Der Inselduden

Deutsche Theorie und mallorquinische Praxis

gießen, Flüssigkeit eines Gefäßes über etwas schütten

Auf Erden sind alle nur denkbaren Möglichkeiten in Betracht zu ziehen; eine Feststellung, welche umso mehr gilt, wenn es sich dabei um unsere eigene Gattung handelt, wie schon der englische Philosoph und Staatsmann Francis Bacon vor rund 500 Jahren bemerkte: „Der Charakter des Menschen wächst sich entweder zur Nutzpflanze oder zum Unkraut aus, deswegen muss man hier rechtzeitig gießen, dort ausrotten“ – diese drastischen Worte aus seinem Werk „Praktische und moralische Ratschläge“ sind zudem ein Plädoyer für die Eigenverantwortung. Laut einer mallorquinischen Redewendung ist hierbei jedoch der richtige Zeitpunkt von entscheidender Bedeutung. Denn hat man diesen erst einmal verpasst, sind die Aussichten auf Erfolg gleich null: „Wer gießt, während es regnet, der muss das Stauwehr errichten, wenn die Sonne scheint“ (Qui vol regar quan plou, ha de fer sa presa quan fa sol). Dies gilt sowohl im übertragenen Sinne allgemein im Leben als auch im konkreten landwirtschaftlichen Bezug: „Wer nicht im Juli gießt, dessen Acker trägt das ganze Jahr über Trauer“ (Si no regues pes juriol, es camp tot s’any se’n dol).

Der zweite entscheidende Faktor, der berechtigte Aussichten auf Erfolg beim Gemüseanbau verspricht, lautet, nicht an der falschen Ecke zu sparen, wie eine mallorqunische Redewendung nahelegt: „Wenn du ein guter Gärtner sein willst, dann spare weder beim Düngen noch beim Gießen“ (Si vols esser bon hortòla, no planyis fems ni regar). Um ein Vielfaches schwieriger als das Umpflanzen von Gewächsen gestaltet sich die Eingewöhnung von Personen an eine neue Umgebung. Im Zuge der weltweiten Migrationsbewegungen besagt eine diesbezüglich ebenso simple wie zutreffende Feststellung, dass zum Schlagen von Wurzeln eine intensive Bemühung und Hilfe von grundlegender Bedeutung ist: „Ein umgepflanzter Baum muss gegossen werden“ (Arbre trasplantat ha de ser regat).