Florencio Domínguez ist Journalist und hat in dem Buch „Dentro de ETA" das Innenleben der terroristischen Organisation beschrieben. Der 51-Jährige ist leitender Redakteur der Nachrichtenagentur Vasco Press in Bilbao und verfolgt die Entwicklung der ETA seit Jahren.

Herr Domínguez, aus welchem sozialen Kontext stammen die ETA-Mitglieder?

Da besteht kein entscheidender Unterschied zum Rest der Gesellschaft. Das sind keine Außenseiter. In der ETA gibt es alle möglichen Mitglieder, zum Beispiel Akademiker, Arbeitslose oder Kellner.

Aber woher kommt der ideologische Einfluss?

Zum Teil aus Familien, die eine nationalistische Einstellung haben, zum Teil aus dem sozialen Umfeld. Die ETA hat eine Parallelwelt zur baskischen Gesellschaft geschaffen, mit einer eigenen Sozialisation. Es werden etwa Camping-­Ferien, Ausflüge in die Berge, Konzerte mit Rock-Musik veranstaltet. Dort wird Einfluss ausgeübt, und dort findet auch die Rekrutierung der Mitglieder statt.

Werden diese Veranstaltungen von der ETA organisiert?

Das machen verschiedene Jugendgruppen, die der ETA nahestehen.

Sie erwähnen Konzerte. Gibt es auch eine spezielle Musik der Terroristen und ihrer Sympathisanten?

Es gibt eine Musikbewegung, den rock radical vasco, mit radikalen Texten. Manche ihrer Fans, stehen der ETA nahe. Die Bewegung ist aber nicht mehr so stark wie vor einigen Jahren.

Wie wird man ETA-Mitglied?

Üblich ist, dass ein Mitglied der Organisation Neulinge anwirbt. Das können Freunde sein, Leute, die in der gleichen Clique sind, Schulkameraden, Leute, von denen man weiß, dass sie der ETA nahestehen und sich in den gleichen Kreisen bewegen. Man rekrutiert keinen Unbekannten, sondern Personen, bei denen die Möglichkeit, dass sie ja sagen, groß ist. Das funktioniert allerdings nicht immer, in vielen Fällen wird auch abgelehnt.

Das Ziel der ETA, ein unabhängiges Baskenland, ist unerreichbar. Wie lässt sich erklären, dass junge Leute es sich dennoch immer wieder zu eigen machen?

Das ist Fanatismus. Es gibt einen Teil der baskischen Gesellschaft, der seine politischen Ideen mit extremem Fanatismus lebt und auch bereit ist zu töten, um diese durchzusetzen.

Wie verläuft eine typische Karriere in der ETA?

Es gibt Personen, die eintreten, aber nicht direkt an Attentaten teilnehmen wollen. Sie sind nicht bereit, eine Bombe zu legen und auf jemanden zu schießen, aber übernehmen andere Aufgaben. Sie schreiben zum Beispiel Briefe oder sammeln Informationen. Oder sie fangen so an und machen dann später bei Anschlägen mit. Andere fangen gleich in einem Kommando an, bekommen die Ausrüstung und führen dann sofort den ersten Befehl aus.

Woher bekommt die ETA Geld?

Die ETA bedroht Unternehmer, vor allem im Baskenland und Navarra, und erpresst Geld von ihnen.

Woher stammen der Sprengstoff und die Waffen?

Sprengstoff stellen sie vor allem selbst her, mit Einzelkomponenten, die im landwirtschaftlichen Handel gekauft oder gestohlen werden. Die Waffen kaufen sie auch auf dem Schwarzmarkt oder stehlen sie. Die Waffen, die sie momentan benutzen, stammen fast alle aus einem Raub im Oktober 2006 in Frankreich. Von dort hat die ETA 250 Pistolen.

Haben ETA-Mitglieder Schuldgefühle?

Sehr selten. Sie übertragen die Verantwortung für ihre Verbrechen nach außen. Sie denken, dass die Opfer selbst schuld sind, weil sie auf der Seite des Staates stehen oder den Staat vertreten.

Macht die ETA auch deswegen weiter, weil sie lediglich ihren eigenen Fortbestand sichern will?

Ja, für eine terroristische Organisation wie diese ist es schwierig aufzuhören. Es wird keine interne politische Debatte geführt. Es gibt keine Kanäle, um gegensätzliche Meinungen anzubringen. An einen Ausstieg denken ETA-Mitglieder eigentlich nur im Gefängnis.

Also besteht auch eine Art Abhängigkeit der Mitglieder?

Ja, sie fühlen sich mächtig, weil sie über Leben und Tod bestimmen, tausende von Menschen bedrohen und die politische Tagesordnung bestimmen.

Feiert die ETA ein Attentat?

Manchmal, aber vor allem gibt es ihr Selbstbestätigung. Sie fühlt sich dann stark. Wenn ein Anschlag dagegen schiefgeht, führt das zu Demoralisierung und einem Verlust an Selbstvertrauen.

Was halten Sie von der These, dass die ETA eine Verbindung zu mallorquinischen Separatisten aufgebaut hat?

Das halte ich für unwahrscheinlich. Das passt nicht zur ETA. Eines ihrer Kennzeichen ist ihr großes Misstrauen. So ein Kontakt würde eine Gefahr bedeuten, ein großes Risiko aufzufliegen. Sie können nicht wissen, ob diese Kontakte vielleicht von der Polizei infiltriert sind. Es gab allerdings schon den Fall, dass sich katalanische Separatisten, Vertreter der extremen Linken, der ETA angeschlossen haben.

Warum äußert sich der Nationalismus im Baskenland in Form von Gewalt – im Gegensatz zu anderen Regionen, wo ähnliche Ziele friedlich verfolgt werden?

Das war die Entscheidung einer Gruppe Ende der 50er Jahre. Es entstand eine Dynamik von Gewalt, aus der man schwer wieder herauskommt. Auch in Katalonien gab es bis 1992 eine ähnliche Gruppe, die aber weniger gewalttätig war. Sie erhielt auch nicht so viel Solidarität von der Bevölkerung. Andernfalls hätte sie länger überlebt.

Wie viel Sympathien hat die ETA denn im Baskenland?

Bei den letzten Wahlen, den Europawahlen im Mai, wurden im Baskenland und Navarra 120.000 Stimmen für die Iniciativa Internacionalista abgegeben. Das ist die Liste, die von der Batasuna (Anm.d.Red.: ETA-nahe verbotene baskische Separatisten-Partei) unterstützt wurde.

Sind Batasuna-Wähler automatisch auch Befürworter von ETA-Morden?

Ob sie alle für Morde sind, weiß man nicht. Laut Umfragen ist auch in diesen Kreisen die Befürwortung der Gewalt erheblich gesunken. Dennoch ist das ein Kreis, der die ETA nicht kritisiert und ihre politischen Ziele unterstützt.

Muss sich Mallorca auf weitere ETA-Attentate gefasst machen?

Das ist eine Frage der Gelegenheiten. Jetzt gab es sie auf Mallorca. Letzten Sommer waren Kantabrien und Málaga dran. Aber ich glaube, dass die Terroristen nicht mehr auf der Insel sind, sondern sie spätestens am 30. Juli verlassen haben.

Glauben sie an ein Ende der ETA?

Ja. Wenn man sich nur die letzten Tage ansieht, gewinnt man einen falschen Eindruck. Tatsächlich hat die ETA heute viel weniger Kapazität und Effizienz als vor zehn Jahren. Im Jahr 2000 ermordete sie 23 Menschen, im Jahr 2007 waren es zwei Todesopfer. Früher oder später wird es mit der ETA zu Ende gehen.

Kurzinfo ETA:

ETA steht für „Euskadi Ta Askatasuna", was auf Baskisch „Baskenland und Freiheit" bedeutet. Die 1959 gegründete Organisation kämpft für ein unabhängiges Baskenland und hat seit 1968 über 800 Menschen ermordet. Nach Einschätzung von Domínguez umfasst der derzeit aktive Kern noch rund 100 Mitglieder. Sie leben vor allem im Baskenland und in Frankreich. Der Frauenanteil liegt bei knapp 20 Prozent, das Durchschnittsalter bei 30 Jahren. Die meisten leben im Untergrund, einige führen ein Doppelleben. Rund um den Kern gibt es einen Kreis von Sympathisanten.

In der Printausgabe lesen Sie außerdem:

- Heiße Spur dringend gesucht

- Mallorca startet Gegenoffensive

- Chronologie: Vier Bomben und viele Falsche Warnungen

- Das Leben geht weiter