Es sind bereits sechs Familien , die sich zusammengeschlossen haben. Mütter und Väter, Onkel und Tanten von Verkehrstoten auf Mallorca, auf Ibiza, in Madrid. Sie haben ein gemeinsames Ziel: Autofahrer, die sich betrunken oder unter Drogeneinfluss ans Steuer setzen und im Rausch Menschen totfahren, sollen nicht mehr mit niedrigen Strafen davonkommen. „Die dann nicht selten auf Bewährung ausgesetzt werden", sagt José Fernández. Er ist der Patenonkel der 15-jährigen Paula, die eine betrunkene Pkw-Fahrerin in der Nacht auf den 25. Juni 2018 in Sa Ràpita totfuhr. Die 44-jährige Fahrerin, der in der Vergangenheit schon einmal wegen Alkohols am Steuer der Führerschein entzogen wurde, war zunächst vom Unfallort geflüchtet. Nach ihrer Vernehmung kam sie auf Kaution wieder frei. Nun wartet sie auf ihren Prozess - in dem sie mit maximal vier Jahren Haft bestraft werden darf. „Wie kann das sein - während die Angehörigen ein Leben lang leiden?", fragt Fernández.

Nach der Sammlung von mehr als 250.000 Unterschriften auf der Online-Plattform change.org wurden die Familien im September von Vertretern der vier wichtigsten Fraktionen im spanischen Abgeordnetenhaus in Madrid empfangen. Inzwischen liegt ein Gesetzentwurf vor, der eine Anhebung der Höchststrafen in Spanien vorsieht, sofern Alkohol oder Drogen im Spiel sind: bis zu sechs Jahre bei einem Toten und Verletzten, bis zu neun Jahre bei mindestens zwei Toten.

Weiter Weg bis „Vision zero"

Paula war eines von 47 Todesopfern im balearischen Straßenverkehr des Jahres 2018. Zwar ist die Zahl im Vergleich zum Vorjahr, als auf den Inseln 66 Todesopfer beklagt wurden, deutlich gesunken. Doch zum einen spiegelt das nicht den mittelfristigen Trend wider. Und zum anderen gibt es Entwicklungen, die Sorgen bereiten. Etwa die hohe Zahl der tödlich verunglückten Motorradfahrer - ihre Zahl stieg auf 24. Oder eben die Rolle von Alkohol und Drogen. Statistisch gesehen werden auf den Balearen täglich 13 Fahrer deswegen abgestraft - Tendenz steigend. Und auch die Zahl der erwischten Temposünder ist bedenklich: Im ersten Halbjahr 2018 stellte die Polizei knapp 95.000 Bußgeldbescheide aus.

Das Umdenken in der Verkehrssicherheitspolitik auf den Balearen und in ganz Spanien hatte vor knapp 15 Jahren eingesetzt, nachdem das Land europaweit und jahrelang ­Spitzenpositionen in den Statistiken der Unfall­toten eingenommen hatte. Der Punkte-Führerschein hielt Einzug, der Gesetzgeber verschärfte das Strafrecht, Schock-Kampagnen im TV liefen an. Die Strategie ging auf, die Zahl der Todesopfer im Straßenverkehr sank innerhalb von zehn Jahren um zwei Drittel.

Doch seit dem Jahr 2015 ist die Zahl wieder gestiegen oder stagniert, je nach Vergleichszeitraum und -monat. Im europaweiten Ranking der Verkehrssicherheit rutschte Spanien zuletzt vom fünften auf den achten Platz. Dass am Regelwerk nachgebessert und über neue Strategien nachgedacht werden muss, zeigt sich derzeit an mehreren Initiativen sowohl auf Balearen- als auch auf Spanien-Ebene. Während in Madrid neue Tempolimits beschlossen werden und eine Reform des Punkte-Führerscheins geplant ist, sieht auf den Inseln der von der Linksregierung auf den Weg gebrachte Masterplan für Mobilität ­neben der Förderung des öffentlichen Nahverkehrs auch ein umfassendes Maßnahmenpaket für mehr Straßensicherheit vor. Es orientiert sich am Konzept von „Vision Zero", das Schweden seit Ende der 90er-Jahre umsetzt. Grundgedanke: Menschen machen Fehler. Das Verkehrssystem muss daher so gestaltet werden, dass diese Fehler nicht zu lebensbedrohlichen Verletzungen führen und möglichst niemand sterben muss.

Neue Tempolimits

Beschlossen seit Ende vergangener Woche durch den spanischen Ministerrat ist ein neues Tempolimit. Auf konventionellen, einspurigen Landstraßen gilt in Kürze Höchstgeschwindigkeit 90 statt bislang 100. Bis Ende Januar werden nun die Verkehrsschilder angepasst. Welche Abschnitte und wie viele Kilometer auf Mallorca betroffen sind, konnte die balearische Verkehrsbehörde auf Anfrage der MZ noch nicht sagen, spanienweit ist von rund 7.000 Kilometern die Rede. Für Lkw, Busse und Lieferwagen sinkt die Maximalgeschwindigkeit von Tempo 90 auf 80.

Nach Expertenmeinung war die Entscheidung überfällig und ließ bislang nur deshalb auf sich warten, weil Tempolimits nicht unbedingt die Popularität von Politikern steigern. Mehr als drei Viertel aller tödlichen Unfälle außerhalb geschlossener Ortschaften in Spanien ereignen sich auf Landstraßen. Auch auf der Insel ergibt sich dieses Bild. Von den Autobahnen Palma-Inca und Palma-Llucmajor abgesehen, verteilen sich die tödlichen Unfälle der vergangenen fünf Jahre auf die Landstraßen der Insel. Während es auf Palmas Ringautobahn zwar häufig kracht, hier aber selten ­Menschen zu Tode kommen, stechen in der Statistik der tödlichen Unfälle vor allem die Landstraßen nach Campos, Artà, Alcúdia oder ­Sineu hervor.

Auch innerorts soll Geschwindigkeit herausgenommen werden, sei es durch Konzepte für sichere Schulwege, wie sie die Stadt Inca vorantreibt, oder durch die Ausweitung der Tempo-30-Zonen. Zuletzt beschloss Palma im September dieses Tempolimit für die Viertel Rafal Nou, Rafal Vell und Vivero östlich der Ringautobahn - und geht damit ein Projekt an, das die Bürger im Rahmen des „partizipativen Haushalts" selbst vorgeschlagen haben. Die Verkehrsberuhigung soll Anfang 2019 angegangen werden.

Die beschlossenen Tempolimits nähern sich den Zielen an, die die Linksregierung in ihrem Mobilitätsmasterplan für den Zeitraum 2019 bis 2022 ausgibt. Tempo 30 soll innerorts zur Regel werden, Tempo 50 zur Ausnahme. Für Landstraßen werden Maximalgeschwindigkeiten von 70 bis 90 Stundenkilometern angepeilt, für Schnellstraßen und Autobahnen 90 bis 110 Stundenkilometer.

Lösung Mittelstreifen

Ging es bei bisherigen Straßenbauprojekten in erster Linie darum, Engpässe zu beseitigen und für mehr Kapazität zu sorgen, rückt bei künftigen Maßnahmen die Sicherheit in den Vordergrund - zumindest nach Lesart der derzeitigen Linksregierung. Im Fall der Landstraße Llucmajor-Campos, die nach schweren Frontalkollisionen als Mallorcas Todesstrecke gilt, soll ein Ausbau zur Schnellstraße mit ­gesichertem Mittelstreifen Abhilfe schaffen. Umweltschützer stellen das Projekt des zweispurigen Ausbaus allerdings immer wieder infrage. Sie fordern stattdessen eine weitere Verschärfung des Tempolimits. Selbst jetzt, nach dem offiziellen Baubeginn, gehen die Proteste weiter, und der Inselrat will das Projekt nachträglich weiter verschlanken.

Um weitere Gefahrenstellen im balearischen Straßennetz zu beseitigen, sieht der Mobilitätsmasterplan vor, dass die Inselräte jährlich einen Aktionsplan vorlegen. Für die Umsetzung soll dann ein Fünftel des jeweiligen Straßenbaubudgets zur Verfügung stehen. So könnten bis zum Jahr 2026 durch die Investition von 48 Millionen Euro insgesamt 40 Gefahrenstellen entschärft werden, heißt es bei der Linksregierung.

Der Masterplan hat zudem konkrete Abschnitte auf Hauptverkehrsachsen identifiziert, wo durch eine Verstärkung des Mittelstreifens Frontalkollisionen vorgebeugt werden soll. Konkret nennt der Plan die Strecken Peguera-Andratx, Palma-Sóller, Sa-Pobla-Alcúdia, Manacor-Artà, Campos-Felanitx und Campos-Santanyí - insgesamt 95 Kilometer, was Baukosten von rund 95 Millionen Euro entspreche. Statistisch gesehen könnte die Zahl der Todesopfer so um 20 Prozent sinken. Was aus den Plänen wird, hängt letztendlich aber vom Ergebnis der Regionalwahlen im Mai 2019 ab - der Masterplan soll zwar im ersten Quartal verabschiedet werden, seine Umsetzung kommt aber der neuen Regierung zu.

Strafen und Kontrollen

So gut wie beschlossen ist dagegen eine Verschärfung des Strafenkatalogs im spanischen Straßenverkehrsrecht, die für Sommer 2019 erwartet wird - eine Antwort auf neue Risiken. Die Ablenkung des Fahrers war mit 33 Prozent im Jahr 2017 häufigste Ursache tödlicher Unfälle in Spanien, noch vor überhöhter Geschwindigkeit (29 Prozent) oder Alkoholkonsum (26 Prozent). Schuld hat nicht zuletzt die Smartphone-Anwendung Whatsapp, die Fahrer immer wieder zum Handy greifen lässt. Für derlei Ablenkung sollen in Zukunft bis zu sechs statt bislang drei Punkte vom Führerschein-Konto abgezogen werden. Derzeit werden auf den Inseln statistisch gesehen täglich elf Fahrer mit Handy in der Hand abgestraft.

Auch Raserei soll strenger bestraft werden: So soll es auf Strecken mit einer Höchstgeschwindigkeit von 90 Stundenkilometern bereits ab Tempo 111 Geldbußen von 300 Euro sowie den Abzug von zwei Punkten geben. Bislang ist das erst ab Tempo 121 der Fall. Gleichzeitig ist geplant, dass Verkehrssünder durch die Teilnahme an Kursen bis zu acht statt bislang sechs Punkte wiedererlangen können.

Dass Temposünder auf den Balearen zur Kasse gebeten werden, dafür sorgen in­zwischen 13 fest installierte und 26 mobile ­Radargeräte auf Autobahnen und Landstraßen, die die Verkehrsbehörde auf ihrer Website für Mallorca inklusive exakten Standortangaben ausweist. Die Radargeräte leisten ganze Arbeit: Die Zahl der Knöllchen, die die Verkehrsbehörde balearenweit ausstellte, stieg im ersten Halbjahr 2018 um 49 Prozent: Jeden Tag werden auf den Inseln im Schnitt 360 Bußgeld­bescheide verschickt. Auch innerorts wird schärfer kontrolliert, Palmas Ortspolizei setzt etwa seit Kurzem erstmals zwei Laserpistolen ein. Und die Landesregierung gibt in ihrem Masterplan für Mobilität das Ziel aus, bis zum Jahr 2026 Radargeräte auf einem Viertel des gesamten balearischen Straßennetzes zu installieren, wofür Investitionen in Höhe von rund drei Millionen Euro notwendig wären.

Alkoholfahrten vorbeugen

Für eines der Hauptprobleme ist guter Rat jedoch teuer: Auf Mallorca sind fast bei jedem zweiten tödlichen Unfall Alkohol oder Drogen im Spiel. Auch die Porsche-Fahrerin, die im April 2018 zwischen Capdepera und Artà in eine Gruppe Radsportler raste und dabei einen 47-jährigen Familienvater aus Mönchengladbach tötete sowie acht weitere Radfahrer verletzte, hatte sich unter Drogeneinfluss ans Steuer gesetzt. Obwohl die Promillegrenzen für den Führerschein-Verlust in Spanien niedriger liegen als in Deutschland, gibt es deutlich mehr tödliche Alkoholfahrten.

Wichtiger als Kontrollen, Geldbußen und Strafen seien Prävention und Vorbeugung, meint José Fernández, der Onkel des totgefahrenen Mädchens von Sa Ràpita. Er verweist beispielsweise auf technische Neuerungen beim Fahrzeugbau. Bereits jetzt sei es technisch möglich, den Atem des Fahrers noch vor Fahrtantritt zu messen - hat er zu viel Promille im Blut, springt das Fahrzeug erst gar nicht an. Genauso wie nach und nach Haltegurte oder Nackenstützen in neuen Fahrzeugen Pflicht geworden seien, sollte auch der Alkoholtest vorgeschrieben werden, meint Fernández - europaweit. Um dies zu erreichen, hat der Mallorquiner beim EU-Parlament eine Petition eingereicht und wird dort im Frühjahr angehört. „Wenn jemand ins Gefängnis muss, wird Paula davon auch nicht mehr lebendig. Aber mit diesem elektrischen System könnten in Zukunft tödliche Unfälle verhindert werden."