Beherzt packt Joan Gaià das kleine Zicklein und trägt es von der Weide in einen kleinen abgetrennten Stall. Es ist erst wenige Stunden alt und blutverschmiert. Danach ist das wesentlich schwerere Muttertier an der Reihe. Der 33-Jährige hebt es mit beiden Armen hoch und trägt es zu dem Neugeborenen. „Da sind die beiden ungestört, abseits von den anderen. Das ist besser für das Kleine. Morgen wird es schon ganz anders aussehen, und dann können sie zurück zur Herde", sagt der Landwirt.

Gaià wirkt routiniert, so, als hätte er sein Leben lang nichts anderes getan, als Ziegen zu züchten, hier, auf dem Anwesen auf einem Hügel mit Blick auf Manacor. Dass sein Vater mit Landwirtschaft nichts am Hut hat und er selbst studierter Politik- und Arbeitsrechtswissenschafler ist, mag man kaum vermuten, wenn man ihn so sieht, mit seinem energischen Griff, seinen verdreckten Gummistiefeln und seinem zufriedenen Blick, der über die Ziegenherden schweift.

Gaià ist mit seiner etwas ungewöhnlichen Biografie auf den Balearen nicht allein. Immer mehr Menschen entdecken die Landwirtschaft für sich, nachdem sie zunächst in anderen Bereichen tätig waren. Nicht ganz unschuldig daran ist Llorenç Mas. Er ist beim Landwirtschaftsministerium für das Subventionsprogramm „Fons de Garantia Agrària i Pesquera de les Illes Balears" (Fogaiba) zuständig. Und als solcher greift er den Landwirten auf den Inseln kräftig unter die Arme. „147 Millionen Euro an Subventionen haben wir im Zeitraum von 2014 bis 2020 für die Landwirtschaft zur Verfügung", sagt er. 50 Prozent davon stammen von der Landesregierung, 42 Prozent von der Europäischen Union und der Rest von der Zentralregierung in Madrid. 13 Millionen Euro davon kann Llorenç Masfür ein Programm für junge Menschen unter 40 abzweigen, die ihre bisherige Beschäftigung aufgegeben haben und sich nun der Landwirtschaft widmen. So wie eben Joan Gaià. Oder auch Andreu Rotger.

Ein Traum wird wahr

Der 29-Jährige aus Alaró erfuhr vor gut drei Jahren von dem Programm. Gesteckt hatte es ihm der Vorsitzende des Bauernverbandes Asaja, Joan Simonet, der viele der angehenden Landwirte auf der Insel berät. Rotger hatte eine Lehre gemacht und bei einer großen Gärtnerei gearbeitet, aber das machte ihm keinen Spaß. „Ich wollte meinen Tag selbst einteilen und auf dem Feld arbeiten", sagt Rotger, während er seinen rund 70 jungen Lämmern das Abendessen in Form von Strohbündeln zuwirft. Schon als Jugendlicher hatte er bei Bekannten und Verwandten aus Alaró bei der Ernte ausgeholfen. Davon leben zu können, davon hatte Rotger stets geträumt. Geglaubt, dass es Realität werden könnte, hatte er zunächst nicht.

Die Unterstützung von Fogaiba klingt erst einmal fast zu schön, um wahr zu sein. Wer in das Programm aufgenommen wird - und das wird laut Llorenç Mas fast jeder, der eine Bewerbung abgibt, solange Geld da ist -, bekommt zwischen 25.000 und 55.000 Euro. „Je nachdem, ob man sich Teilzeit oder Vollzeit umorientiert", erklärt Llorenç Mas. Üblicherweise wird zu Beginn des Programms die Hälfte ausgezahlt. Den Rest gibt es, wenn die Jungbauern ihre Umsatzverpflichtung schaffen, die mindestens 6.000 für Teilzeit-Landwirte und 12.000 Euro für Vollzeit-Landwirte vorsieht. Zusätzlich müssen 75 Stunden Fortbildung nachgewiesen werden. Wer diese Bedingungen nicht erfüllt, muss auch die erste Hälfte der Subvention zurückzahlen. Das Gleiche gilt für diejenigen, die die Bedingungen zwar zunächst erfüllen, aber nicht mindestens fünf Jahre dabeibleiben.

Für Joan Gaià dürfte diese letzte Bedingung kein Problem sein. Er ist sich seiner Sache sicher, obwohl ihm sein Großvater von der Landwirtschaft abgeraten hatte, wie er erzählt. „Ich war 16, als ich das Mal versuchte, aus Ziegenmilch Käse herzustellen. Mein Großvater hatte ein paar Schweine, Stiere und eine Ziege. Aber ehrlich gesagt ist es mir nicht gut gelungen. Und überhaupt hat mein Großvater zu mir gesagt: Werd nicht Landwirt, das lohnt nicht, geh studieren."

Gaià tat wie ihm geheißen, verbrachte sieben Jahre in Barcelona, arbeitete dann als Partner in einer privaten Arbeitsvermittlungsagentur auf Mallorca. Er verdiente gut, hatte eine sichere Arbeit. „Aber es hat mich nicht glücklich gemacht", sagt Gaià. „Es klingt romantisch, aber die Arbeit auf dem Feld ist meine Berufung, das habe ich einfach gemerkt."

Auf Großvaters Grundstück

Im Mai 2015 lernte Gaià einen Gleichgesinnten kennen, dem es ähnlich ging. „Zwei Monate später belegten wir zusammen einen mehrwöchigen Kurs in den Pyrenäen über den Aufbau einer Käserei." Und dann ging alles ganz schnell. Über das Förderprogramm „Semill" der Balearen-Regierung nahm Gaià im September an weiteren Kursen teil - und kaufte sich direkt im Anschluss seine erste Ziege. Ein Grundstück und sogar alte Ställe standen ihm auf dem Gelände zur Verfügung, das ehemals seinem Großvater gehörte, und auf dem nun seine Eltern und seine Tante leben. „Sie nutzten die 25.000 Quadratmeter kaum und waren einverstanden." Auch Gaiàs Frau akzeptierte seinen drastischen beruflichen Wandel - „wobei sie sich natürlich schon Gedanken gemacht hat, ob das finanziell funktioniert."

Kurz darauf erfuhr Gaià vom Subventionsprogramm der Balearen-Regierung für junge Landwirte. „Ich hätte es auch ohne die Unterstützung versucht, aber so war es natürlich noch reizvoller." Einen Geschäftsplan musste er aufstellen, angeben, wie viele Ziegen er haben wolle und wie viel Käse und somit Einnahmen er sich davon erhoffte. Fogaiba bewilligte ihm die Teilzeit-Subvention von 25.000 Euro.

500 Bewerbungen um die Subventionen für Jungbauern sind bei Fogaiba seit Beginn der Kampagne 2015 eingegangen, rund 300 davon von Mallorca, 350 Neu-Landwirte konnten sich inzwischen über eine kräftige Finanzspritze freuen. Zwei, die noch darauf warten, sind Pau Ixent Queralt und Biel Coll.

Die beiden befreundeten Mittdreißiger aus Alaró fingen 2016 an, mit ein paar Bienenstöcken Honig von der Insel herzustellen. Queralt arbeitete bis dahin aushilfsweise auf der Finca seiner Mutter mit, die landwirtschaftlich genutzt wird, Coll hat eine Stelle bei der Hafenverwaltung in Sóller. Das Geschäft mit dem Honig lief von Jahr zu Jahr besser, und inzwischen können sich die beiden vorstellen, ganz davon zu leben. Queralt hat sich um eine Subvention für eine volle Stelle beworben, Coll erst einmal für Teilzeit. „Die Stelle im Hafen ist eben doch noch eine gute Absicherung, falls es nicht klappt", sagt er.

Vernünftig, denn die Landwirtschaft auf Mallorca ist kein einfaches Brot. Um richtig Geld zu verdienen, dazu sind die Dimensionen, wie etwa die Anbauflächen oder die Mengen, die man produzieren kann, auf der Insel zu gering. Viele junge Leute scheuen außerdem die Feldarbeit und sehen sich lieber in anderen Branchen nach geregelten und meist auch besser bezahlten Jobs um. Alternativen gibt es ja dank des boomenden Tourismus allenthalben. „Auf den Balearen finden sich, anders als etwa in Andalusien, in landwirtschaftlichen Betrieben nicht genügend Nachfolger", erklärt Llorenç Mas von Fogaiba. Zudem: Wer auf den Inseln als Bauer überleben wolle, der müsse sich durch besondere Produkte auszeichnen. „Viele unserer jungen Landwirte sind sehr findig und suchen ihr Heil in exklusiven und qualitativ weiterentwickelten Produkten", berichtet Mas.

Die beiden Imker aus Alaró sind so ein Fall. „Wir wollen demnächst auch Bio-Honig anbieten und sind dazu in Gesprächen mit einer Bekannten, die eine entsprechend zertifizierte Finca besitzt", sagt Pau Ixent Queralt. Dass ihr Honig ankommt, machte kürzlich ein Wettbewerb auf Ibiza deutlich. Die Jury kürte ihn zum besten Balearen-Honig im Herbst.

Es kann auch schiefgehen

All das hilft, genau wie die Fördergelder. Eine Erfolgsgarantie gibt es aber nicht. „Die Hilfen sind eine Supersache. Aber man muss sich reinhängen, um die Ziele zu erreichen", sagt Andreu Rotger auf der Finca unterhalb der Zwillingsberge von Alaró. Das Gelände hat er für kleines Geld von Bekannten aus dem Ort gepachtet. Dafür hält er es in Ordnung, erntet die über hundert Mandelbäume, die Johannisbrotbäume, versorgt seine Lämmer und seine fünf Schweine. „Die sind tatsächlich nur ein Hobby. Daraus mache ich dann Sobrassada für meine Familie und Freunde", sagt Rotger.

Um sein Umsatzziel von 12.000 Euro im Jahr zu erreichen, dürfen ihm die Preise für Mandeln und Lammfleisch keinen Strich durch die Rechnung machen. Wenn er ein Lamm nach rund drei Monaten verkauft, bekommt er vom Schlachthof rund 50 Euro. Zu diesem Zeitpunkt hat er es bereits drei Monate gepflegt und gehegt. Auch mit den Mandeln ist es nicht leicht, Geld zu verdienen. „2018 gab es für ein Kilo ungeschälter Mandeln deutlich unter einem Euro." Dafür lief es mit dem Johannisbrot besser. Während Rotger zu Beginn gerade mal 27 Cent pro Kilo bekam, waren es im vergangenen Jahr schon 50 Cent.

Joan Gaià weiß indes, von den Launen der Natur ein Lied zu singen. „Eigentlich wollte ich, dass alle gut 50 Muttertiere, die ich gerade habe, in etwa gleichzeitig schwanger werden. Das hat leider nicht geklappt." Nun musste er die Tiere in zwei Etappen schwängern lassen. „Aber seit Frühjahr 2018 habe ich endlich meine Lizenz zur Käseproduktion", sagt Gaià und zeigt stolz die kleine Käserei, die er im Keller des Wohnhauses seiner Eltern eingerichtet hat. Mit separater Reifekammer, Messgeräten und kleinen Maschinen. Sie hätte einen Großteil der Subvention geschluckt. „Wenn ich ein Anwesen hätte pachten müssen und extra ein Gebäude für die Käserei errichten müssen, hätte das Geld lange nicht gereicht."

Doch wenn Gaià die verschiedenen Weich- und Frischkäserzeugnisse anschneidet, die er eigenhändig hergestellt hat, und sie in Papiertüten mit dem Firmenlogo „Es Collet" packt, glänzen seine Augen. Es sei viel Arbeit, die Tierhaltung, die Käseproduktion und die Auslieferung an die Kunden - alles macht Gaià alleine. „Aber ich bereue nichts. Ich habe endlich eine Arbeit, die mich glücklich macht."

Ganz ähnlich sieht die Sache auch Andreu Rotger. Er weiß genau, dass er ohne die großzügigen Subventionen als Landwirt nicht überleben könnte. Und dass er es trotz fünfstelliger Finanzspritze auch nur kann, weil er auf einiges verzichtet, was für andere in seinem Alter selbstverständlich ist: eine eigene Familie, eine eigene Wohnung und nicht zuletzt Urlaube. „Ich wohne noch bei meinen Eltern. Miete zu zahlen oder einen Kredit für eine Wohnung aufzunehmen, kann ich mir nicht leisten", sagt er. Nichtsdestotrotz will er nichts anderes machen: „Ich habe eine Schwäche für die Feldarbeit, ich könnte nie acht Stunden in einem Büro sitzen."