Wäre der Ballermann ein Tier, man könnte ihn sich als einen Bären vorstellen. Jedes Jahr im Frühjahr wird dieser seltsame Geselle von einer Horde junger, meist um die 20 Jahre alter Urlauber heraufbeschworen und freigelassen. Etwas schlaftrunken blinzelt der junge Ballermann-Bär im April dann in die Morgensonne an der Playa de Palma, er hat Hunger, Durst und Lust, auf Tischen zu tanzen. Das ist am Anfang noch niedlich, doch dann wird aus dem Bären ein Ungeheuer, dass seinen Schatten über die Insel wirft. Er wird leicht reizbar, stolpert über Tische und Stühle und hinterlässt überall Dreck. Zum Ende des Sommers wird er etwas müde und schunkelt noch ein wenig mit den Fußball- und Kegelklubs. Bis er sich schließlich Ende Oktober zum Winterschlaf begibt.

Nun gibt es schon seit vielen Jahren das Bemühen, den Bären am Ballermann zu zähmen. Das ist politisch so gewollt. Auch Unternehmer versuchen, das Habitat zu verändern, einen „neuen Spirit" zu etablieren, wie Juan M. Ferrer, Präsident der Unternehmer-Vereinigung Palma Beach, sagt. Und der Anwohnerverband S'Arenal fordert regelmäßig Peitsche statt Zuckerbrot. Wie steht es um die Playa de Palma? Die MZ-Bilanz zum Saisonende.

Sicherheit und Polizei

„Es hat sich nichts geändert", sagt Biel Barceló, Präsident der Nachbarschaftsvereinigung in Arenal. Der Ärger über Alkoholexzesse, Lärm, Erbrochenes auf der Straße und in den Vorgärten sitzt tief. Bald soll im Stadtrat wieder einmal über verschärfte Benimmregeln abgestimmt werden, die im Oktober in Kraft treten sollen. „Das wäre ein Fortschritt", sagt Biel Barceló. „Doch wir sind sehr skeptisch. Ein Grundproblem ist, dass es hier zu wenig Polizisten gibt, und das wissen die Touristen ganz genau." Es schwingt Frust mit in seinen Worten: „Wir haben es langsam satt, uns wieder und wieder beim Rathaus in Palma zu beschweren."

Dabei hatte die Polizei im Juni die Muskeln spielen lassen, und zwar deutlich mehr als in den vergangenen Jahren. Im Juni gab es eine Razzia mit mehr als 60 Beamten im Bierkönig. Die Polizisten fahndeten nach illegal Beschäftigten und nach Gründen, warum schon im Mai mehr als 120 Taschendiebstähle von ­Besuchern des Lokals angezeigt worden waren. Die Beamten zogen gruppenweise über Strand und Straßen, sie sprachen Verwarnungen und Bußgelder wegen zu lauter Musik und exzessivem Alkoholkonsum aus, man sah illegale Strandhändler über den Sand flitzen. Doch der Spuk war schnell wieder vorbei. Just als die deutsche Nationalmannschaft in der Vorrunde der Fußball-Weltmeisterschaft ausschied, schien auch der Polizei die Puste auszugehen. Immerhin hatte die zur WM-Ballermann-Berichterstattung angereiste Presse mitbekommen, dass sich etwas tut an der Playa de Palma. Vergleichbare Großaktionen hat es in der Saison nicht mehr gegeben.

Angélica Pastor, Stadträtin für Sicherheit, sieht sich dennoch auf einem guten Weg. „In diesem Jahr haben wir mehr Polizisten als jemals zuvor eingesetzt, die auf die Sicherheit in den Touristengebieten achten. Wir sind und werden im Kampf gegen den Sauftourismus unerbittlich sein." So habe der Sommerbetrieb der Ortspolizei in diesem Jahr bereits im März begonnen, zwei Monate früher als gewöhnlich. Täglich würden im Stadtgebiet, zu der ein großer Teil der Playa gehört, 120 Ortspolizisten eingesetzt, das seien 28 mehr als noch im vergangenen Jahr. Wie viele davon allein am Ballermann beschäftigt sind, könne man nicht sagen. Nur das dort weiterhin bis Oktober mit verstärkter Kraft Patrouillen gefahren werden.

Auch Robert Peréz, Sprecher der Ortspolizei Palma, will eine konkreten Zahl der Beamten an der Playa nicht herausrücken. Es seien aber auf jeden Fall um die zwölf Polizisten, das ändere sich ständig nach Tageslage. „Bis jetzt kann man von einer ruhigen Saison sprechen", bilanziert Peréz. Es habe in diesem Jahr weniger Schlägereien gegeben. Ob es zu mehr Taschendiebstählen gekommen sei, könne er nicht sagen. Dies werde von der Nationalpolizei erfasst, eine entsprechende Statistik stehe noch aus. Wirklich brenzlig sei eigentlich nur die Messerstecherei gewesen, bei der die Kollegen der Nationalpolizei seit Jahrzehnten zum ersten Mal an der Playa von der Schusswaffe Gebrauch machten. Ein Marokkaner hatte einem Mitglied der Hells Angels in die Brust gestochen und es schwer verletzt, ein weiterer Rocker erlitt eine Stichwunde am Rücken. Die Polizei stellte den Mann, der auch die Beamten mit dem Messer bedrohte, mit einem Schuss in den Fuß. Peréz lobt den Einsatz, die Kollegen hätten sehr professionell reagiert, mehr könne er dazu nicht sagen. Man hält sich von offizieller Seite gern bedeckt, an der Playa de Palma.

Die deutschen Partymacher

Auf einen Kerl musste man am Ballermann in diesem Jahr verzichten, Ikke Hüftgold - Markenzeichen ausgestreckter Mittelfinger und schwarze Zottel-Perücke - hatte schon Ende 2017 die Segel gestrichen, um an den Goldstrand nach Bulgarien zu ziehen. Seine Auftritte sind dem Bierkönig wohl zu zotig geworden, auch wenn das von offizieller Seite nie jemand zugeben würde. Hüftgold, oder Matthias Distel, wie er mit richtigem Namen heißt, hat neben dem Goldstrand eine weitere Bühne für sich entdeckt: Er tritt als Experte bei „Hart aber fair" zum Thema Massentourismus auf und ist bei „Stern TV" zu sehen. Aufgegeben hat er Mallorca aber nicht, über seine Künstler-Agentur Summerfield Music hat er noch ein Paar Pferde wie Lorenz Büffel im Ballermann-Stall. Ingo Wohlfeil, Chefreporter bei der „Bild-Zeitung", veröffentlichte einen Artikel, in dem zu lesen war, dass Ikke Hüftgold über Summerfield Music versuchen würde, seinen Einfluss im Megapark auszuweiten. „Putschversuch im Megapark?" lautete der Titel. Auch das wird wohl niemand offiziell bestätigen, dementiert habe es aber auch niemand.

Der Reporter, der zum ersten Mal 2007 von der Insel berichtete und seit 2014 für die „Bild-Zeitung" regelmäßig sein Quartier von Frühjahr bis Herbst am Ballermann aufschlägt, ist selbst zu einem wichtigen Akteur des Ballermanns geworden. Einige Straßenverkäufer nennen ihn wegen seiner grauen Haare „den Weißen", nähert man sich mit ihm der Schinkenstraße, nehmen die „Ingo! Ingo!"-Rufe zu. Für ihn hat diese Saison mit einer nie dagewesenen Angst um den Ballermann begonnen. „Eine der meistgestellten Fragen bei ,Bild Mallorca' auf Facebook war, ob der Megapark überhaupt wieder aufmachen würde." Anfang des Jahres eskalierte ein Streit um Lizenzen zwischen der Stadt Palma und der Cursach-Gruppe, dessen größte Cashcow der Megapark ist. Chef Bartolomé Cursach saß zu dieser Zeit noch in Untersuchungshaft, unter anderem wird ihm langjährige Bestechung vorgeworfen.

Cursach kämpft sich zurück

In einer Hauruck-Aktion öffnete der Megapark zwei Wochen vor dem geplanten Termin am 16. März die Türen. Baudezernent José Hila ordnete am 3. April eine Teilschließung an. Der Megapark geriet in Schieflage. Doch der

Party-Riese kämpfte sich zurück. Das Blatt wendete sich, als Ermittlungsrichter Manuel Penalva wegen Befangenheit der Fall Cursach entzogen wurde. Am 18. April verließ Bartolomé Cursach gegen 21.20 Uhr das Gefängnis auf Mallorca, nachdem er eine Million Euro als Kaution hinterlegt hatte.

Seitdem sieht man ihn ständig im Megapark. Er isst Schnitzel mit Pommes in seinem Restaurant Don Quixote, dessen Wiedereröffnung seine Anwälte durchgesetzt haben. Im lange gesperrten, rechten Teil des Megaparks hat man die „Feel Good"-Lounge aufgemacht, mit eigenem Eingang und Swimmingpool. Bartolomé Cursach marschiert mit den leitenden Angestellten regelmäßig durch die Halle, er dirigiert, lässt die Konfetti-Kanonen schießen und hat kräftig am Künstlerkonzept gebastelt. Weniger Auftritte, statt 5.000 passten nach den Teilschließungen eh nur noch rund 2.500 Gäste hinein, da konnte eingespart werden. Stattdessen holte er bekannte Musiker wie Brennan Heart, den niederländischen Hard­style-DJ, und den Hip-Hopper Kool Savas für einen Gig. „Wir wollen internationaler werden", sagt Sigi Holeis, der für das Booking im Megapark verantwortlich ist. Man werde das im nächsten Jahr ausweiten, mehr Konzerte um zwei Uhr nachts im unteren Bereich veranstalten. „Der Ballermann galt unter internationalen Künstlern lange als uncool. Doch der Ballermann kann cool sein", sagt er. Seine Saison-Bilanz: „Wir stehen ganz gut da, im Großen und Ganzen sind wir zufrieden." Ein Grinsen kann er sich nicht verkneifen.

Auch beim Konkurrent Bierkönig hat man gut Lachen: „Für uns war es eine sehr gute Saison", sagt ein Sprecher. „Wir hatten mehr Besucher als im letzten Jahr." Das frühe Ausscheiden der deutschen Nationalmannschaft wäre zwar schade gewesen, die Leute hätten aber

trotzdem weitergefeiert. Nach Schlägereien im vergangenen Jahr und der überraschenden Razzia zu Jahresbeginn hat der Bierkönig sein Sicherheitskonzept überarbeitet. Das Personal wurde schon vor der Saison komplett ausgetauscht, es gibt nur noch einen zentralen Eingang, überall hängen Kameras. „Da sitzt ständig jemand vor den Monitoren und schickt die Security dorthin, wo Ärger droht", sagt Ingo Wohlfeil. Die würden dann häufig nur noch auf die Kameras zeigen, das würde reichen. Das Konzept des Bierkönigs 2018 war Prävention. Und man hielt die Füße still, denn auch gegen die Pascual-Besitzer-Brüder wird wegen Bestechung ermittelt. Nacktauftritte gab es in dieser Saison keine, man veranstaltete im Frühjahr eine Biermesse mit mallorquinischen Bieren, zu der auch Palmas Bürgermeister Toni Noguera kam. Zumindest hier scheint die Zähmung des Bären zu gelingen.

Die ganze Aufregung in der Schinkenstraße und dem Megapark sieht man im Deutschen Eck an der Bierstraße aus einiger Entfernung. „Hier geht es etwas seriöser zu", sagt Wirtin Felicitas Bohrmann, und: „Diese Saison war Bombe und sie ist noch Bombe." In Prozent könne sie das nicht angeben. Man profitiere vor allem von den Stammgästen, neu in dieser Saison sei gewesen, dass man mehr Mittag- und Abend­essen verkauft habe. Sonst sei alles beim Alten.

„Einfach weniger Leute da"

Gern ein paar mehr Mittag- und Abend­essen hätte sicherlich Juan M. Ferrer vom Unternehmerverband Palma Beach verkauft, der unter anderen das Chalet Siena und das ­Restaurant Ginger Beach betreibt. „Die Saison ist durch das schlechte Wetter langsam in ­Schwung gekommen. Dazu hatte ­Deutschland einen ­hervorragenden Sommer. Insgesamt rechnen wir in diesem Jahr an der Playa de Palma mit einem Umsatzrückgang von bis zu zwölf Prozent, es waren einfach weniger Leute da", sagt er.

Das bestätigt auch Francisco Marín, der Präsident der Hotelvereinigung an der Playa de Palma. „In der Auslastung der Hotels erwarten wir ein Minus von drei bis sechs Prozent im Vergleich zum Vorjahr." Beschwerden, dass die Zimmerpreise auch mit der Verdopplung der Touristensteuer kräftig angezogen haben, will er so nicht stehen lassen. „Wer an der Playa de Palma Urlaub macht, kann mittlerweile zwischen sehr hochklassigen Hotels mit hohen Preisen wählen. Es gibt aber auch eine normale Preiskategorie und sehr günstige Angebote." Es sei also für jeden etwas dabei. Nur scheint sich das auf die breite Masse gesehen nicht auszuzahlen. „Mein Eindruck ist, dass viele Hotels zum Ende der Saison mit Sonderangeboten reagiert haben", gesteht er schließlich ein. Kürzlich hat Francisco Marín bekannt gegeben, nach fast 15 Jahren nicht mehr für den Vorsitz des örtlichen Hoteliersverbandes kandidieren zu wollen. „Es war eine lange Zeit, und es ist notwendig, dass jüngere Leute nachrücken."

Juan M. Ferrer bedauert das, Francisco Marín habe viel von seiner Freizeit geopfert, um für die Qualität an der Playa zu kämpfen. „Wir befinden uns mit unserem neuen Tourismus-Modell in einer Übergangszeit, sagt er. Die Qualitätsoffensive zeige durchaus Wirkung. „Mehr Gäste wollen hochklassige Cocktails trinken, sie wollen eine gute Küche genießen. Das wird in den nächsten Jahren so weitergehen." Allerdings: „Wenn wir nächstes Jahr noch mal zwölf Prozent weniger Umsatz machen, dann müssten wir uns große Sorgen machen."

Alles sauber hier

Zur Qualität gehört natürlich auch das Badewasser und das sei hervorragend, sagt Juan M. Ferrer. Gerade habe man eine Anlage zur Reinigung des Wassers an der Playa erneuert. Rote Flaggen an der Playa wegen schlechter Wasserqualität, wie sie an Palmas Stadtstränden Ciutat Jardí und Can Pere Antoni in diesem Jahr häufiger zu sehen waren, seien hier unvorstellbar. Tatsächlich wäre dies eine Art Super-GAU für den Tourismus an der Playa. Aber Can Pere Antoni und die Probleme mit der bei Regenfällen überlasteten Kläranlage Coll d'en Rabassa sind aus der Perspektive des Unternehmers weit weg. Ja, Luftlinie seien es zwar nur knapp sieben Kilometer, aber die Strömung treibt das Abwasser von Coll d'en Rabassa glücklicherweise in Richtung Palma.

So geht eine umkämpfte Saison zu Ende. Der Bär Ballermann hat sich wieder ordentlich Speck angefressen, um den Winter gut zu überstehen. Er lässt sich nicht so einfach am Nasenring durch die Manege ziehen, kann aber auch durchaus neue Tanzschritte lernen. Rund um ihm herum entsteht eine neue Playa de Palma, die allerdings noch ihren Rhythmus finden muss. Am Ende wird man das Tänzchen weiter gemeinsam wagen müssen.

Kommentar: Die Playa de Palma in der Schwebe