Schildkröten, deren Flossen in Plastikmüll verheddert sind, Wasservögel, die Plastik gefressen haben und elendig verenden, Strände, überhäuft von angeschwemmtem Kunststoffmüll - praktisch jeder kennt die Bilder. Das Internet ist voll von Schreckensvideos über Plastikabfälle im Meer. Die Zahlen der EU-Kommission sind alarmierend: 26 Millionen Tonnen Plastikmüll entstehen jährlich in den Mitgliedsstaaten, ein Großteil davon landet in den Meeren, überdurchschnittlich viel davon in den Gewässern um die Balearen.

Auch auf Mallorca machen Umweltschutzorganisationen seit etwa zwei Jahren mit massiven Sensibilisierungskampagnen auf die Problematik aufmerksam. Ihnen ist es zu verdanken, dass der Trend zur Nachhaltigkeit längst salonfähig geworden ist. Ein großes Unternehmen nach dem anderen kündigt an, dem Kampf gegen das Einweg-Plastik aufzunehmen. Und nach und nach denken auch die Verbraucher um. Die Reiseführer, die eigens darauf hinweisen, dass einem in Spaniens Supermärkten die Plastiktüten an jeder Ecke nachgeworfen werden, sind überholt. Und dann will die balearische Landesregierung mit einem neuen Gesetz nun sogar europaweit als Pionier auftreten. In einer Art Aufwärtsspirale bestärkt eine Entwicklung die andere, es tut sich viel auf den Balearen.

Eine Art Greenwashing

Im Mercadona-Supermarkt in Cala Ratjada staut es sich mal wieder an den Kassen. „Eine Papiertüte, bitte", sagt ein Kunde zur Kassiererin. „Wir haben keine mehr, alle weg", erwidert die junge Frau bedauernd. Zehn Cent kosten die neuen Papiertüten, die Mercadona in den vergangenen Monaten freiwillig in allen Filialen der Balearen eingeführt hat. Die dünnen Tütchen aus Kunststoff, die früher fast automatisch aufs Band geklatscht wurden, sind ganz aus dem Sortiment verschwunden. „Sie können aber eine aus Plastik kaufen. Kostet auch zehn Cent", sagt die Kassiererin. Der Kunde zuckt die Schultern und nickt.

„Wir haben uns der Umwelt zuliebe dafür entschieden, die Gratistüten aus dem Sortiment zu nehmen", heißt es aus der Mercadona-Leitstelle der Balearen. Viele Kunden nähmen dies an, immer mehr setzen auch auf stabile Tragetaschen für 50 Cent. Vor allem ausländische Kunden aus Nord- und Mitteleuropa kämen ohnehin seit Jahren mit eigenen Beuteln. „Und die Leute von hier fangen damit auch an." Nein, es sei kein Widerspruch, dass an der Gemüsetheke weiterhin Plastiktütchen ausliegen. Bei der Verpackung frischer Lebensmittel wolle man den Kunden nichts vorschreiben, sie seien selbst in der Verantwortung, nicht übermäßig viele bolsas zu nehmen. Und einige kämen der bereits nach.

Lidl auf den Balearen argumentiert in puncto Obst- und Gemüsetüten ähnlich. An der Kasse gibt es braune Papiertüten, gespickt mit dem Aufdruck „bio organic". Und außerdem trenne man in den Lidl-Filialen auf den Balearen helles und buntes Plastik des Verpackungsmaterials, auch Karton werde bei dem Unternehmen wiederverwertet, ebenso das Holz kaputter Europaletten.

Nicht nur die Supermarktketten liefern sich derzeit einen Wettlauf darum, wer der Nachhaltigste ist. Auch Mallorcas Hotelketten sparen nicht mit Pressemitteilungen, in denen sie damit prahlen, als vermeintlich erstes Unternehmen der Branche auf möglichst viele Kunststoffartikel zu verzichten. „Die beste Erfahrung unserer Kunden soll mit dem Respekt gegenüber unserem Planeten vereinbar sein. Die Verschmutzung durch Plastik ist eine weltweite Herausforderung und betrifft uns alle", formuliert es der Meliá-Vize Gabriel Escarrer . Bis Ende des Jahres wolle der Konzern Einweg-Plastik wie Flaschen, Gläser, Tüten, Untersetzer für Gläser und Strohhalme Stück für Stück aus den Hotels verbannen und durch biologisch abbaubare Materialien ersetzen. Auch Kosmetikprodukte mit nicht nachhaltigen Inhaltsstoffen sollen so schnell wie möglich aus den Hotelzimmern verschwinden, heißt es. „Wir schätzen, dass wir dadurch jährlich 15 Tonnen CO2-Emissionen vermeiden, die bei der Plastikherstellung und -verbrennung entstehen", so Pressesprecherin Ana Rubio. Immerhin verwendete die Hotelgruppe allein im Jahr 2017 weltweit 22 Millionen Plastikflaschen.

Konkurrent Riu Hotels übertrumpft, bietet seinen Kunden in Spanien und Portugal bereits seit dem 1. Juni kompostierbare Trinkhalme an. „Sie bauen sich nach rund 40 Tagen ab." Das, so das Unternehmen, sei ein großer Erfolg, wenn man bedenke, dass ein Kunststoffhalm eigentlich 300 Jahre braucht, bis er verrottet ist. Auch beim Hotel-Riesen Iberostar hat der Kampf gegen Einweg-Plastik bereits begonnen. „Wenn wir nichts tun, gibt es im Jahr 2050 mehr Plastik als Fische im Meer", schreibt das Unternehmen auf seiner Internetseite. In allen Iberostar-Hotelzimmern in Spanien würde Einweg-Plastik daher 2018 durch wiederverwendbare oder zumindest weniger umweltschädlichere Alternativen ersetzt.

Selbst die wegen Korruptionsskandalen gebeutelte Unternehmensgruppe Cursach bemüht sich auf diese Weise um gute Presse: „Seit Beginn der Touristensaison verzichten wir komplett auf den Gebrauch von Plastik-Trinkhalmen in all unseren Einrichtungen der BH-Hotels und -Apartments", heißt es in einer Pressemitteilung. Noch verschont bleiben die Sangría-Freunde an der Playa de Palma. 1,7 Millionen Trinkhalme sollen so aus dem Abfall-Kreislauf verschwinden, und das „mehr als ein Jahr, bevor das Trinkhalm-Verbot auf den Balearen in Kraft tritt". Die Gruppe plane außerdem, „auch in Sachen Teller und Gläser nachhaltiger zu werden."

Das Gesetz

„Erst waren sie alle kritisch, und jetzt wollen viele der Unternehmer auf den Zug aufspringen. Nach dem Motto: Wenn Nachhaltigkeit schon gesetzlich festgeschrieben wird, dann wollen wir uns wenigstens als Erste damit brüsten", bewertet Sebastià Sansó diese Entwicklung. Als Generaldirektor für Abfälle im balearischen Umweltministerium war er federführend an der Ausarbeitung des neuen Abfallgesetzes beteiligt. Keine Plastik-Trinkhalme mehr, keine Wattestäbchen, keine Einweg-Kaffee-Kapseln, keine Einweg-Trinkflaschen in Hotels, keine Einweg-Rasierer - die angedachten Regelungen sind weitreichend, wenn auch nicht neu. Die EU-Kommission plant ähnliche Verbote, doch die Mühlen in Brüssel mahlen langsamer. Eine vorgeschlagene EU-Richtlinie nimmt ebenfalls zehn Wegwerf-Produkte besonders ins Visier und plant zudem, dass bis 2030 Kunststoffe in allen Mitgliedsstaaten wiederverwertbar sein sollen. Noch hängt aber alles in der Schwebe, die Zustimmung des Parlaments und der Mitgliedsstaaten ist in weiter Ferne. Nicht so auf den Balearen. „Im Herbst wird das Gesetz verabschiedet, im Januar 2020 tritt es in Kraft", sagt Sansó zuversichtlich. Obwohl er schon zahlreiche Interviews zu dem Thema gegeben hat, schwingt Aufregung in seiner Stimme mit. „Das Gesetz ist sehr mutig und vielleicht auch etwas riskant, aber wir müssen es wagen, wenn wir wollen, dass sich etwas bewegt."

Klar: Nachhaltigkeits-Trend hin oder her - nicht alle sind von den Plänen der balearischen Linksregierung begeistert. Mehrere multinationale Konzerne - darunter Nestlé, Kellogg's und Pepsico - kündigten jetzt an, rechtlich gegen die Pläne der Balearen-Regierung vorgehen zu wollen. „Sie sagen, wir hätten nicht die Kompetenz, uns so in den Markt einzumischen, aber das ist Quatsch", so Sansó. „Umweltschutz und Abfallentsorgung liegt klar im Aufgabenbereich der Landesregierung. Sie haben nur Angst, dass andere Regionen unserem Beispiel folgen."

Wenn man sich den Pressespiegel um das neue Abfallgesetz ansieht, bekommt man tatsächlich den Eindruck, dass es im großen Stil Vorbildcharakter haben könnte. In ganz Europa berichteten überregionale Medien seit der Veröffentlichung des Gesetzentwurfs im Januar von dem Vorreiter auf den Inseln - und das durchweg in positiver Manier.

Großes Lob

Selbst ewige Kritiker wie Mallorcas größter Umweltverband Gob scheinen ausnahmsweise einmal nichts an der Politik der Regierenden auszusetzen haben. „Der Gesetzentwurf ist ziemlich fortschrittlich, er geht sogar noch weiter, als wir es gefordert haben", sagt Gob-Sprecherin Margalida Ramis und muss selbst lachen. „Ja, in diesem Fall können wir nicht meckern." Und der Moment sei perfekt, um auf Unterstützung der Konsumenten zu stoßen. „Die Verbraucher auf den Balearen sind durch die Kampagnen der NGOs für dieses Thema sensibilisiert wie nie", so Ramis. Auch, wenn es wohl ein Wunschdenken sei, anzunehmen, dass tatsächlich von einem Nachhaltigkeits-Trend in der Bevölkerung die Rede sein könnte. „Schön wäre es. Ich glaube, im tatsächlichen Konsumverhalten muss sich noch einiges ändern. Aber die Offenheit vieler Menschen für solche Themen ist definitiv da." Umweltaktivisten, Politiker, Konsumenten und Unternehmen trügen alle dazu bei, dass immer mehr auf Nachhaltigkeit gesetzt würde. „Wir machen uns nichts vor. Gerade Unternehmen tun es vor allem, weil es einfach gut klingt. Aber selbst wenn es oft nicht ausreicht, was sie tun, fördern sie damit diese positive Entwicklung." Das glaubt auch Olaf Bandt, Geschäftsführer Politik und Kommunikation der Umweltorganisation BUND. „Es gibt gerade ein Erwachen in ganz Europa und sogar darüber hinaus", sagt er. „Eigentlich geht es bei der Problematik natürlich um viel mehr als um einzelne Produkte wie beispielsweise Trinkhalme oder Plastiktüten, die sich in Schlagzeilen so gut machen. Aber ich denke trotzdem, dass lokale Initiativen viel bewirken können, sei es durch Unternehmen oder durch regionale Politik."

Nicht auf die EU warten

In Deutschland beispielsweise würden Handelsketten seit Jahren freiwillig auf die kostenlose Ausgabe von Plastiktüten verzichten. Das sei positiv, reiche aber nicht aus, um die Umweltprobleme in den Griff zu bekommen. „Deswegen ist es richtig , manche Artikel per Gesetz zu verbieten. Wir brauchen tatsächlich keine Plastik-Trinkhalme." Ein striktes Verbot führe dazu, dass sich Alternativen entwickeln, die das Konsumverhalten der breiten Masse beeinflussen. Auf die Regelungen der EU zu warten, könne hingegen lange dauern. „Da ist es besser, regional erste Schritte zu tun."

„Es ist nicht verkehrt, im Kleinen anzufangen und dabei auch ruhig größer zu denken, als die EU", findet auch Verena Bax, Referentin für Umweltpolitik bei Nabu. Sie würde nicht so weit gehen, von einer Aufwärtsspirale zu reden, wohl aber von einer starken Sensibilisierung für das Thema Plastikkonsum. „Die öffentliche Stimmung war nie so positiv." Ihrer Meinung nach reiche es aber nicht aus, sich auf die Reduzierung spezieller Einweg-Plastikteile zu fokussieren. „Die Produzenten müssen stärker in die Verantwortung genommen werden", findet sie. Ein Teil der Kunststoffe auf dem Markt sei beispielsweise gar nicht recycelbar. „Und oft ist es für Hersteller derzeit günstiger, auf solche Kunststoffe zurückzugreifen als auf recycelbare." Eine Lösung dafür sei beispielsweise eine Plastik-Steuer, die die Nutzung solcher Kunststoffe für die Produzenten unattraktiver macht. „Dafür haben wir als Landesregierung leider nicht die Kompetenz", sagt Sansó. Er hofft aber, dass von EU-Seite aus dahingehend gehandelt wird. „Eine Plastik-Steuer wäre eine tolle Sache. Bleibt zu hoffen, dass Brüssel sich das traut."Der nächste Schritt

Ein anderer Punkt, den Umweltreferentin Bax sieht, ist die Einführung eines Mehrwegsystems, wie es in Deutschland bereits seit 2003 existiert. Auch das will die EU erst 2025 einführen. „Wir haben überlegt, es auf den Balearen schon 2020 zu starten, aber es war bisher einfach zu komplex und teuer", fügt Sansó hinzu. Zudem habe auch dieses System so seine Schwachpunkte. In Deutschland liegt der Pro-Kopf-Plastikverbrauch mit 37,4 Kilo pro Jahr über dem in Spanien (31,8 Kilo). „Möglicherweise auch, weil das Pfandsystem dazu beiträgt, dass man in Deutschland Plastikflaschen ohne schlechtes Gewissen mehr kauft", so Bandt. Verena Bax würde das nicht unterschreiben. „Ich glaube eher, dass es am To-go-Trend liegt, der in Deutschland immer noch ausgeprägt ist." Und an dem Irrglauben, dass Plastik der alleinige Übeltäter sei. „Papier ist auch nicht viel besser, wenn man es nur einmal benutzt. Bei den Menschen muss noch ankommen, dass es generell nicht gut ist, Sachen nur einmal zu benutzen."

Auf den Balearen wird es in diese Richtung gehen. Mehrweg statt Einweg ist eines der Schlagworte im neuen Gesetz. „Wir packen einfach das in ein Gesetz, was sich in den vergangenen Jahren immer mehr zu einer Philosophie entwickelt hat. Gerade hier auf den Inseln", so Sansó. „Wir sind hierzulande unmittelbarer betroffen als andere Gegenden in Europa. Die Menschen könnten die Problematik des Plastiks im Meer mit eigenen Augen sehen." Dazu seien nicht einmal schaurige Youtube-Videos nötig.