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Wann die Bibel plausibler ist als die Wissenschaft

MZ-Kolumnist Juan José Millás macht sich Gedanken zu Fossilien

Ein Abguss des weltweit größten gefundenen Ammoniten steht in der neuen Erlebnisausstellung „Saurier - Giganten der Meere“ im Aquarium Wilhelmshaven. Am 02.07. wird die neue Dauerausstellung, die zahlreiche Fossilien und lebensgroße Sauriermodelle mit gigantischen Zähnen und Flossen zeigt, eröffnet.

Ein Abguss des weltweit größten gefundenen Ammoniten steht in der neuen Erlebnisausstellung „Saurier - Giganten der Meere“ im Aquarium Wilhelmshaven. Am 02.07. wird die neue Dauerausstellung, die zahlreiche Fossilien und lebensgroße Sauriermodelle mit gigantischen Zähnen und Flossen zeigt, eröffnet. / Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa

Ich habe ein hundert Millionen Jahre altes Fossil geschenkt bekommen. Es handelt sich um eine versteinerte Riesenschnecke. Damit diese Verwandlung möglich war, mussten Tierkadaver und Stein viele Jahre lang so eng zusammenleben, dass sich ihre Identitäten schließlich aufgelöst haben.

„Werde zu Stein“, bat der Stein die tote Schnecke.

„Aber lasst mich meine Form behalten“, antwortete der Kadaver.

Und dank dieses stummen Gesprächs halte ich nun eine exakte, wenn auch mineralische Nachbildung einer ausgestorbenen Art in den Händen. Auch wenn wir wissen, wie Versteinerungen entstehen, sind sie doch immer noch geheimnisvoll: Es gibt so viele Dinge, die wir rational verstanden haben, die uns aber auf einer emotionalen Ebene immer wieder überraschen …! Die Entstehung der Welt, die Tatsache, dass ein Energieklumpen all die Masse hervorbringen kann, die wir um uns herum sehen, erstaunt uns immer wieder aufs Neue.

Ein Stein als Abbild eines Lebewesens

Ich betrachte also das Geschenk, das mir soeben überreicht wurde. Es ist nichts weiter als ein Stein, der aber gleichzeitig das Abbild eines Wesens ist, das vor Hunderten von Jahren gelebt hat. Das Wort wurde Fleisch. Das Fleisch wurde Stein. Vielleicht gibt es im Kern all der materiellen Vielfalt, die wir kennen, einen Stoff, aus dem wir Pflanzen und Menschen, der Sand am Strand und der Lehm in den Bergen gemacht sind. Wenn ein Lebewesen in der Lage ist, zu Stein zu werden, hat der Stein vielleicht die umgekehrte Reise machen können. Vielleicht ist es wahr, dass wir aus dem Schlamm kommen und dass wir zu ihm zurückkehren, sobald unser Lebenskreis vollendet ist. Das sage ich oft zu einem befreundeten Wissenschaftler:

„Die Wissenschaft ist schön und gut, und ich glaube selbstverständlich, was sie mir sagt, aber aus erzählerischer Sicht ist das, was in der Bibel steht, plausibler.“