El Hassan Zammou El Addouti staunt nicht schlecht über seine Reisebegleitung. Der gebürtige Marokkaner sitzt in einer Boeing 737, die auf dem Rollfeld von Palmas Airport zum Abflug bereitsteht, und sieht zu, wie sich die Reihen mit Mallorcas Politprominenz sowie zahlreichen Reportern füllen. Sie alle sind auf Einladung des marokkanischen Generalkonsulats und des Reisebüros Saif Travel an Bord gekommen, um Zammous Heimat kennenzulernen.

Wobei kennenlernen etwas hochgegriffen ist: Am Morgen geht es nach Tanger, am Abend wieder zurück. Es ist der erste Direktflug von Palma in die nordmarokkanische Stadt. Ab sofort wird er jeden Donnerstag angeboten. Und zur Feier des Tages geben sich die Vertreter der mallorquinischen sowie der marokkanischen Politik und Wirtschaft ein Stelldichein - ein multikultureller Klassenausflug auf einen anderen Kontinent, in eine Stadt, die nur knapp anderthalb Flugstunden von Palma entfernt ist.

Zammou, der zwei Wochen Familienurlaub vor sich hat, wirbt nach Kräften für sein Heimatland: 3.500 Kilometer Strand und kristallklares Meer gebe es in Marokko, den aromatischten Honig, die saftigsten Tomaten, „wir exportieren sie in alle Welt". Er ist schon in den 70er-Jahren nach Spanien ausgewandert und arbeitete zuletzt auf dem Bau, bevor er in Rente ging.

Obwohl Marokko geografisch deutlich näher ist als etwa Deutschland, gab es bislang nur ins kleine, neben der spanischen Exklave Melilla gelegene Nador einen Direktflug, ansonsten musste in Barcelona zwischengelandet werden. Und mit der Fähre dauert es 14 Stunden, wie der Marokkaner erklärt: Erst von Palma nach Valencia, auf dem Landweg weiter bis Algeciras und schließlich übersetzen nach Ceuta.

Ganz so schnell geht es dann mit dem Flug aber doch nicht, der Tower von Palma gibt noch keine Freigabe. Konsulin Hanane Saadi nutzt die Wartezeit zum Plausch. Mehr als ein Jahr lang habe man den von den marokkanischen Landsleuten auf Mallorca geforderten Direktflug vorbereitet, erklärt sie. Die Marokkaner stellen inzwischen laut Meldestatistik die größte Ausländergruppe auf Mallorca, vor drei Jahren haben sie die Deutschen überholt. Und rund 26.000 der insgesamt 40.000 Marokkaner auf der Insel stammen aus der Region um Tanger. Das Reisebüro Saif Travel, das für zunächst ein Jahr eine Maschine von der spanisch-italienischen Airline Alba Star gechartert hat, will den wöchentlichen Flieger aber vor allem mit Urlaubern füllen - mit gut situierten Marokkanern, die Mallorca kennenlernen wollen, und Insulanern, die ihre mediterranen Nachbarn an der Nordküste Afrikas besuchen wollen.

Das Konsulat möchte zudem die wirtschaftlichen Bande stärken, und deswegen geht es nach der Landung um 8.47 Uhr auf dem Flughafen Tanger-Boukhalef - nach einer Flugzeit von einer Stunde und 19 Minuten sowie einer Flugzeugdusche durch die örtliche Feuerwehr -

direkt zum Sitz der spanischen Handelskammer. Von einer Luftbrücke und der Annäherung zwischen Mallorca und Tanger spricht der balearische Verkehrsminister Marc Pons - bislang bindet das Drehkreuz Palma mit seinen 26 Millionen Passagieren im Jahr die Insel vorwiegend ans spanische Festland und Städte in Europa an. Zur Feier des Tages folgt ein Dutzend weiterer Grußworte auf Spanisch, Französisch und Arabisch, in denen die Freundschaftsbande sowie Marokkos Wirtschaft wortreich gelobt werden.

Dann geht es weiter zu einem Empfang im Rathaus. Dort soll ein Abkommen zur wirtschaftlichen und kulturellen Zusammenarbeit angekündigt werden. Die Aufmerksamkeit mag kurz nachgelassen haben, jedenfalls findet sich der MZ-Reporter in einem zweiten Bus wieder, der einen Teil der Besuchergruppe direkt zum touristischen und gastronomischen Teil der Reise befördert. Bei Bratspießen, Hühnchen mit Couscous sowie süßem Minztee geht es dann weniger offiziell zu - und manch Unternehmer berichtet von Korruption sowie schlechten Erfahrungen mit örtlichen Geschäftspartnern.

Und es werden auch Zweifel an der Reisefreudigkeit der Zielgruppen auf Mallorca und in Nordafrika laut. Warum sollten die Marokkaner auf die überfüllte Insel reisen, wenn sie selbst leere Strände haben? Und warum die Mallorquiner nach Tanger, wenn sie bislang vor allem in die Karibik, europäische Metropolen und nach Paris zu Eurodisney fliegen? Also doch vor allem eine Luftbrücke für die Insel-Marokkaner?

„Tanger ist ein Reiseziel, das die Mallorquiner bislang noch kaum kennen und erst noch entdecken müssen", meint Abderrahim Ouadrassi von der Saif-Gruppe. Tanger eigne sich aber auch bestens als Ausgangspunkt für eine ­Rundreise. Beträchtlich sei zudem das Potenzial der schnell wachsenden marokkanischen Mittelschicht.

Aber auch die auf Mallorca lebenden Deutschen hat Ouadrassi als Zielgruppe im Visier. Für sie sollen ab Herbst Pakete geschnürt werden, die Hotelaufenthalt, deutschsprachigen Reiseführer und kulturelle Angebote beinhalten. Je nachdem, wie es läuft, sollen zudem auch Direktflüge von Palma nach Casablanca und Marrakesch hinzukommen.

Es hat tatsächlich seinen Reiz, nach einem Flug, der kürzer ist als eine Deutschland-Verbindung, in die orientalische Kultur einzutauchen, gleichzeitig die Spuren der Kolonialmächte Frankreichs und Spaniens im Straßenbild zu entdecken und dabei als Besucher - im Gegensatz zu Palma - in der Minderheit zu sein.

Nur beim Essen sind die europäischen Besucher unter sich, schließlich ist Ramadan, und es wird tagsüber gefastet. Besonders das Labyrinth der Gassen rund um den früheren Sultanspalast ist Kontrastprogramm zur geleckten Balearen-Metropole. Hier wähnt man sich noch nicht in einem touristischen Disneyland. Der Sehnsuchtsort vieler Künstler und Schriftsteller aus Europa und den USA riecht an mancher Ecke nach altem Fisch. Tanger ist noch dabei, sich schick zu machen.

„Bienvenidos", werden die Gäste mehrmals auf Spanisch willkommen geheißen, „kommen Sie wieder und bleiben Sie länger!" Die Stadt lechzt nach Urlaubern. Derzeit zählt die Region Tanger rund eine halbe Million pro Jahr, bis 2020 sollen es drei Millionen sein. „Marokko ist wie Mallorca vor 40 Jahren", so Touristiker Ouadrassi. Noch. Denn die Wohnblocks, die gleich dutzendweise am Stadtrand aus dem Boden gestampft werden, zeugen vom raschen Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum, das internationales Kapital anzieht.

Der Hafen von Tanger durchlebt eine Metamorphose, die alle Großprojekte Mallorcas zu vereinen scheint. Der traditionelle Fischerhafen ist umgezogen, um für Investitionen Platz zu machen - 1.400 Liegeplätze für Luxusyachten, eine Mole für Kreuzfahrtschiffe und Fähren, Shopping-Center, Ausgehmeile, Apartmentblocks, Kongresszentrum. Sogar eine Seilbahn soll den Hafen überspannen und mit der Altstadt verbinden, wie Mostapha Boucetta vom regionalen Tourismusrat den mallorquinischen Besuchern anhand eines beleuchteten Modells erklärt.

Der Tag ist schon weit fortgeschritten, aber erst ein kleiner Teil des Besuchsprogramms absolviert. Jetzt muss es schnell gehen: Am Kap Spartel, wo Mittelmeer und Atlantik aufeinandertreffen, ist nur noch Zeit für ein schnelles Selfie, genauso wie beim Sonnenuntergang auf der Terrasse des Luxushotels Le Mirage. Die viel zitierte Herkulesgrotte entfällt. „Man fühlt sich ein bisschen wie ein Japaner auf

Europareise", meint einer.

Nach Sonnenuntergang gibt es im Hotel Andalusia eine Ahnung davon, wie das Abendmahl während des Ramadan ausfällt. Aufgetischt wird unter anderem die Fastensuppe Harira, und man tauscht Tipps aus, wo man in Palmas Viertel Pere Garau genauso gut marokkanisch essen kann.

Bei allen politischen, wirtschaftlichen und touristischen Interessen - Konsulin Hanane Saadi will Mallorca und Tanger nicht nur verkehrstechnisch, sondern auch kulturell stärker miteinander verknüpfen. „Trotz der geografischen Nähe gibt es einen gewaltigen Mangel an gegenseitigem Verständnis, wir müssen unsere Perspektiven annähern", meint die Tochter eines Imams. In Städten wie Manacor, Porreres oder Inca ist es bislang mehr ein Neben- als ein Miteinander, und gerade beim Stichwort Moscheen werden mitunter auch rassistische Töne auf der Insel laut.

Die Tanger-Besucher kehren mit einem anderen Blick auf Mallorcas Marokkaner zurück, zumindest haben sie Gesprächsstoff für die nächste Begegnung. Gegen 23.30 Uhr besteigt die Gruppe am Flughafen von Tanger wieder den wartenden Alba-Star-Flieger - außer ihr ist auf dem Rückflug niemand an Bord. Der Trip an einem einzigen Tag war eine einmalige Angelegenheit: Laut Flugplan starten die Direktflüge donnerstags in Palma um 16 Uhr und in Tanger um 18.05 Uhr, die Tickets kosten rund 250 Euro.

Auf dem Nebenplatz sitzt jetzt Ex-Balearen-Premier José Ramón Bauzá. El Hassan Zammou El Addouti ist in Tanger geblieben, er besucht seine Kinder, die wieder in Marokko leben. Zum Abschied hatte der freundliche Mann noch um ein Selfie gebeten. Eine Handynummer mit marokkanischer Vorwahl steht jetzt im Notizblock des deutschen Reporters. „Besuchen Sie mich in meinem Haus, wenn Sie wiederkommen!"