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Meinung

Grünkohl, Glühwein, Goldrand – der Winter, den Mallorca nicht kennt

MZ-Kolumnist Mirko Perković vermisst manchmal so einiges aus der deutschen Heimat

Die Weihnachtszeit zieht viele Menschen in Palmas Zentrum, anderen fehlt die winterliche Kälte hier.

Die Weihnachtszeit zieht viele Menschen in Palmas Zentrum, anderen fehlt die winterliche Kälte hier. / B. Ramon

Du lebst dort, wo andere Urlaub machen“, sagen sie. Ich nicke dann immer. Doch ehrlich gesagt, bin ich mir da nicht so sicher. 16 Uhr. Das Licht ist perfekt. Mein Magen meckert, sehnt sich nach Kaffee und Streuselkuchen, natürlich mit Sahne, akkurat serviert auf Porzellan – dem mit Goldrand. Im supermercado wünsche ich mir manchmal vegane Leberwurst. Nix da! Nur Sobrassada, die nach hier schmeckt, nie nach dort. Ich öffne den Hahn. Chlorwasser! Ergo schleppe ich Kanister. Bizeps jubelt, Herz nicht. Ich vermisse Dinge, die ich niemals vermissen wollte. Sogar Autowaschstraßen – diese Schneeschaum-Kathedralen, mit Teutonen typischer Gründlichkeit.

Gerade im Winter fehlt gefühlt was auf der Insel

November! Laternen, Weckmänner, Rabimmel, Rabammel – eine Kindheit, die meine Töchter nie erleben werden. Schützenfeste? Die brauchte ich nie, wirklich nicht. Aber so eine Bundeskegelbahn mit Pommes rot-weiß, jemand ruft „Alle Neune“ – das hätte schon was. Jetzt, just in diesem Moment. Ich denke zurück an die Disco in der Eishalle. An das deutschsprachige Kino. An manchen Sonnabenden fühle ich plötzlich: Ach, heute wäre doch eigentlich Recyclinghof-Samstag. Holz links, Metall rechts. Kofferraum-Tetris! Mich ängstigt immer der Weihnachtsmarkt in Capdepera. Ich will das Gefühl: minus zwei Grad. Glühwein. Rote Nasen. Was bekomme ich? Einen milden, gänzlich frostfreien Dezember.

Ich durchstreife Palma und denke an die Buchhandlung in München. Die mit den drei Etagen – unten Bohnenaroma, oben Signierstunde. Ich nehme Balkone wahr, aber registriere keine Schrebergärten weit und breit. Nirgends Anbaustolz, ein paar Quadratmeter Frieden. Hier gibt es nicht mal eine Grünkohlsaison. Samt Fensterscheibendampf und Senfduftluft. Kein Pilzesammeln im Herbstwald, kein Moos. Nix los. Kein Weinfest auf Kopfsteinpflaster, kein Fischbrötchen am Deich.

Die Lösung liegt nur einen Flug entfernt

Claro, ich bleibe hier. Trinke Verdejo bei zwölf Grad auf dem Mercado de Navidad. Sage mir: Ich lebe damit. Mit dem Vermissen. Diesem Dazwischensein. Ich öffne meinen Klapprechner und prüfe die Flugverbindungen. Deutschland – 120 Minuten entfernt. Ich suche, buche. Ich will einfach mal wieder meinen Mantel tragen dürfen.

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