Es ist 5.45 Uhr, als José Bonnín sich eine Kippe anzündet und den Motor der „Picaseu" anschmeißt. Langsam tuckern wir durch die Dunkelheit an den anderen Schiffen des Fischerei­hafens von Palma vorbei zwei Seemeilen in die Bucht hinaus. Währenddessen ziehen José und sein älterer Bruder Domingo sich ihre wasserfesten Jacken und Hosen an. „Eigentlich hätten wir direkt vor der Kathedrale die Netze ausgelegt", erklärt Domingo. „Aber an der Küste ist es heute windig, und der Meeresboden ist aufgewühlt."

Besser so. Denn hier geht es nicht darum, so nah wie möglich an der Küste zu fischen, sondern darum, ein wenig von dem zu erleben, was es demnächst als neue touristische Attraktion geben soll. Rausfahren aufs Meer - selbst wenn, wie heute, die Küste in Sichtweite bleiben wird -, ein paar Stunden mit Fischern verbringen, sich Geschichten erzählen lassen und ein bisschen über die Realität des Gewerbes lernen, das von der Bibel bis Hemingway als Metapher für das Leben hergehalten hat.

Die Fahrt hinaus dauert etwa eine Stunde. In der Zeit raucht José stumm seine Zigaretten, während Domingo erzählt. Der 52-Jährige ist Fischer, seitdem er 18 ist. So wie es sein Vater auch schon war. „Der Beruf hat sich aber sehr verändert. Heute müssen wir richtige MacGyvers sein", sagt Domingo. Wie der TV-Held aus den 90ern müsste man heute als Fischer vielfach beschlagen sein. „Wir müssen uns in Mechanik ebenso gut auskennen wie mit neuen Technologien. Zudem hüten wir das traditionelle Wissen der Fischer, wann, wo und wie man welche Tiere fängt, und müssen jeden Tag rausfahren."

Und demnächst auch noch Guides abgeben. ­„Pescaturismo" heißt das Programm, um einerseits supermarkt-verkorksten Großstädtern die Möglichkeit zu geben, ein Fischleben in einem Plastikeimer enden zu sehen, und andererseits den Fischern neue Verdienstmöglichkeiten zu eröffnen. Neu ist die Idee nicht. Bereits vor über zehn Jahren gab es Planspiele. Gescheitert ist es unter anderem an einem Umstand, den Rafael Mas, der Vorsitzende der Fischer-Genossenschaft von Palma, bei einem Gespräch ein paar Tage vor der Ausfahrt immer wieder betont: „Es gibt nichts, was in Spanien strenger reglementiert und kontrolliert ist als die Fischerei. Wir sind, was Auflagen betrifft, päpstlicher als der Papst." Anfang Februar 2015 unternahm man einen neuen Anlauf. Jetzt gibt es gute Aussichten auf Erfolg.

Als wir an einer roten Boje ankommen, stoppt José das Boot. Hier haben die beiden Brüder am Vortag das erste Netz ausgelegt. Es besteht aus mehreren aneinander befestigten Elementen, die jeweils etwa hundert Meter lang sind. Oben sind kleine Plastikringe befestigt, die ihnen Auftrieb verleihen, während das Seil unten mit Blei beschwert ist. Das Netz wird so am Meeresboden zu einer etwa ein Meter hohen Wand, in die die Tiere reinschwimmen. Die im Sommer verwendeten Netze werden im Winter geflickt und andersrum. „Wir kaufen die Netze in Einzelteilen und knoten sie zusammen", sagt Domingo. „Wenn man sie richtig pflegt, können sie schon mal zehn Jahre halten."

Wann es mit „Pescaturismo" losgeht, hängt jetzt nur noch von der Balearen-Regierung ab, die ein entsprechendes Dekret verabschieden muss. Laut Joan Mercant vom Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft und Fischerei könnte dies in der ersten Aprilhälfte der Fall sein. „Das Gesetz nimmt jetzt die letzten bürokratischen Hürden. Eigentlich sollte nichts mehr im Weg stehen."

Sobald das Dekret erlassen ist, werde es noch etwa einen Monat dauern, bis man die ersten Urlauber mit an Bord nehmen könne, schätzt Rafael Mas, der Vorsitzende der Genossenschaft. Vor allem versicherungstechnische Fragen könnten erst dann geklärt werden. „Das Wichtigste ist die Sicherheit, vor allem die des Gastes. Da dürfen keine Fehler passieren", sagt er. „Wenn das geregelt ist, wird es bestimmt zu einem learning by doing kommen. Wir werden bestimmt Angebote und Abläufe korrigieren und anpassen müssen." Die Fahrten wird man auf einer eigens eingerichteten Homepage buchen können, mit Datum, Hafen und Schiff, das man begleiten möchte.

Wütend spritzt die Sepia ihre Tinte aus, als sie kopfüber im Eimer landet. Der ist mittlerweile bis oben gefüllt. „Wir legen sie immer falsch herum in den Eimer, damit sie sich nicht gegenseitig in die Bäuche beißen", erklärt Domingo. „Denn so werden sie auch auf dem Markt angeboten, und der Bauch muss ansprechend aussehen." Sein Bruder José pult mittlerweile den nächsten Tintenfisch aus dem etwa zwei Kilometer langen Netz, das mitten in der Bucht von Palma, etwa auf der Höhe von Can Pastilla ausgelegt ist.

Die Brüder haben sich die Aufgaben an Bord klar aufgeteilt. Domingo holt die Netze ein. „Sepia", ruft er. „Caproig!" Er kündigt seinem Bruder an, welche Tiere sich im Netz verfangen haben. So kann José sich vorbereiten. Eine Sepia ist leicht aus dem Netz befreit. Beim Roten Drachenkopf hingegen muss man aufpassen, dass er einen nicht sticht. Einige seiner Stacheln sind giftig und können im Extremfall sogar tödlich sein. Zudem muss man ihn meistens aus dem Netz rausschneiden, da es sich in den Stacheln verheddert. Das Procedere ist eingeübt. Viel mehr als die Zurufe reden die Brüder in der Zeit auch nicht miteinander.

Wird viel Fisch bei den beiden zu Hause gegessen? „Ach was", sagt José. „Die Kinder essen lieber bei McDonald´s." Und hat sich keines von ihnen für den Beruf der Väter interessiert? „Wir haben das falsche Geschlecht gezeugt." José hat zwei Töchter, Domingo eine. Und der Frauenanteil in der mallorquinischen Fischerei ähnelt dem Prozentsatz von Gegenstimmen bei nordkoreanischen Präsidentschaftswahlen.

Etwa 80 Fischer gibt es zurzeit in Palma. Generell sei die Stimmung dem Projekt gegenüber aufgeschlossen, sagt Mas. „Es wird an den Fischern liegen, inwieweit sie sich an ´Pescaturismo´ beteiligen wollen und welche Angebote sie den Touristen machen." Wobei natürlich die Größe des Bootes und dessen Ausrüstung eine Rolle spielen. „Bei den größeren Schiffen, die eine Kombüse an Bord haben, kann der Fischer natürlich anbieten, den gefangenen Fisch gleich zuzubereiten. Alles Verhandlungssache."

Das wird sich auch in den Preisen ausdrücken. Noch stünden diese nicht fest. Aber Mas geht davon aus, dass die billigsten Ausflüge um die 70 Euro kosten werden, von denen die Fischer 70 Prozent behalten. „Ab da sind keine Grenzen gesetzt. Wenn ein Gast einen Ausflug bucht und den ganzen Fisch, der gefangen wird, behalten will, dann wird er eben zusätzlich zu dem Reisepreis den aktuellen Marktpreis zahlen."

Die beiden Bonníns besitzen die „Picaseu" seit 2009. Davor hatten sie 20 Jahre lang ein größeres Schiff mit Schleppnetzen. „Ende der 80er-Jahre war das Schleppnetz die Zukunft", erklärt Domingo. „Aber die immer strengeren Regeln und die Kampagnen der Umweltschützer haben das geändert." Seit sieben Jahren fangen sie im Winter Sepien, zwischen April und August Langusten, im Spätsommer und Herbst die Llampuga.

Mit ihren 9,50 Metern Länge fällt die „Picaseu" in die mittlere Kategorie, was die Mitnahme von Urlaubern angeht: bis zu vier Personen. Als die beiden Netze eingeholt sind und die Sepien in den Eimern liegen, merkt man, dass es ziemlich eng werden könnte, zumindest für einen längeren Zeitraum. Sechs bis acht Stunden müsse man bei einer Ausfahrt mit den kleinen Booten berechnen, sagt Rafael Mas. „Bei den Schleppern ist es natürlich mehr. Hier sind zwölf Stunden keine ­Seltenheit."

Die Bonnín-Brüder hatten die zwei Netze am Vortag ausgelegt. Als beide eingeholt sind, fahren wir zu einer neuen Stelle, um sie wieder auszulegen. „Es ist ein wenig Instinkt dabei", sagt Domingo. „Manchmal lohnt es sich, die Netze noch mal an der gleichen Stelle auszulegen. Aber das sei eher selten der Fall."

Die Vorhersage für den Wind überprüft er auf seinem Handy mit Apps wie Windguru oder Windfinder. „Die neuen Technologien haben uns das Leben einfacher gemacht. Jetzt kann dichter Nebel aufziehen und wir können trotzdem per GPS unsere Netze oder den Hafen finden." Zudem habe sich die Einstellung bei den Fischern geändert. „Die alten Fischer wollten arbeiten und nicht viel mehr. Manchmal war das ziemlich planlos. Seit etwa 20 Jahren wandelt sich das. Wir arbeiten heute, um zu leben, nicht andersherum."

Das könnte auch erklären, warum die beiden Bonníns der Sache mit den Touristen an Bord mit auffälliger Gelassenheit begegnen. „Na ja, wir nehmen ja immer mal wieder Bekannte und Freunde mit, die einfach mal einen Tag rauswollen und denen es Spaß macht, mit uns zu fahren." Viel komplizierter könne das mit Touristen auch nicht sein, oder? Auch über etwaige Sprachprobleme macht sich Domingo keine Sorgen. „Ach, irgendwie versteht man sich immer. Vor ein paar Jahren wurden auf unserem damaligen Boot ein paar Szenen des deutschen Films „Hai-Alarm auf Mallorca" mit Ralf Möller gedreht. Da konnte auch kaum einer Spanisch und es ging alles problemlos."

Auch Rafael Mas sieht das mit der Sprache nicht so eng: „Wir schauen mal, wie das so läuft." Die Ausflüge auf den Fischerbooten richteten sich an alle Interessierten. „Wenn es sich zeigt, dass es notwendig ist, werden wir halt ein paar Deutsch- oder Englischkurse anbieten. Aber wir müssen den Ball flach halten. Am Ende des Tages sind wir Fischer und keine ­Tourguides."

Es ist kurz vor 12 Uhr mittags, als die „Picaseu" wieder in den Hafen einfährt. „Heute ist alles gut gelaufen", sagt Domingo zufrieden, nachdem die Fische an Bord gesäubert und auf Kisten verteilt wurden. Sechs Kisten mit Sepia, zwei mit Caproig, eine mit verschiedenen Fischen und eine mit Pulpo werden noch ins Lager gebracht. Am nächsten Morgen werden sie versteigert. Dann geht es wieder raus. Für heute aber ist jetzt erst einmal Feierabend.