns. Zu allem Übel sagen sie häufig, was sie wollen, nicht was wir wollen.

Aber ich wollte eigentlich nur berichten, dass die Mutter meines Freundes, in die ich seinerzeit heimlich verliebt war, jetzt tot ist, das heißt, sie ist gestorben.