Von Andreas John

Man muss schon verdammt abgebrüht sein, um sich mit einem fünfeinhalb Meter langen und knapp zwei Tonnen schweren Straßenkreuzer in die engen, auf beiden Seiten zugeparkten Gassen von Palmas Catalina-Viertel zu wagen. Andreas Reimertz macht das so lässig und locker, als ob er in einem Seat Panda säße.

Das malerische Stadtviertel ist für unseren Autoausflug mit Bedacht gewählt, schließlich ziert sein Name in verchromten Lettern auch die Kotflügel der US-Limousine. Ansonsten passt der überdimensionierte Pontiac Catalina so wenig ins mallorquinische Straßenbild wie ein Sumo-Ringer in den Knabenchor. Man sieht ihm einfach an, dass er nicht hierher gehört.

Seine Geschichte beginnt vor 44 Jahren im US-Bundesstaat Michigan. Dort rollte er damals vom Band des zu General Motors gehörenden Autoherstellers Pontiac. Dessen Name geht übrigens auf den gleichnamigen Häuptling der Ottawa-Indianer zurück, die im 18. Jahrhundert an der Seite von europäischen Siedlern gegen die britische Kolonialherrschaft kämpften. Den Federschmuck der Indianer findet man noch heute im Firmenlogo der Autoschmiede verewigt.

Doch zurück ins Jahr 1964. In Deutschland wird Heinrich Lübke Bundespräsident, der 1. FC Köln gewinnt die Fußballmeisterschaft und auf den Straßen blüht das Wirtschaftswunder. Über seine europäische Tochter beginnt General Motors in diesem Jahr mit dem Bau des Opel Diplomat, ein Modellname, der selbst heute noch bei vielen Familienvätern leuchtende Augen hervorruft. Pate für einen der ersten deutschen Oberklasse-Wagen mit V8-Motor stand zum Großteil der Pontiac Catalina, der in Michigan als viertürige Hardtop-Version gefertigt wurde.

Für eine Handvoll Dollar

Eine gewisse Ruth Smith aus Pennsylvania zählte damals zu den Kunden, die für den Catalina den Neupreis von 2.945 Dollar bezahlten. Ein Kauf, den Mrs. Smith wohl nicht bereute, schließlich trennte sie sich erst vier Jahrzehnte später von der schicken Limousine. Ein deutscher Importeur aus Osnabrück holte den Catalina Anfang dieses Jahrhunderts über den Ozean.

Dort hielten Inge und Andreas Reimertz, ein Ehepaar, das in Dortmund einen Tattoo-Shop betrieb, bereits Ausschau nach einem Pontiac Catalina. ýAmi-Schlitten hatten uns immer schon fasziniert", sagt Inge Reimertz. Beim Surfen im Internet waren die beiden auf das Catalina-Modell gestoßen - und sofort hin und weg gewesen. ýUns hat vor allem die markante Frontpartie beeindruckt", erzählt ihr Mann. Neben den geschwungenen Chromrippen des Kühlergrills waren es auch die vorstehenden Doppelscheinwerfer, die Inge Reimertz verzauberten. Bei Pontiac wurden sie 1963 zum ersten Mal vertikal eingebaut - ein echter Stilbruch im US-Automobilbau zu dieser Zeit.

Doch dieser Wagen ist sehr, sehr selten. Nur etwa 33.500 Exemplare der sogenannten Four-Door-Hardtops wurden gebaut, gerade ein gutes Dutzend von ihnen schaffte es nach Europa. Nach Auskunft des Bundeskraftfahrzeugamtes von 2006, dem Jahr also, in dem Inge und Andreas Reimertz den Ami beim Händler in Osnabrück schließlich fanden und kauften, ist der Pontiac Catalina der einzige in Deutschland registrierte Amerikaner dieser Modellreihe.

Und sein Zustand? Mrs. Smith hatte sich bei der Pflege ihres Wagens zwar alle Mühe gegeben, dennoch war die Zeit nicht spurlos an dem Pontiac vorübergegangen. Ein Loch im Tank, Rost im Kofferraum, ein kaputter Kühler und andere Mängel machten eine Teilrestauration unausweichlich. Als Belohnung für die erlittene Schönheitskur wurde ýRuth" - Inge Reimertz hatte den Pontiac bereits nach dem Vornamen seiner Erstbesitzerin getauft - noch ein schicker himmelblauer Teppichboden sowie der azurblaue Metallic-Lack spendiert.

Doch ist er damit auch alltagsfähig? ýDer Wagen fährt sich genauso unproblematisch und komfortabel wie eine S-Klasse", behauptet Andreas Reimertz, die Mechanik sei robust, anfällige Elektronik suche man vergebens. Das Viergang-Automatikgetriebe wird über den Schalthebel hinter dem mächtigen Lenkrand bedient. Blinker, Ölfilter, Zigarettenanzünder und elektrische Scheibenwischer gehörten damals noch zu einer erwähnenswerten Serienausstattung. Problemlos arbeitet auch der 6,4-Liter Big Block mit 325 PS. Im Standgas ist vom ihm nur ein bedrohliches Säuseln zu hören, doch beim geringsten Druck aufs Gaspedal brüllen die Achtzylinder um uneingeschränkte Aufmerksamkeit. Diskretion ist für den Pontiac ein Fremdwort.

In Dortmund hielt der auffällige Straßenkreuzer oft als Dienstwagen für verschiedene Hochzeiten her. Auch im Internet-Trailer der Loveparade (www.vids.myspace.com), die im Juli in Dortmund stattfindet, spielt er eine Rolle.

Was aber soll der für Highway-Fahrten ausgelegte Wagen auf Mallorca? ýMit uns einen Neuanfang wagen", antwortet Inge Reimertz. Ihren Tattoo-Laden in Dortmund haben die beiden Deutschen vor ein paar Monaten verkauft und sich eine Wohnung in Palma gemietet. Auf der Insel wollen sie vielleicht ein Café aufmachen. Für den Alltag haben sie sich einen alten Golf gekauft, ýRuth" wird sonntags aus der Garage geholt. Und sorgt dann in Palma für Aufsehen. Aber das passiert US-Amerikanern ja im Ausland häufig.