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Sex und die grauen Zellen

MZ-Kolumnist Juan José Millás reist in seine Kindheit, um einen erstaunlichen Zusammenhang festzustellen

Licht aus beim Sex! Wer es besonders umweltfreundlich tun möchte, kann auf viele weitere Dinge achten.

Licht aus beim Sex! Wer es besonders umweltfreundlich tun möchte, kann auf viele weitere Dinge achten. / Christophe Gateau/dpa/dpa-tmn

Im Fernsehen wird für Medikamente gegen Vergesslichkeit geworben, die nicht helfen, sich an etwas Bestimmtes zu erinnern, sondern an alles im Allgemeinen. Als Heranwachsende bekamen wir vor Prüfungen Phosphortabletten, damit wir uns die Liste der gotischen Könige besser merken konnten. Keinem ist es je gelungen, die ganze Liste abrufbereit zu haben, aber wir waren den ganzen Tag lang sehr erregt, weil Phosphor offenbar aphrodisierende Eigenschaften hat, was unsere Eltern nicht wussten. Jahre später gestanden einige Mitschüler auf einem Klassentreffen, dass sie nun allein die Aufzählung dieser langweiligen Liste erregen würde.

Ein gewisses Maß an Fetischismus

Sexualität ist, wie das Gedächtnis, etwas Geheimnisvolles. Es gibt Zeiten, in denen uns nichts erregt und Zeiten, in denen uns ein unschuldiger Zeichentrickfilm anturnt. Vor vielen Jahren war ein Buch mit dem Titel „Gesundes Geschlechtsleben“ ein Bestseller. Was ist denn nun ein gesundes Geschlechtsleben? Ist zum Beispiel ein gewisses Maß an Fetischismus gesund? Ist ein Sexualleben ohne Fetischismus überhaupt möglich? Übrigens werden im Fernsehen auch Pillen für sexuelle Vitalität beworben. Ich frage mich, ob diese Pillen als Nebenwirkung das Gedächtnis auf die gleiche Weise anregen könnten wie Phosphor die Libido.

Die frisch gewaschene Wäsche der Nachbarin

Es ist alles rätselhaft. Wenn ich über Erinnerungen nachdenke, kommen mir unweigerlich Szenen aus der Vergangenheit in den Sinn. Plötzlich erinnere ich mich an die Wäsche der Nachbarin, die im Haus gegenüber wohnte, als ich acht oder neun Jahre alt war. Lüstern schaute ich in den Innenhof, um die frisch gewaschene Wäsche auf der Leine zu betrachten. War diese Betrachtung triebgesteuert? Ist es möglich, dass meine sexuelle Frühgeschichte dort zu finden ist? Auf jeden Fall ist diese ständige Verknüpfung zwischen Gedächtnis und Sexualität immer wieder überraschend.