Schwere Baumaschinen arbeiten sich durch die Straßen Carrer Torrentó und Carrer de Miquel Porcel in Palmas Stadtteil Son Dureta, nahe des Pueblo Español. Der alte Belag ist abgefräst, am Montag (1.7.) trägt eine Spezialmaschine neuen Asphalt auf. Eine Frau mit Geigenkasten sucht sich einen Weg durch die Baustelle, betritt ein grau verputztes, zweistöckiges Eckhaus. Dort wollen auch wir hin, um Johan Lundgren, Chef von Easyjet, und den Musikproduzenten Fredrik Thomander zu treffen. Die beiden betreiben dort seit dem 1. Dezember 2017 das Palma Music Studio. Sie haben es vom Grundriss an gemeinsam entworfen. Ihr erklärtes Ziel: Palma soll zum Los Angeles der europäischen Musikszene werden. Bei den alteingesessenen Studios weckt das Hoffnung - und Skepsis.

„Der neue Straßenbelag kommt wie auf Bestellung", sagt Johan Lundgren, als er uns begrüßt. Das würde die Gegend weiter aufwerten. Sein Geschäftspartner und Studioleiter Fredrik Thomander führt die Frau mit dem Geigenkasten zu ihren Kollegen der Balearen-Sinfoniker, die heute zusammen mit dem britischen Produzenten James Gambold Songs von Mike Oldfield aufnehmen. Die Musiker sitzen in dem größten Raum des Studios, gut 30 Quadratmeter misst er, die Wände sind acht Meter hoch, es gibt eine Balustrade für Zuschauer. Probeweise schließen wir die Tür - von dem Baulärm auf der Straße ist nichts mehr zu hören. „Wir haben doppelte Wände, die mehrfach schallisoliert sind", sagt Fredrik Thomander.

Jedes der insgesamt acht Musikzimmer in dem insgesamt 350 Quadratmeter großen Studio ist so konstruiert, dass sie keinerlei Außenberührung haben, erläutert Fredrik Thomander. Man sieht das an den kleinen Spalten, die zwischen den Räumen und den Fluren klaffen. Zudem liegen die Räume auf dicken, isolierten Gummiblöcken. „Eine Herausforderung war es, klimatisierte Frischluft hineinzubekommen, ohne das ein Geräusch verursacht wird", sagt Fredrik Thomander, als er uns zusammen mit Johan Lundgren durch die Räume führt. An den Wänden in den Fluren hängen Auszeichnungen von Justin Timber­lake, NSYNC, den No Angels oder Scorpions. Künstler und Bands, für die Fredrik Thomander Songs geschrieben oder sie produziert hat. „Die Luft wird durch diverse Kammern geführt, im Prinzip so, wie bei einem Schalldämpfer für eine Pistole", erläutert er. „Wir sind weder bei der Ausstattung noch bei den technischen Details irgendwelche Kompromisse eingegangen", sagt Johan Lundgren.

Kennengelernt haben sich die beiden Schweden 2015 über einen gemeinsamen Freund auf Mallorca. Der heute 48 Jahre alte Fredrik Thomander arbeitete als Musikproduzent in Los Angeles und London, lebt seit fünf Jahren in Palma. Johan Lundgren (53) besitzt seit 2014 ein Haus in Costa d'en Blanes und besucht die Insel seit mehr als 20 Jahren mit seiner Familie. Als sich die Männer zum ersten Mal trafen, hatte Lundgren gerade seinen Job als CEO beim Reiseveranstalter Tui an den Nagel gehängt. „Ich wollte eigentlich nie mehr in einen Anzug arbeiten, war als externer Berater für Firmen tätig und wollte mich wieder mehr um meine große Leidenschaft, die Musik, kümmern", erinnert er sich.

Mit elf Jahren hatte Lundgren angefangen, Posaune zu spielen. Er besuchte eine Musikschule in London, scheiterte aber mit 19 Jahren an der Aufnahmeprüfung für die Königliche Akademie in Stockholm. „Ich verkaufte eine meiner beiden Posaunen, fasste die andere sechs oder sieben Jahre nicht an." Über Umwege gelangte er in die Reisebranche, versöhnte sich mit der Musik und wurde ein leidenschaftlicher Sammler. „Die Hälfte des heutigen Equipments habe ich mitgebracht", sagt Lundgren, darunter das SSL Duality Mischpult mit 48 Kanälen, die digital gesteuert werden (Kosten: 170.000 Euro) oder ein Mikrofon des Akustik-Künstlers Didrik De Geer. „Davon gibt es weltweit 35 Stück, eines gehört Céline Dion", sagt Lundgren (Kosten: 35.000 Euro). Thomander dagegen brachte die Kontakte zu vielen Künstlern mit und hatte schon lange davon geträumt, sich ein eigenes Studio aufzubauen. Mit Lundgren an seiner Seite war das nun kein Problem mehr. „Kurze Zeit später stieß ich beim Spazierengehen auf einen leeren Bauplatz.

Ich schickte Johan ein Foto, der meinte nur: ,Lass es uns machen!'" Gemeinsam besuchten sie Studios in London und Los Angeles, um sich Ideen zur Umsetzung zu holen, die sie mit ihren Architekten besprachen. „Als die Bagger 2016 vier Meter tief die Erde aushoben, dachten die Nachbarn, wir wollen uns einen Luftschutzbunker bauen", sagt

Thomander. Am 1. Dezember 2017 war der Bau fertig. „Genau der Tag, an dem ich als Vorstandschef bei Easyjet angefangen habe", so Lundgren. Er habe dem Angebot einfach nicht widerstehen können - obwohl er jetzt wieder regelmäßig einen Anzug tragen muss.

Thomander setzt das Konzept des Studios weiter um. Ein wichtiger Teil ist es, Songschreiber-Camps zu veranstalten. „Im September hatten wir einen Monat 30 Leute aus Japan und Südkorea hier, die nur K- und J-Pop-Songs schreiben", sagt er. Weltweit sind diese quietschbunten Songs voll im Trend. Aber es kommen eben auch die Sinfoniker, lokale Bands und Künstler wie Dennis Mansfeld, der hier den Inselradio-Sommersong „Viva la vida" aufgenommen hat (MZ berichtete). „Wenn wir es schaffen, mehr Künstler auf die Insel zu holen, profitieren am Ende alle Studios davon", sagt Thomander. „Wir haben das Studio ja aus gutem Grund auf Mallorca gebaut. Der Ort ist für Künstler anziehend, eine Inspiration. Dazu gibt es eine gute Infrastruktur und hervorragende Anbindungen in ganz Europa", sagt Easyjet-Chef Lundgren.

Die deutsche Stimme

Ob wirklich alle von dem neuen Hightech-­Studio profitieren, da ist sich Musikproduzent Willi Meyer (65) nicht so sicher. „Da hat jemand wohl ordentlich viel Geld ausgeben", sagt er. Vor 20 Jahren hat Willi Meyer angefangen, sich sein Studio Audio Vision Palma in Llucmajor einzurichten. Der gebürtige Duisburger hat sich damit seinen Traum erfüllt. Gut 100 Quadratmeter ist es groß, Herzstück ist ein ADT-Mischpult, an gut 4.000 Knöpfen kann man den Sound abstimmen. An ihm produziert er zusammen mit seinem Assistenten Matthias Höfkens (28) seine eigene Musik (Willi Meyer & Band), nimmt Werbespots für Radiosendungen auf, mit Esther Schweins hat er ein Hörspiel gemacht, früher schaute auch Jürgen Drews regelmäßig vorbei. An der Wand hängt eine Goldene Schallplatte von Peter ­Maffay, zu der er einen Song beigesteuert hat. „Die Leute wollen ja etwas zu gucken haben", sagt Willi Meyer und lacht verschmitzt. Auch Dennis Mansfeld hat bei ihm aufgenommen, als er 15 Jahre alt war. Eine Besonderheit des Studios ist eine 24 Spur breite Bandmaschine. „Ein 20 Minuten langes Aufnahmeband kostet zwischen 200 und 300 Euro", sagt Meyer. Es sei wie beim Vinyl von der Klangharmonie unschlagbar. „Heute arbeitet man im Digitalen mit Plug-ins, die ein gewisses Bandrauschen erzeugen." Seine letzte große Investition waren zwei enorme Westlake-Boxen, die er sich vor drei Jahren angeschafft hat. „Mit ihnen kann man in die Songs hineinschauen", sagt er. Bei Willi Meyer ist Musik noch dreidimensional.

Der Wert des Menschlichen

Jaime G. Soriano sieht die Ankunft des neuen Tonstudios nicht als Konkurrenz. „Sie haben ihre Kunden und Kontakte aus dem Ausland, und wir unsere." Der 47-Jährige war einst Sänger der Band Sexy Sadie und ist damit einer der größten Rockstars, die die Insel je hervorgebracht hat. Seit zwei Jahren betreibt er mit dem 20 Jahre jüngeren Tontechniker und Musiker Toni Morales das Studio Mono in einem Hinterhof des Gewerbegebiets Son Castelló. Toni arbeitet sporadisch mit dem Palma Music Studio zusammen. „Es gibt durchaus einen Austausch. Aber letztendlich kocht jeder sein eigenes Süppchen", sagt Soriano. Das Budget der Künstler sei natürlich ein Faktor. „Bei uns zahlt man keine 300 Euro am Tag. Wir versuchen, uns mit den Künstlern auf einen Festpreis zu einigen, damit sie sich nicht um das Geld sorgen, wenn wir an der Musik arbeiten."

Derzeit nimmt die mallorquinische Sängerin Paula Franco ihr Solodebüt im Studio auf. Neben der Produktion von lokalen Künstlern haben sich Soriano und Morales auf die Komposition und Audioproduktion von Werbeclips und Dokumentarfilmen spezialisiert. Sie haben mit internationalen Marken wie Sony und Telefónica zusammengearbeitet. Zuletzt schrieben sie die Musik für einen Film über Mallorcas Drogenpatin La Paca.

Neben dem technischen Know-how sei die wichtigste Eigenschaft eines Musikproduzenten die Empathie, glaubt Soriano . „Man muss Vertrauen zu den Künstlern aufbauen, mit denen man zusammenarbeitet. Es gibt kein Plug-in am Computer, das die Chemie bei den Aufnahmen ersetzen kann."

Das Coworking-Studio

Eine besondere Art der Kooperation haben Pep Toni Ferrer und Michael Mesquida mit Rafael Rigo gefunden. Als Ferrer und Mesquida vor einigen Monaten nach acht Jahren aus den Räumlichkeiten ihres Studios Favela ziehen mussten, bot ihnen Rigo an, ein Aufnahme-Coworking in seinem Studio Urban Producciones einzurichten. Seit zwei Wochen findet man in einem fensterlosen, unscheinbaren Ladenlokal im Stadtteil Foners nun zwei professionelle Aufnahmestudios, die nebeneinander arbeiten, wenngleich sie sehr unterschiedliche Kunden haben.

Der 45-jährige Rigo betreibt das Studio seit rund 25 Jahren, ursprünglich wollte er nur Songs seiner damaligen Band, den spanienweit recht erfolgreichen Sunflowers aufnehmen. Heute gehört er zu den erfahrensten Produzenten der Insel. Er arbeitet sowohl im Livebereich als auch im Studio, wo er Bands wie den spanischen Trap-Künstler Arce ­aufnimmt, Musik und Sound für Theater und Film produziert und hin und wieder auch mal kuriose Aufträge annimmt. „Manchmal kommen Privatdetektive oder Anwälte vorbei, die mich bitten, eine heimliche Aufnahme zu säubern, damit die Stimmen besser zu hören sind."

Rigo gibt sich zufrieden. „Keiner wird reich mit einem Aufnahmestudio, aber ich habe lieber einen abwechslungsreichen Job, bei dem ich abends mit einem guten Gefühl nach Hause gehe." Dass er Ferrer und Mesquida in seine Räume geholt hat, sei nur positiv. „Ich glaube daran, Synergien zu schaffen. So kommt man in Kontakt mit neuen Leuten." Das funktioniere auf Mallorca gut. „Obwohl wir ja in der spanischen Provinz leben, haben wir hier seit Jahrzehnten eine sehr starke internationale Livemusik-Szene", sagt er. Es sei interessant zu schauen, ob sich so etwas auch bei der Musikproduktion entwickeln könne.

Dass das neue Studio in Son Dureta ­Einfluss auf seine Arbeit haben wird, glaubt Pep Toni Ferrer nicht. „Wir nehmen die Alben von mallorquinischen Underground-Künstlern auf", sagt der 43-Jährige, der unter an­derem mit Künstlern wie Miquel Serra oder der Band Saïm gearbeitet hat. „Da gibt es ­wenig Anknüpfungspunkte mit einem ­Studio, in das Millionen investiert wurden." ­Offen sei man aber für alles.