Wenn Francisca María Mascaró aus dem Fenster ihrer Apartmentwohnung blickt, hat sie die Zukunft ihres Viertels im Blick. Die 86-Jährige schaut auf den gerade fertiggestellten Kongresspalast aus Glas, Metall und Sandstein. Im Blick hat sie auch das früher einmal moderne Gesa-Gebäude, das einem Abriss gerade noch entging und in Zukunft wieder in neuem Glanz erstrahlen soll. „Ich füttere jeden Tag die Katzen, die dort herumstreunen", sagt die Seniorin, die von einer 800-Euro-Rente lebt und damit auch ihrer arbeitslosen Tochter unter die Arme greift, wie sie sagt.

Die kontrastreiche Gegend ist bislang nicht wirklich angesagt; einzig der Veranstaltungssaal und das Verlagshaus von „Diario de Mallorca" und Mallorca Zeitung locken hier Besucher an. Eigentlich hieß das Viertel zwischen dem Flughafen-Zubringer im Süden, der Ringautobahn im Osten, der Verkehrsbehörde im Westen und dem sozialen Brennpunkt La Soledad im Norden einmal Polígono Levante, wörtlich also östliches Gewerbegebiet, und hatte genauso viel Charme und Attraktivität wie sein Name. Transportunternehmen parkten gerade nicht benötigte Lkws am Straßenrand, zwischen dem Unkraut auf ungenutzten Parzellen machten illegale Müllhalden und des Öfteren Rattenplagen Sorgen, weggeworfene Kondome zeugten von nächtlichen Aktivitäten.

Lauter Vorzüge

Inzwischen heißt das Viertel Nou Llevant. Das Wort „neu" im Namen kann man wörtlich nehmen, wenn es nach Gabriel Horrach geht, dem Generaldirektor im Baudezernat der Stadt Palma. „Das ist derzeit einer der interessanten Distrikte in ganz Spanien." Er zählt dessen Vorzüge auf: Da wäre die einzigartige Lage gegenüber dem Trendviertel Portitxol mit Blick aufs Meer und die Nähe zur Altstadt. Die perfekte Verkehrsanbindung - der Flughafen ist keine zehn Autominuten entfernt. Das Prestigeprojekt des Kongresspalastes mit seinen internationalen Besuchern, die wohl ab März hier tagen. Das Gesa-Gebäude, das reformiert und ein sozialer und kultureller Treffpunkt werden soll. Ein Sozialzentrum der Rafael-Nadal-Stiftung. Ein geplanter Probenraum der Balearen-Sinfoniker. Und die noch unbekannten Projekte auf den freien Parzellen zwischen Erschließungsstraßen, auf denen die weißen Markierungsmarken noch leuchten.

Die frisch gepflanzten Palmen und die modernen Laternen stehen im Kontrast zur bisherigen In­frastruktur. Während Horrach im MZ-Gespräch Zukunftsvisionen durchspielt, sitzt er auf einem Plastikstuhl in einer der Bars im Viertel, deren Zielgruppe bislang sichtlich keine Kongressbesucher sind. Hier gibt es nicht Rucola-Salat oder Wokpfanne und danach einen Latte macchiato wie vorne an der Meerespromenade von Portitxol, sondern ein deftiges Mittagsmenü mit einem Bierchen.

An die rosige Zukunft des Viertels glaubt nicht nur die Stadtverwaltung. Bei einer von der Balearen-Universität organisierten Tagung im April bescheinigten unter anderem Wirtschaftswissenschaftler, Architekten und Geografen dem Nou Llevant ein enormes Potenzial. Im Kern geht es darum, in dem Viertel Vertreter der Kreativbranche anzusiedeln und rund um IT-Firmen oder auch Kulturschaffende einen Imagewandel einzuleiten.

Schwieriges Erbe

Die Grundlagen für den jetzigen Wandel wurden in der Legislaturperiode 2003-2007 unter den Konservativen gelegt. Die PP beschloss, den Kongresspalast dort zu bauen, wo einst Messehallen und ein Obdachlosenheim standen, und änderte dafür einen Großteil der Parzellen und des Straßenverlaufs. In dieser Zeit verkaufte auch der Stromversorger Endesa - damals noch Gesa-Endesa - sein Gebäude an den katalanischen Bauträger Núñez y Navarro, der Wohnblocks mit Luxusapartments errichten wollte. Die Schnellstraße Richtung Flughafen sollte zudem zu einem verkehrsberuhigten Boulevard werden, um das Viertel an die Uferpromenade anzukoppeln.

Doch in all diesen Vorhaben der fachada marítima steckte der Wurm. Das Projekt der Verkehrsberuhigung wurde nie spruchreif. Der Kongresspalast mit fünf gescheiterten Ausschreibungen, Finanzierungsschwierigkeiten und Baustopps entwickelte sich zu einem planungstechnischen Albtraum. Und der Gesa-Deal mündete in einem juristischen Hickhack: Die ab 2007 regierenden Sozialisten stellten das Gesa-Hochhaus als architektonisches Zeugnis der 60er-Jahre unter Schutz und vereitelten so den Abriss. Statt der Luxuswohnungen entstanden schließlich öffentliche Parks. Der Bauträger erhielt als Entschädigung Parzellen in größerer Entfernung zum Meer. Sowohl die Denkmalschutz­erklärung als auch der Parzellen-Deal landeten vor Gericht, und die Wirtschaftskrise tat ihr Übriges.

So eine Art Bilbao

Nach all diesen Verzögerungen kann es nun im neuen Jahr losgehen: Der Tourismuskonzern Meliá, der in der sechsten und letzten Ausschreibung das Rennen machte, will den Kongresspalast im März endlich eröffnen. Hinsichtlich der zu erwartenden Auswirkungen wagt Horrach vom Baudezernat sogar Parallelen zum baskischen Bilbao, wo die Eröffnung des spektakulären Guggenheim-Museums eine Zeitenwende einleitete.

„Das Museum war dort aber nur ein kleiner Teil des Gesamtkonzepts", gibt der Generaldirektor zu bedenken. Und ein solches brauche es auch für Nou Llevant. Die Stadtverwaltung trägt derzeit sämtliche gesetzliche Änderungen der vergangenen Jahre in einem neuen Plan zusammen, der einen Überblick über den Stand der Dinge ermöglichen soll. Ohnehin soll Palmas Raumordnungsplan (PGOU) bis 2018 in einem Prozess mit Bürgerbeteiligung überarbeitet werden.

Party im Funktionsbau

Fest steht aber schon jetzt, dass die Stadt ihren Teil zum künftigen Nou Llevant in Form des Gesa-Gebäudes beitragen will, voraussichtlich als Sozial- und Kulturzentrum. Nach Jahren des Verfalls - nach dem Fund der Leiche eines Drogenabhängigen wurde das Gelände vor einigen Jahren versiegelt - und der Bestätigung des Denkmalschutzes ist im November mit der Grund­reinigung begonnen worden. Mindestens drei Stockwerke sollen im Rahmen einer Ausschreibung privaten Firmen überlassen werden, die ins Konzept des Nou Llevant passen. Bis eine Machbarkeits­studie für die Verwendung aller elf Stockwerke und der Aussichtsterrasse des von Mies van der Rohe inspirierten funktionalistischen Gebäudes vorliegt, soll schon einmal das Erdgeschoss sowie der dortige Festsaal für Veranstaltungen genutzt werden. „Ich bekam richtig eine Gänsehaut", meint Horrach über einen kürzlichen Besuch des Gebäudes.

Der Stadt gehören zudem noch weitere Grundstücke im Nou Llevant, der Verwendungszweck ist jedoch noch offen. Horrach warnt davor, dass Investitionen der öffentlichen Hand oftmals einseitig die Infrastruktur statt sonstige Programme und Aktivitäten förderten.

Musikbox für die Sinfoniker

Fest steht, dass die Balearen-Sinfoniker, die bislang in angemieteten Räumlichkeiten proben, bis 2018 einen Sitz im Nou Llevant erhalten. Die Tourismus- und Kulturstiftung Fundatur spendiert zwei Millionen Euro für diese „Caja de Música". Entstehen soll die „Musikbox" in Nachbarschaft zum vor einem Jahr eröffneten Zentrum für sozial benachteiligte Kinder der Fundación Rafa Nadal. Die Stiftung bietet dort Sport und Freizeit-Aktivitäten an.

Auf einen Nutzungszweck wartet noch das Gebäude von Can Ribas, das die Grenze zum Viertel La Soledad markiert und versteckt zwischen heruntergekommenen Wohnhäusern steht. Das Gebäude der 1873 gegründeten Fabrik für Wolldecken wurde restauriert, aber nicht wieder mit Leben gefüllt. Die Stadt sähe hier gerne eine Kultureinrichtung.

Während die Bauträger, denen die zahlreichen bislang ungenutzten Parzellen im Nou Llevant gehören, ihre Karten noch nicht auf den Tisch gelegt haben - möglich sind hier sowohl Wohnungen als auch Ladenlokale -, räumte die Stadtverwaltung im Frühjahr schon mal 66 Tonnen Müll und Bauschutt weg und zäunte vorsorglich Grundstücke ein.

Schon jetzt vermitteln die breiten Straßen und ein weitläufiger Park eine Ahnung davon, wie es hier wohl bald aussehen wird. Auf einer neuen Brücke des Sturzbachs Gros, dessen Ufer im Zuge der Erschließungsarbeiten mit Steinmauern eingefasst und begrünt wurde, hat das Viertel nichts mehr von einem Gewerbegebiet.

Kommentar: Das Potenzial von Palmas Hinterhof