Es ist ja leider - nicht nur auf Mallorca - selten, dass angekündigte Vorhaben dann auch tatsächlich genauso umgesetzt werden, wie sie einst der Öffentlichkeit vorgestellt wurden. Das Projekt „Itinerem" von Diego Zaforteza allerdings scheint eines dieser wenigen positiven Beispiele zu sein. Der Mallorquiner, Mitglied der einflussreichen Familie, der unter anderem der Luxushafen Port Adriano gehört, will mit dieser Initiative die historischen "possessions", also die jahrhunderte­alten ausladenden Herrensitze auf Mallorca, vor dem Verfall retten und in einem nächsten Schritt touristisch vermarkten. Dazu organisiert er unter anderem geführte Touren über die Landgüter, die sich seiner Initiative anschließen. Die MZ war am Samstag (14.4.) beim Besuch der possessió Comassema nahe Orient dabei. Neben den Rundgängen auf Spanisch bietet Zaforteza inzwischen auch Führungen auf Deutsch an. Diese übernimmt die Galeristin Ingrid Flohr aus Santanyí - das nächste Mal am 6. Mai ebenfalls auf Comassema.

Schon die Anfahrt ist ein Höhepunkt. Ab Orient geht es durch ein liebliches Tal entlang eines Sturzbachs, der aufgrund der Regenfälle in den vergangenen Tagen ordentlich Wasser führt, an alten Olivenbäumen und Schafherden vorbei in Richtung der Haupthäuser der Finca. Insgesamt 800 Hektar groß ist das Landgut, mehr als 1.100 Fußballfelder. Die aktuelle Besitzerfamilie Fortuny scheint einen enormen Aufwand in das Erscheinungsbild des Herrensitzes zu stecken, das Gras ist penibel gemäht, die Wege, die Häuser in beispielhaft gutem Zustand.

Eigentümer Fernando Fortuny, auch Präsident des Verbandes der Besitzer von possessions, zeigt gern her, was er hat, und verschweigt dabei nicht, dass der Erhalt seines Schatzes äußerst kostspielig ist. Zahlen will er nicht nennen, aber: „Wir müssen das alles selbst machen, die öffentlichen Institutionen lassen uns komplett allein", sagt er, während er der Gruppe den Saal zeigt, der für Veranstaltungen, vor allem Hochzeiten, vermietet wird. Und das nicht zu knapp: Wie eine Hausangestellte erklärt, gebe es im Sommer mitunter Wochenenden, an denen am Freitag, am Samstag und am Sonntag eine Hochzeitsgesellschaft in Comassema aufschlägt. Platz gibt es ja genug. 250 Personen können innen feiern, draußen auf dem Rasen können im Sommer noch einmal 100 Gäste hinzukommen.

Gekommen sind an diesem regnerischen und für die Jahreszeit ungewöhnlich kalten Samstag knapp 30 Interessierte, die sich vom wohl in Sachen possessions belesensten Experten auf der Insel, Tomàs Vibot, in die Geheimnisse und die Historie des Anwesens einführen lassen. Diese reicht mehrere Tausend Jahre zurück, denn bereits in der frühgeschichtlichen Talaiot-Epoche siedelten Menschen auf dem Landgut. Steine aus dieser Zeit wurden auf dem Grundstück gefunden. Die erste urkundliche Erwähnung von Comassema datiert aus dem

13. Jahrhundert, aus den Zeiten der Eroberung der Insel von den Mauren durch König Jaume I. im Jahr 1229. Das Haupthaus, so wie es heute steht, stammt allerdings aus dem 17. Jahrhundert. Seither hat sich die burgähnliche Struktur, die der studierte Philologe Vibot mit Camelot vergleicht, kaum ­verändert.

Die Hauptattraktion in Comassema ist ohne Zweifel die mechanische Olivenpresse, eine von ganz wenigen auf der Insel, wie Hausherr Fortuny stolz berichtet. Der MZ-Reporter darf dem Großgrundbesitzer dabei helfen, die mit zahlreichen dicken Riemen und Rädern ausgestattete Anlage in Gang zu bringen. Weil es in dem Raum kühl und feucht ist, erhitzt Fortuny den Motor zunächst einige Sekunden mit einem Bunsenbrenner, während der Reporter mit Schmierspray danebensteht und auf den Motor sprayt, damit sich die Räder zu drehen beginnen und so die gesamte Maschine ­aktivieren.

Es ist nur eine Vorführung: Seit rund 20 Jahren wird hier kein Olivenöl mehr gepresst. Einst war der Verkauf des Öls eine der wichtigsten Einnahmequellen des Landguts. Zeitweise wohnten in einem der Nebenhäuser mehr als 100 Erntehelferinnen, die aus den umliegenden Dörfern während der Erntezeit nach Comassema kamen. Gelegentliche Kontakte mit den männlichen Bediensteten ließen sich dabei nicht verhindern, erklärt Vibot. Man könnte es auch einen großen Heiratsmarkt nennen. „Obwohl es den Frauen eigentlich verboten war, in ihrem Gebäude Männerbesuch zu empfangen", sagt Hausherr Fortuny.

Vom früheren Leben auf der possessió ist heute nicht mehr viel zu sehen. Wenn die Landgüter einst Familien versorgten, die weitgehend autark auf den possessions lebten und nicht auf Lebensmittel von außen angewiesen waren, ist es heute umgekehrt: Die Familie und ihr Vermögen erhalten das Landgut, erklärt Fortuny, der die Teilnehmer an der Führung nach drei Stunden beinahe hinauskomplimentieren muss.

Das Interesse an den Landgütern ist groß - nicht nur bei den Einheimischen. „Das Problem ist aber, dass die meisten Mallorquiner, die diese Landgüter erben, verzweifelt darüber grübeln, wie sie die riesigen Besitztümer unterhalten können", erklärt Tomàs Vibot am Tag nach dem Besuch auf Comassema am Telefon.

Diese Schwierigkeiten haben inzwischen dazu geführt, dass aus einer vormals deutlich vierstelligen Zahl an possessions inzwischen ungefähr 700 geworden sind, von denen rund 15 Prozent, so schätzt Vibot, in Ruinen liegen und unwiederbringlich verloren sind. Vor allem in weniger attraktiven Gegenden des Inselinneren sei das ein großes Problem. „Dort, wo das Meer in der Nähe ist, ist es deutlich einfacher, die Besitztümer etwa an wohlhabende Ausländer zu verkaufen. Deshalb haben wir in Deià beispielsweise keine einzige heruntergekommene possessió", erklärt Vibot.

Darüber hinaus gebe es weitere 300, die gut in Schuss sind und als Landhotels, Agroturismos genannt, auch gute Einnahmen abwerfen. Die anderen werden mehr schlecht als recht von den Besitzern in Schuss gehalten, weshalb es auf der Insel schwierig bis unmöglich sei, eine derart gut erhaltene possessió wie die in Comassema zu finden, die sich nicht als Hotel vermarktet. Und dann gibt es noch eine Handvoll Landgüter, die als Museum dienen, so wie etwa Miramar, das dem Erzherzog Ludwig Salvator gehörte sowie öffentliche Landgüter, wie etwa Planícia bei Banyalbufar, die von öffentlichen Trägern unterhalten werden.

Doch gerade die öffentlichen Institutionen machen den Besitzern von possessions oft das Leben schwer. Jede Renovierungsmaßnahme oder winzige bauliche Veränderung setzt einen aufwendigen Genehmigungsprozess in Gang. „Das Problem dabei ist nicht, dass es dieser Genehmigungen bedarf. Das ist sogar wichtig, um den Schatz der possessions zu erhalten", sagt Vibot. Nein, das Pro­blem sei, dass die Behörden oftmals Monate, wenn nicht Jahre bräuchten, die Lizenz für eine Arbeit auszustellen. Genauso läuft es nach seinen Angaben mit Subventionen, die es durchaus gibt. „Aber wenn die erst nach Jahren ausgezahlt werden, nimmt kaum ein Eigentümer diese Investitionen auf sich. Die Unsicherheit ist zu groß."

Außerdem gebe es Zuschüsse ohnehin nicht auf das Gebäude an sich, sondern nur für ethnologische Besonderheiten wie etwa Brunnen. Nicht einfacher macht das alles, dass viele der posses­sions auf sogenannten Anei-Grundstücken stehen, also Landschaftsschutzgebieten. Das führt dazu, dass immer mehr Mallorquiner versuchen, ihre Besitztümer zu verkaufen (S. 6). Doch das ist zumindest für Fernando Fortuny auf Comassema momentan noch keine Option. Dazu hängt er viel zu sehr an dem Landgut - trotz aller Schwierigkeiten.

Wer sich selbst ein Bild von der Comassema machen möchte, kann sich jetzt für den auf Deutsch geführten Rundgang von Ingrid Flohr am 6. Mai anmelden. Einschreibung und Info unter ­itinerem.com (auch auf Deutsch verfügbar) oder E-Mail: galeriaflohr@gmx.net. Der darauf folgende Rundgang auf Deutsch findet am 10. Juni auf der benachbarten Possessió Sollerich statt.