Abdoulaye A. kann sein linkes Bein nicht bewegen. „Es reagiert nicht, wenn man es anfasst. Ich kann nicht alleine aus dem Bett aufstehen", sagt der 43 Jahre alte Senegalese. Als die MZ ihn am Montag (17.6.) telefonisch im Krankenhaus erreicht, spricht er langsam. Neben einer Rücken-OP wurde er vor wenigen Tagen an der gebrochenen Nase operiert. Er hat Schwierigkeiten beim Atmen. Bald werde er in ein anderes Hospital zur Reha überwiesen. Wann, das wisse er noch nicht so genau.

Abu, so nennen ihn seine Freunde, arbeitet seit 2015 als Sicherheitskraft im Megapark an der Playa de Palma. Zwei mutmaßlich rechtsextreme Hooligans des Fußballclubs Lokomotive Leipzig haben ihn am 7. Juni bei einem Auftritt von Marc Terenzi in der Showarena k.?o. geschlagen und mit Tritten malträtiert. Sechs Tage verbrachte er auf der ­Intensivstation. Abu ist einer von geschätzten 1.500 bis 2.000 Männern und Frauen auf Mallorca, die am Ballermann, in Magaluf, in den Clubs am Paseo Marítimo, bei Juwelieren oder im Supermarkt Carrefour in Porto Pi für Sicherheit sorgen. Die MZ hat mit Insidern gesprochen, um einen besseren Einblick in diese Branche zu bekommen, deren Vertreter im Falle eines Konflikts in der ersten Reihe stehen, sich eigentlich aber lieber im Hintergrund aufhalten.

Diego Strauss (30) arbeitet seit 2015 als Sicherheitskraft auf Mallorca. Angefangen hat er, als er für das spanische Militär auf der Insel stationiert war. „Es gibt viele Soldaten, die sich so am Wochenende etwas dazuverdienen", sagt er. Geboren wurde Strauss in der Schweiz, mit 13 Jahren ist er zu seiner Mutter nach Spanien gezogen. So spricht er fließend Spanisch, Deutsch und auch noch Englisch - fast schon ein Alleinstellungsmerkmal für einen portero (Türsteher) auf Mallorca. „Eines der wichtigsten Dinge, die einem in diesem Job weiterhelfen, sind Sprachen", sagt er. Schließlich habe man es auf der Insel mit den unterschiedlichsten Nationalitäten zu tun, und man könne die Leute nicht einfach am Kragen packen und rausschmeißen. „Die Zeiten der Bodybuilder an den Türen sind vorbei", sagt Diego Strauss.

Die Grundvoraussetzungen

Um überhaupt als staatlich anerkannter Türsteher auf Mallorca arbeiten zu können, darf man keine Vorstrafen haben und muss eine Prüfung beim Inselrat ablegen. Eingeführt wurde sie, nachdem es vermehrt zu Schlägereien zwischen Türstehern und Gästen gekommen war. Seit dem Jahr 2014 müssen 40 Fragen in den Bereichen Psychologie, Straf- und Ordnungsrecht, Gesundheit und Erste Hilfe beantwortet werden, um einen entsprechenden Ausweis zu bekommen. Unterrichtet wird an autorisierten Privatakademien, 30 Stunden Theorie sind vorgeschrieben, auch Grundkenntnisse über die spanische Verfassung werden gelehrt. „Fünf Fragen müssen auf Katalanisch beantwortet werden, bei falschen Antworten gibt es Punktabzug", sagt Diego Strauss. Als er die Prüfung 2016 abgelegt hat, sei fast der halbe Kurs durchgerasselt. Wer es geschafft hat, bekommt einen Ausweis mit Foto, auf dem in roten Buchstaben geschrieben steht: „Control d'admissió i ambient intern", was so viel bedeutet, dass sowohl der Einlass als auch das Innenleben eines Clubs, einer Bar oder eines Hotels geregelt werden darf. Kostenpunkt: rund 180 Euro für die Akademie, 115 Euro für die Prüfungsanmeldung. Der Ausweis ist nur für die Balearen gültig. Laut Inselrat sind derzeit 670 davon im Umlauf.

„Wird Eintritt verlangt, ist auf den Balearen vorgeschrieben, dass ab 251 Gästen zwei Security-Arbeiter mit Ausweis beschäftigt werden müssen", so Diego Strauss. Ab 401 Besuchern ist ein weiterer Ausweis-Träger vonnöten, ab 1.000 vier. In Deutschland gilt die Grundregel, das eine ausgebildete Sicherheitskraft pro 100 Besucher eingesetzt werden muss. Sicherheitschef im Bierkönig. Wie viele unausgebildete Kräfte ein Club einstellt, das sei natürlich den Betreibern überlassen. Als Diego Strauss nach einem Jahr als Sicherheitskraft im BH-Hotel in Magaluf 2016 zum Bierkönig wechselte, habe es dort zwei Sicherheitskräfte mit Ausweis tagsüber, vier für die Nacht gegeben. „Trotzdem hatten wir wenige Probleme, weil ich auf Deutsch mit den Leuten reden konnte", sagt er. Vor allem mussten sie Erste Hilfe leisten bei Schnittverletzungen wegen zerbrochener Bierkrüge. Die sind mittlerweile alle aus Plastik.

2017 stieg Strauss zum Sicherheitschef im Bierkönig auf, arbeitete jedoch weiter als Angestellter für eine externe Firma. „Ich erhöhte die Mitarbeiter mit Ausweis in der Tagschicht auf sechs bis sieben, nachts waren acht bis zwölf da", sagt er. „Wir hatten es mit vielen Taschendieben zu tun, damals gab es noch viele Ein- und Ausgänge, die nicht alle kontrolliert werden konnten." Auch das sei heute viel besser, da es nur einen Eingang und einen Ausgang gebe. Auch die neuen Glaswände zur Straße seien eine große Verbesserung. „Wir hatten damals eine Gruppe von 15 völlig betrunkenen Deutschen, die vom gegenüberliegenden Bamboleo in den Bierkönig wollten", sagt er. Da es ihm bei seiner Arbeit immer darum gehe, Konflikte zu vermeiden, wollte er sie nicht reinlassen. Doch mit seinen vielleicht sieben Kollegen hätte er kaum eine Chance gehabt, die Deutschen am Betreten des Bier­königs zu hindern. „Wir diskutierten auf der ­Straße, und plötzlich standen hinter uns 30 Senegalesen. Sie bildeten eine Mauer. Die Betrunkenen zogen ab", sagt Diego Strauss. Er habe die Straßenverkäufer immer mit Respekt behandelt. Das hätten sie zu schätzen gewusst.

Heute ist Diego Strauss nicht mehr Sicherheitschef im Bierkönig. Er hat sich mit seiner eigenen Sicherheitsfirma Vaelico Protection selbstständig gemacht. Mit seinen vier Mitarbeitern arbeitet er zum Beispiel im Indico Rock Hotel oder begleitet den Ballermann-Sänger Peter Wackel bei seinen Auftritten im Bierkönig oder in Deutschland. Er hat auch im Nikki Beach gearbeitet, der sowohl von Deutschen als auch Briten frequentiert wird. „Neben Kenntnissen im Kampfsport ist es mir wichtig, dass meine Mitarbeiter verschiedene Sprachen sprechen", sagt er. Dafür bezahle er auch 3 Euro mehr die Stunde. „Der Mindestlohn eines Türstehers ist 10 Euro." Er versuche, sich an die vorgeschriebenen Acht-Stunden-Schichten zu halten, es könnten aber auch schon mal 15 Stunden werden. „Es ist zwar anstrengend, aber ich brauche die Action auch", sagt er.

Redebedarf am Paseo Marítimo

Pep Tugores (43) und José Pastor (39) betreiben seit 2014 zusammen mit einem Partner die in Palma ansässige Sicherheitsfirma Alive Solutions mit 60 Mitarbeitern. „Darunter ­immerhin drei Frauen", sagt Pep Tugores, der früher für die Guardia Civil ­gearbeitet hat. José Pastor ist an der Playa aufgewachsen, hatte dort früher einen Supermarkt. „Es ist schade, dass nicht so viele Frauen als Sicherheitskräfte arbeiten", sagt José Pastor. Die Hemmschwelle für andere Frauen, etwa einen Grabscher auf den Po zu melden, wäre dann niedriger. Außerdem würden Männer gegenüber Frauen weniger aggressiv auftreten.

Alive Solutions arbeite für viele Clubs am Paseo Marítimo, darunter der Social Club. Ihre Mitarbeiter finden sich aber auch in Palmas Musikbar Honky Tonk, in der Disco Es Gremi im Gewerbegebiet Son Castelló oder im Puro Beach in Illetes. „Ich habe wegen meiner Deutschkenntnisse auch in der Bierstraße an der Playa gearbeitet", sagt José Pastor. Die beiden Männer lachen viel, beiden macht der Job Spaß, weil er so abwechslungsreich ist. ­Welchen Kampfsport sie betreiben, wollen sie am liebsten gar nicht verraten. „Judo verbal", scherzt Pep Tugores, also „mündliches Judo". Tatsächlich sei sehr viel Psychologie bei ihrer Arbeit im Spiel, bei der es immer darum gehe, Konflikte zu 100 Prozent zu vermeiden. Sie beschäftigen in ihrer Firma auch einen ­Psychologen, der Kurse gibt und Seminare zur Entspannung anbietet. „Wer nicht ausgeruht ist, neigt dazu, gereizt zu reagieren, und das ist in unserer Branche schlecht für alle Beteiligten", sagt Pep Tugores.

Früher sei es so gewesen, dass Türsteher Leute nicht in den Club gelassen haben, weil ihnen die Nase nicht gefallen hat. „Heute erklärt man den Gästen, warum sie nicht rein kommen." Das sei zum Beispiel, weil ein Kunde nicht möchte, dass Turnschuhe getragen werden. Sind die Leute zu betrunken, bitte man sie, in der nächsten Woche wiederzukommen. „Wenn wir sehen, dass ein Gast im Club zu viel hatte und ausfallend wird, verständigen wir den Kellner, damit er ihm nichts mehr ausschenkt, und reden mit seinen Freunden", so Pep Tugores.

Bei den Deutschen funktioniere ein Trick gut, so José Pastor, der für ein paar Monate auch einmal als Sicherheitskraft für eine Disco in Köln gearbeitet hat. Innerhalb von einer Sekunde verschwindet sein Lachen aus dem Gesicht, er beugt sich herüber und redet mit tiefer und deutlich lauterer Stimme weiter. „In der Regel ist es bei Deutschen so, dass sie bei einer autoritären Stimmlage besser reagieren", sagt er. Bei den Engländern erreiche man damit genau das Gegenteil, sie würden dann noch aggressiver werden.

Die größte Herausforderung seien allerdings die Spanier und der Paseo Marítimo. Die eigenen Landsleute würden dazu neigen, jede Kleinigkeit ausdiskutieren zu wollen. Leider könne man ihnen dann nicht die Rote Karte zeigen und sie vom Platz schicken, sondern müsse geduldig bleiben. Man könne allerdings dafür sorgen, dass eine als gefährlich eingeschätze Person nicht in die anderen Clubs kommt, sie sozusagen aus dem Spiel nehmen. „Wir sind alle in einer Whatsapp-Gruppe miteinander verbunden und warnen uns gegenseitig, zum Beispiel auch vor Taschendieben", sagt José Pastor.

Abus Fall macht betroffen

Generell kenne man sich in der Szene unter­einander. Sowohl für Diego Strauss als auch für José Pastor und Pep Tugores war der Name Abu auch vor dem Vorfall ein Begriff. „Ein sehr ­netter Kerl", sagt Diego Strauss. „Was Abu passiert ist, hätte jedem von uns passieren können", so Pep Tugores. Sie selbst haben alle schon einmal Blessuren wie ein blaues Auge davon getragen. Aber noch keine so schwerwiegenden Verletzungen wie Abu.

Der bekommt im Krankenhaus viele Genesungswünsche zugesandt. „Ich habe mehr als 300 Nachrichten von Leuten aus Deutschland bekommen, die ich zum Teil gar nicht kenne", sagt er. Gegen die Deutschen hege er keinerlei schlechte Gefühle, ganz im Gegenteil. Mickie Krause, Jürgen Drews und viele der Künstler aus dem Megapark haben ihm alles erdenklich Gute gewünscht, ebenso wie die Angestellten des Megaparks. „Abu hat ein besonderes Talent", sagt etwa Sigi Holleis, der für das Künstlerbooking verantwortlich ist. „Er kann die Fans beruhigen, darum ist er auch einer der wenigen, die zur Künstler­betreuung eingesetzt werden." Über den ­Zuspruch ist Abu froh. Doch wann und ob er wieder als Sicherheitskraft arbeiten kann, ist ungewiss. „Mir gefällt die Arbeit sehr gut. Ich hatte niemals Probleme", sagt er. Jetzt müsse er sich aber erst einmal darauf konzentrieren, wieder gesund zu werden.

Die beiden mutmaßlichen Täter, 21 und 22 Jahre alt, einer von ihnen ein Kampfsportler, wurden vom Haftrichter der gefährlichen Körperverletzung und des versuchten Totschlags beschuldigt. Sie sitzen auf ­Mallorca in Untersuchungshaft und warten auf den Beginn ihres Prozesses.