Joan dreht am Regler des mobilen Lautsprechers, den er am Band um den Hals trägt, und testet das Mikrofon seines Headsets. Dann begrüßt er die Gäste, die sich die Anlagen der Stiftung Amadip Esment ansehen wollen, hier am zweiten Ring von Palma zwischen Son Ferriol und Pla de na Tesa. „Esment ist das mallorquinische Wort für Zuneigung. Hier in der Stiftung wird alles sehr liebevoll gemacht", erklärt Joan. Das gilt für den Öko-Anbau von Gemüse, die Arbeit in den Cafés und Restaurants, die Herstellung von Olivenöl und Wein oder auch die Produktion in der hauseigenen Druckerei. Dort angekommen, übernimmt Kollege Dani die Führung: „Derzeit arbeiten 180 Personen in der Druckerei. Bei uns zählt das Team. Uns unterscheidet nur die jeweilige Unterstützung, die jeder von uns bekommt."

So läuft das bei Amadip Esment. Menschen mit Behinderung und Menschen ohne Behinderung arbeiten Hand in Hand, und der Besucher muss mehr als einmal überlegen, wer hier Betreuer und wer Betreuter ist. Die Führungen sind eines von mehreren neuen Projekten, sie finden jeden Tag statt. Betreuerin Ana steht dabei, ergänzt hier und dort einen Satz und erinnert die Guides daran, eine freundliche Miene aufzusetzen sowie die Besucher direkt anzusprechen. Ansonsten ist das Projekt „Esment Guies" ein Selbstläufer: Besucher erfahren bei der Tour über die insgesamt 20 Hektar große Finca Weyler den Zuckergehalt der hauseigenen Marmeladen, die Traubensorten der gekelterten Weine oder auch den Unterschied zwischen Digital- und Offsetdruck.

Ideen aus Nordeuropa

Es gibt wirklich viel zu erzählen über diese Stiftung: Die 1962 ursprünglich als Elternverein gegründete Initiative ist zu einer großen Stiftung mit knapp 800 Mitarbeitern angewachsen. Der Jahreshaushalt liegt inzwischen bei 26,5 Millionen Euro, wobei die Hälfte des Betrags selbst erwirtschaftet wird. Montserrat Fuster weiß gar nicht, wo sie anfangen soll, so viele Konzepte und Projekte gibt es zu erklären. „Wir reisen viel nach Deutschland, Schweden oder Schottland und holen uns dort Ideen", erklärt die Präsidentin der Stiftung. „Wirkt es hier nicht irgendwie nordisch?" Damit meint die 71-Jährige etwa die transparente Architektur und die modernen Büros. Ein Schildchen auf dem Konferenztisch mahnt zur Pünktlichkeit bei Besprechungen. Als erste Einrichtung auf Mallorca hatte Amadip Esment vor fünf Jahren eine duale Ausbildung nach deutschem Vorbild eingeführt. Kontakte bestehen vor allem zur Norddeutschen Gesellschaft für Diakonie, von der Amadip Esment 2011 auch die Seniorenresidenz Es Castellot übernahm - die Einrichtung feiert gerade ihren 25. Geburtstag.

Auch auf Mallorca musste man nach und nach lernen, Menschen mit Behinderung in die Gesellschaft zu integrieren. Bei Amadip Esment sei man aber schon immer seiner Zeit voraus gewesen, so Fuster, trotz der zunächst

fehlenden Sensibilität. „Wir Eltern wollten damals weder von Benefizlotterien noch von Wohltätigkeitsabenden etwas wissen." Sie kämpften nicht um Mitleid, sondern um die gleichen Rechte ihrer Kinder. Bereits in den 80er-Jahren wurde so aus der Initiative ein soziales Unternehmen mit einer kleinen Druckerei, und es kamen im Laufe der Jahre immer neue Bereiche hinzu, um Menschen mit geistiger Behinderung sowie ihre Familien ein Leben lang zu begleiten. Das beginnt bei der Beratung in der Schulzeit, geht weiter mit der Ausbildung ab dem 16. Lebensjahr sowie einer beruflichen Anstellung und reicht über Wohnkonzepte, Sozial- und Freizeit-Angebote bis hin zu Vormundschaftsregelungen und der Betreuung im Alter.

Während in Deutschland nur wenige den Sprung aus der Behindertenwerkstatt ins konventionelle Arbeitsleben schaffen - die meisten Firmen kaufen sich ohnehin von den gesetzlichen Mindestprozentwerten frei - sind bei Amadip Esment derzeit 175 Personen im Programm „Trabajo con apoyo" (Arbeit mit Unterstützung): Sie arbeiten in Firmen außerhalb der Stiftung und haben, soweit nötig, einen Betreuer von Amadip-Esment zur Seite. Im Idealfall zieht er sich nach und nach zurück, bis er fast nicht mehr gebraucht wird. Der Platz bei Amadip-Esment bleibt zudem erhalten, wenn die Person zurückkehren will.

Die zweite Säule sind Beschäftigungsverhältnisse in den stiftungseigenen Betrieben, die externe Aufträge annehmen und ihre Produkte vermarkten: Druckerei, Restaurants, ­Bäckerei, Öko-Landwirtschaft, Gärtnerarbeiten, Reinigung, Wartung. Das durchschnittliche Bruttojahresgehalt eines Mitarbeiters liegt laut Stiftung derzeit bei 12.600 Euro.

Die dritte Säule schließlich bilden Aktivitäten für die Menschen, die mehr Betreuung benötigen. Dies geschieht im Rahmen von staatlich finanzierten Betreuungsplätzen, die aber Amadip inzwischen direkt verwaltet, ähnlich dem Modell halbstaatlicher Schulen (colegios concertados) in Spanien. „Von Bastelarbeiten und Keramik wollen wir hier nichts wissen", betont Fuster, „die Betreuten gehen stattdessen überall mit zur Hand, zum Beispiel als Küchenhilfen". Das Motto: maximale Integration und Sinnhaftigkeit der Beschäftigung.

So geht es denn auch überall sehr trubelig zu, wie bei der Führung zu sehen ist - und das liegt nicht nur daran, dass gerade die Weltmeister-Torhüterin Cata Coll der Finca einen Besuch abstattet und zum Kicken auf den Sportplatz lädt. In der Druckerei werden unterdessen die Wahlzettel gestapelt, die am 26. Mai zum Einsatz kommen und die inzwischen auch Menschen mit geistiger Behinderung in Spanien benutzen dürfen. „Die Tierschutzpartei steht gar nicht darauf", stellt ein Mitarbeiter erstaunt fest - dabei habe er sie doch wählen wollen. Im Saal nebenan werden eimerweise Möhren geschabt, Äpfel entkernt und Zucchini geschnitten. Draußen, auf den Feldern, ist gerade Mittagspause, bevor es wieder mit Schubkarre und Hacke in die Reihen von Salatköpfen, Lauch und Weinreben geht.

Der Anbau sei ökologisch, lokal und saisonal, im Sinne der Mittelmeer-Diät, erklärt jetzt Lourdes - die Tochter von Montserrat Fuster fährt mit der Führung fort. Die Präsidentin ist mächtig stolz auf Lourdes. Sie kann sich noch gut erinnern, wie hart die Downsyndrom-Diagnose damals gewesen sei. „Es gab noch viel weniger Infos und Orientierung als jetzt." Aber auch heute sei es für die Eltern anfangs schwierig. „Das ist so, als ob man eine Reise nach Rom bucht, aber in Amsterdam landet. Dann aber entdeckt man die Tulpen, und die Fahrräder und viele neue Sachen."

Deswegen ist auch das Thema Sichtbarkeit so wichtig. Am besten gelingt das wohl in den Restaurants wie Es Pes de sa Palla in Palmas Altstadt. Es war laut der Stiftung vor mehr als 20 Jahren das erste europaweit, das Menschen mit Downsyndrom regulär als Kellner einstellte. Hinzugekommen sind das Café Palmanova, die Bar de l'Escola im Ausbildungszentrum von Pont d'Inca, das Café Can Balaguer sowie das Café Mirall am Flughafen. Die ­Guides unterdessen arbeiten inzwischen auch im Museu del Fang in Marratxí sowie im Mühlenmuseum in Palma. Und überall gilt das Motto: Die Arbeit wird an den Menschen angepasst, nicht umgekehrt. Ins Auge sticht Gästen in Palmanova etwa das Nachtisch-Wägelchen, das die Kellner zum Tisch karren, statt das Angebot aus dem Gedächtnis herunterzurattern.

Nach der Arbeit geht es für die Angestellten nach Hause - für manche bedeutet das betreutes Wohnen in Gemeinschaftsanlagen, andere leben eigenständig. Ganz neu sind die Apartments Costa Brava, benannt nach der gleichnamigen Straße an der Playa de Palma. Das Gebäude, das früher unter dem Namen Sankt Michael der deutschsprachigen katholischen Gemeinde gehörte, ist nach der Sanierung nicht wiederzuerkennen. Es beherbergt Apartments und Gemeinschaftsräume.

Neben den Freizeitaktivitäten - von Tanz und Theater über Ausflüge bis hin zu ­Informatik-Workshops - gibt es inzwischen eine Reihe von Sozialprogrammen: Menschen mit Behinderung helfen sich gegenseitig, gemäß ihrer Stärken in unterschiedlichen Bereichen. Ein anderes Programm unterstützt beim Umzug in eine eigene Wohnung: Ein Betreuer steht beim Erstkontakt in der Nachbarschaft zur Seite, um soziale Kontakte zu erleichtern. Inzwischen arbeiten auch einige Personen mit Behinderung in Gemeindezentren, die somit ihre Öffnungszeiten erweitern können.

Das Netzwerk wächst immer weiter. Bald wird Amadip Esment auch in Inca vor Ort sein: Hier sollen ebenfalls ein Beschäftigungs- und Ausbildungszentrum sowie Wohnungen entstehen. Und in der Gemeinde Marratxí hat Amadip Esment das Restaurant Tío Pepe erworben, Verwendungszweck noch offen. ­Saniert wird zudem gerade Can Weyler, eine frühere Sommerresidenz auf dem gleichnamigen Landgut. Hier, im Zentrum der Stiftung bei Son Ferriol, soll bald ebenfalls ein Restaurant mit Ausbildungsstätte eröffnen.

Die Guides von Amadip Esment werden künftig noch viel mehr zu erzählen haben.

Führungen durch die Werkstätten können unter der Website esmentguies.es/visitas-y-talleres/esment vereinbart werden.