Die Flutwellen, so genannte Tsunamis, die am Donnerstagmorgen (10.3.) die Küste von Japan heimsuchten, sind auch im Mittelmeerraum möglich. Dies hatte auf Anfrage der Mallorca Zeitung Prof. Dr. Dieter Kelletat, stellvertretender Direktor des Instituts für Geographie der Universität Duisburg-Essen, nach dem schweren Seebeben im Indischen Ozean im Dezember 2005 bestätigt. Der Forscher hatte nach Untersuchungen von Gesteinsproben im Jahr 2001 herausgefunden, dass es bereits schwere Tsunamis auf Mallorca gegeben haben muss.

In den vergangenen 2.000 Jahren wurden im Mittelmeerraum rund 20 Tsunamis registriert. Erst im Mai 2003 verursachte eine Flutwelle nach einem Erdbeben vor der Küste Algeriens auch auf den Balearen kleinere Schäden. Grundsätzlich ist die Gefahr großer Tsunamis im Mittelmeer auf Grund der im Vergleich geringeren Wassermenge niedriger als beispielsweise im Indischen Ozean. Dennoch fordern Experten wie Philippe Lognonné vom Pariser Institut de Physique du Globe nach der Katastrophe in Asien auch für das Mittelmeer ein Früh- warnsystem für Seebeben. Bislang gibt es ein solches System aus- schließlich im Pazifikraum.

Tsunami heißt auf Japanisch „große Welle im Hafen" – denn erst wenn die Flutwelle auf Küstengebiet stößt, entfaltet sie ihre verheerende Zerstörungskraft. Auf dem offenen Meer besteht im Allgemeinen keine Gefahr, die Tsunamis werden oft nicht einmal bemerkt. Die Wellenhöhe beträgt häufig nur einen halben Meter. Das Wasser kann sich aber mit einer Geschwindigkeit von bis zu 1.000 Stundenkilometern bewegen. Das entspricht der Geschwindigkeit eines Passagierflugzeugs. Damit kann die Flutwelle innerhalb weniger Stunden einen Ozean durchqueren.

Die Ausläufer des Bebens in Algerien 2003 lösten im Mittelmeer bis zu zwei Meter hohe Wellen aus. Auf Mallorca wurden Hafenanlagen und über 100 Boote und Yachten beschädigt, 30 Boote gingen unter. Die größten Schäden entstanden in den Häfen von Porto Cristo und Cala d´Or. Damals war der Meeresspiegel in einem Abstand von zwölf Minuten stark gestiegen und dann wieder zurückgegangen. Straßen, Strandpromenaden und Gaststätten wurden unter Wasser gesetzt und Boote gegen die Kaimauern gedrückt. In Arenal zog sich das Meer so rasch zurück, dass Fische auf dem Sand liegen blieben.

Bei solchen Anzeichen sollte man sich sofort auf einen Hügel retten, so Erdbebenexperte Kelletat. Nach den schweren Herbststürmen auf Mallorca im Dezember 2001 war Kelletat mit zwei Kollegen auf den Balearen. Die Forschergruppe untersuchte und datierte Steinblöcke in Cala Ratjada und Colònia de Sant Jordi und kam

zu dem Schluss: Auf Mallorca hat es vor 450 und 1400 Jahren schwere Tsunamis gegeben. „Die beiden Flutwellen erscheinen zwar in keinen historischen Berichten, anders sind die bis zu 50 Tonnen schweren Steinblöcke, die teilweise in zwölf Meter Höhe liegen, aber nicht zu erklären", erläutert Kelletat. Aus anderen Gebieten Europas liegen auch Berichte über Zerstörungen durch Tsunamis vor. Eine der schwersten Flutwellen zerstörte 1755 Lissabon und tötete 60.000 Menschen.

Erdbeben wie im vergangenen Jahr vor der algerischen Küste sind nach Expertenangaben keine Seltenheit. „Eine solche Tsunami-Welle erreicht innerhalb von 40 Minuten die Balearen", rechnet Kelletat vor: „Sollte eine Flutwelle wie jetzt im Indischen Ozean auf Mallorcas Küste treffen, wären beträchtliche Teile Arenals, der Hafen von Palma und weitere Hafengebiete verwüstet."

Dieser Artikel erschien im Original im Dezember 2005 in der MZ-Printausgabe.