Pedro Sánchez hofft, bei den Parlamentswahlen am Sonntag (10.11.) den Durchbruch zu schaffen und endlich unter einigermaßen stabilen Verhältnissen regieren zu können. Der geschäftsführende Ministerpräsident Spaniens hat, seit er 2014 erstmals den Vorsitz der Sozialisten (PSOE) erklommen hatte, viele Höhen und Tiefen durchschritten und dabei immer an der Macht gekratzt. Er scheiterte mehrfach mit einer Regierungsbildung, wurde zwischenzeitlich von seiner eigenen Parteiführung geschasst, um dann triumphal von den Mitgliedern wiedergewählt zu werden, und kam schließlich durch ein geschicktes Misstrauensvotum an das Amt des Premiers.

Die Wahl am Sonntag ist Sánchez' Entscheidungsschlacht. Als im September auch der zweite Anlauf für eine Mehrheit einer sozialistischen Minderheitsregierung scheiterte, gingen viele Insider davon aus, dass es ­Sánchez bewusst auf eine Wahlwiederholung ankommen ließ, um seine Position zu stärken. Schon damals schien dies ein riskantes Spiel. Denn für Mitte Oktober war das Urteil gegen die katalanischen Separatistenführer wegen des Unabhängigkeitsreferendums vor zwei Jahren vorgesehen, was unweigerlich zu Problemen führen müsste. Und die Wirtschaftskonjunktur flaute langsam ab, wenn auch auf einem robusten Niveau, weshalb zum 10. November die Konjunkturdaten nicht unbedingt zum Vorteil der Regierung sein würden.

Wenn man den Umfragen glaubt, hatten die Unkenrufer im September nicht unrecht. Die PSOE kommt in den meisten Studien mehr oder weniger auf ihr Ergebnis von April, als sie mit 28 Prozent der Stimmen 123 der 350 Sitze im Unterhaus erreichte. Nur wenige Umfragen sagen einen klaren Zuwachs voraus. Doch liegt die PSOE klar vor dem schärfsten Ver­folger, der konservativen Volkspartei (PP). ­Sánchez wirbt beim Wähler daher auch damit, dass einzig seine Partei in der Lage wäre, eine Regierungsmehrheit zu finden. „Wer ein Ende der Blockade, Stabilität und eine starke Regierung möchte, für den gibt es nur die PSOE", ­versicherte er im Wahlkampf.

Einige Meinungsforscher zeichnen jedoch eine Alternative zu den Sozialisten. Denn es ist nicht ganz ausgeschlossen, dass die PP, die nationalliberalen Ciudadanos und die rechtsradikale Vox zusammen eine Mehrheit der Sitze erreichen könnten. Sánchez spielt daher im Wahlkampf mit der Angst vor den Rechtsextremisten, um enttäuschte Wähler der linken Mitte doch an die Urnen zu bewegen. Er wirft den Kandidaten von PP und Ciudadanos, ­Pablo Casado und Albert Rivera, vor, die Unterstützung der offen rassistischen und homophoben Vox in Kauf zu nehmen. In den Regionen Andalusien, Madrid und Murcia regieren PP und Ciudadanos bereits unter Duldung der Rechtsradikalen. In der einzigen Fernseh­debatte der Spitzenkandidaten im Wahlkampf am Montag (4.11.) hielten sich Casado und ­Rivera mit Kritik an Vox-Chef Santiago Abascal auch spürbar zurück.

Umgekehrt halten die konservativen Parteien Sánchez vor, dass er nur dank der Stimmen der Nationalisten aus Katalonien und dem Baskenland an die Macht gelangt war und auch zukünftig auf deren Abgeordnete angewiesen sein würde. Es ist die Achillesferse des Sozialisten. Auch wenn Sánchez Abmachungen mit den Nationalisten ausgeschlossen hat, stellt sich den Wählern die Frage, mit welcher Mehrheit er sonst regieren könnte.

Doch der 47-jährige Volkswirt aus Madrid hat sich in seiner noch jungen politischen Karriere bereits öfter als geschickter Taktierer erwiesen und Comebacks gefeiert. Als der konservative Premier Mariano Rajoy nach den Wahlen vom Dezember 2015 mangels Mehrheit auf eine Regierungsbildung verzichtet hatte, schmiedete Sánchez ein Abkommen mit den Ciudadanos, das jedoch letztlich an der Ablehnung der Linkspartei Podemos scheiterte. Nach der Wahlwiederholung vom Juni 2016 weigerte sich Sánchez, eine Minderheitsregierung von Rajoy zu stützen. Er wurde wegen dieser Haltung vom Establishment der PSOE gestürzt. Doch im Jahr darauf schlug er in einer Urabstimmung der Mitglieder überraschend die favorisierte Ministerpräsidentin Andalusiens, Susana Díaz, und kehrte an die Spitze der PSOE zurück. Ein Jahr später wusste Sánchez die Gunst der Stunde zu nutzen, als ein Gericht die PP als Nießbraucher eines Korruptionsskandals verurteilte, und stürzte Rajoy über ein Misstrauensvotum. Das ging nur dank der Stimmen der baskischen und katalanischen Nationalisten. Diese wiederum verweigerten der sozialistischen Minderheitsregierung im Februar die Unterstützung für den Haushalt, weshalb es zu Neuwahlen im April kam.

Das schwierige Verhältnis von Sánchez zu den Nationalisten hat infolge der Verschärfung des Konflikts in Katalonien den Wahlkampf bestimmt und ist die Hauptangriffslinie der drei Parteien rechts der Mitte. Nach dem harten Urteil des Obersten Gerichts gegen neun Separatistenführer kam es im Oktober zu friedlichen Massendemonstrationen, aber auch extrem gewalttätigen Auseinandersetzungen in Barcelona. Casado, Rivera und ­Abascal haben in unterschiedlichem Maße eine harte Hand in Katalonien gefordert, was bis zur Aufhebung der Autonomierechte reicht. Sánchez behielt jedoch kühlen Kopf und ­versicherte, dass die Entsendung zusätzlicher Polizeikräfte die Situation eher noch weiter aufheizen würde. Dennoch verschärfte der Sozialist seinen Ton gegenüber den Separatisten. So antwortete er nicht auf die Telefonanrufe des katalanischen Regierungschefs Quim Torra. In der TV-Debatte schlug er eine härtere ­Bestrafung für die Ausrichtung illegaler Volksbefragungen und mehr Kontrolle über den ­öffentlichen ­katalanischen Sender TV3 vor. Doch er gab sich auch versöhnlich, treu seiner bisherigen Linie. „Spanien ist eine Nation von Nationen, und Katalonien ist eine Nation", erklärte Sánchez. Darauf erwiderte PP-Chef Casado, dass „niemand Spanien regieren darf, der nicht an die spanische Nation glaubt".

Das Katalonien-Thema ist auch einer der Hemmschuhe im Verhältnis der PSOE zur Linkskoalition Unidas Podemos (UP). Sánchez hält den Linken vor, dass sie für ein legales ­Unabhängigkeitsreferendum sind und die verurteilten Separatistenführer als „politische Häftlinge" bezeichnen. Diese Differenzen dienten bereits im September als Argument, mit dem Sánchez eine Koalitionsregierung mit UP ­ausschloss. Beim ersten Versuch einer Regierungsbildung im Juli hatte Sánchez den ­Linken noch drei Ministerien und den Posten des stellvertretenden Regierungschefs angeboten, nachdem Podemos-Chef Pablo Iglesias selbst auf ein hohes Amt verzichtet hatte. ­Zwischen Sánchez und Iglesias ist das Tischtuch wohl zerschnitten. Der Sozialist hat bereits eine formelle Koalition mit den Linken nach dem 10. November abgelehnt.

Nur fragen sich die Wähler, wie und ob überhaupt eine stabile Mehrheit zustande kommen könnte. Einer oder zwei der Spitzenkandidaten werden wohl über ihren Schatten springen müssen und eventuell doch einer Wiederwahl Sánchez zustimmen, vorausgesetzt die PSOE wird deutlich stärkste Kraft. ­Sánchez vertraut auf zwei Trümpfe, um die PSOE-Wähler an die Urnen zu bewegen. Seine Verdienste in Sachen Gleichberechtigung sind offensichtlich. Spanien hat das einzige Kabinett der westlichen Welt, in dem mehr Frauen als Männer sitzen. Das andere Thema ist die ­Exhumierung von Francisco Franco vor zwei Wochen. Dank der Initiative von Sánchez wurden die Reste des Generalísimo aus der monumentalen Grabstätte im Tal der Gefallenen in ein privates Familienmausoleum verlegt. Die Opposition von links und rechts warf dem ­Sozialisten Wahlkampftaktik vor. Ob dieses historische Ereignis der PSOE hilft, wird sich zeigen. Sánchez hat mit der Exhumierung des Diktators jedoch schon einen Platz in den ­Geschichtsbüchern sicher.