Mit seinen auf mallorquinische Delikatessen spezialisierten Lokalen Es Rebost zieht Helmut Clemens ab April in die im September 2017 nach 62 Jahren geschlossene Bar Cristal an der Plaça d'Espanya in Palma ein. Der 47-Jährige vom Niederrhein lebt seit 1996 auf der Insel und ist weltweit als Hotel- und Gastronomie-­Consultant tätig.

Was verbinden Sie persönlich mit der Bar Cristal?

Ich habe da keine emotionalen Verbindungen, war vielleicht einmal zum Kaffeetrinken dort. Wir finden die Lage gut, und wir glauben, dass Es Rebost dort ein gutes Geschäft machen kann. Wobei ich verstehen kann, dass es vielen Menschen leid tut, dass es die Bar Cristal nach so vielen Jahren nicht mehr gibt.

Was macht Es Rebost anders, um die Miete bezahlen zu können, an der die Vorgänger scheiterten?

Zu unseren Vorgängern kann ich nichts sagen, weil ich nicht mit ihnen gesprochen habe. Das Lokal wird komplett renoviert. Wir werden dort eine zentrale Küche unterbringen, von der wir auch unsere beiden anderen Lokale beliefern. Wir wollen Mittag- und Abendessen anbieten. Die Zahlen des Business-Plans sind vielversprechend - trotz der sehr hohen Miete. Es ist ein Risiko, das wir eingehen.

Welches ist das Zielpublikum?

Hauptsächlich Mallorquiner und Residenten, wie in den anderen Lokalen auch. 60 Prozent unserer Gäste sind Einheimische.

Die mallorquinische Aufmachung richtet sich nicht an Urlauber?

Nein. Ich nenne das sense of place: wissen, wo man ist. Wir versuchen, soweit das möglich ist, mit lokalen Handwerkern zusammenzuarbeiten. Mit den Produkten, die hier seit Ewigkeiten gemacht werden, etwa den Zungenstoffen, stellen wir Mallorca dar. Und die meisten

Mallorquiner, die hier reinkommen, finden das gut.

Wie kommt es, dass erst ein Deutscher auf diese Idee kommt?

Ich weiß es nicht. Ich bin seit mehr als 20 Jahren hier, ich spreche Mallorquinisch, die meisten meiner Bekannten sind Mallorquiner. Zugleich bin ich viel herumgekommen, und was mir häufig fehlt, ist dieser sense of place. Ich möchte morgens aufstehen und wissen, wo ich bin, ob in New York, Hongkong oder Palma.

Vielleicht hilft der Blick von außen?

Möglich. Schließlich gibt es einige Beispiele von Geschäftsideen, auf die erst Ausländer kamen: etwa Flor de Sal oder Fet a Sóller. Wenn man von außen kommt, nimmt man einiges anders wahr, als wenn man es immer mitbekommen hat. Und es gibt sicherlich auch einige Mallorquiner, die ihre Traditionen nicht wertschätzen.

Die Stadt hat Hilfen für 65 emblematische Geschäfte angekündigt. Das Ihre gehört nicht dazu. Ist das ungerecht?

Ich erwarte nichts von der Politik. Das Einzige, was ich erwarte, ist, dass man uns keine Steine in den Weg legt.

Finden Sie diese Hilfen gut?

Ich glaube, jeder Unternehmer sollte in der Lage sein, ohne Hilfen sein Geschäft zu führen. Man muss sich stets neu erfinden und investieren.

Lesen Sie im ePaper: Wie reagieren die Traditionsgeschäfte auf die Liste der Stadt (MZ 925, 25.1.)

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Ist der „sense of place" nicht gefährdet, wenn diese Läden verschwinden?

Die Gefahr besteht, ja. Die Frage ist aber, ob ein Traditionsgeschäft durch die Aktualisierung seines Unternehmensstils nicht in der Lage wäre, weiterhin konkurrenzfähig zu sein. Natürlich kann für einen kleinen Laden eine Mieterhöhung eine Katastrophe sein. Auch wir haben mit den Mieten zu kämpfen. Aber wer hat recht? Der, der die Miete erhöhen will, oder der, der möglichst wenig zahlen will? Schwierig. Wenn ich ein Gebäude habe, will ich den Gewinn maximieren, das ist ganz klar.

Viele sorgen sich um die Identität der Stadt. Wie sehen Sie das?

Ich sehe eine sich beschleunigende Veränderung, die nicht immer positiv ist, etwa was die Vereinheitlichung des Handels durch die großen Ketten betrifft. Aber das passiert weltweit. Je populärer eine Stadt ist, desto größer ist die Möglichkeit, dass die großen Ketten mit ihrem großen Portemonnaie machen, was sie wollen. Darunter leiden dann alle. Die Veränderung macht Palma einerseits attraktiver: Dass man gut essen gehen kann, ist positiv. Andererseits aber auch unattraktiver: Dass es keinen guten celler mehr gibt, ist negativ. Das Gleiche gilt für die Geschäfte: Es ist positiv, dass man die großen Marken bekommt, es ist negativ, dass die kleinen hundert­jährigen Geschäfte zumachen.

Sie wollen sich nicht festlegen.

Ich habe keine Lösung dafür. Bei aller Emotionalität muss man unternehmerisch denken: Entweder es geht, oder es geht nicht. Wenn's nicht geht, machst du zu. Wenn man 20 Jahre lang nicht investiert, dann ist man irgendwann tot. Man muss Marketing machen, man muss online unterwegs sein, das ist eine Menge Arbeit und Aufwand.

Sie sind nicht der einzige Ausländer, der gerade investiert: Was raten Sie den Neuankömmlingen?

Sich zu integrieren. Ich glaube, es ist äußerst negativ, dass man als Ausländer angesehen wird. Ich versuche, mein Deutschsein so weit wie möglich zu kaschieren, es kommt nicht gut an. 90 Prozent des Feedbacks, das ich in den vergangenen Tagen wegen des neuen Lokals von Mallorquinern bekommen habe, war positiv. Doch dann gibt es noch die zehn Prozent von Leuten, die sagen: Muss das jetzt ausgerechnet ein Deutscher machen? Und das tut dann weh.

Im E-Paper: Besuch bei einem der traditionsreichsten Geschäfte der Stadt

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