In der kalten Januarluft zeichnet sich der Rauch über den vier Schloten deutlich am Himmel ab: Das Heizkraftwerk Cas Tresorer, gelegen im Gewerbegebiet Son Rossinyol an der Flughafen-Autobahn, läuft weithin sichtbar auf Hochtouren. Das liegt nicht an einem plötzlich gestiegenen Energiebedarf. Vielmehr ist zum Jahreswechsel das Kohlekraftwerk Es Murterar bei Alcúdia auf Druck der balearischen Linksregierung zur Hälfte vom Netz gegangen, die Betriebszeit der restlichen Anlage wurde streng reguliert.

Es gibt also eine neue Rezeptur für den Energiemix auf Mallorca. Die Zutaten lauten: So wenig Kohlekraft wie möglich, dafür mehr Gas- und Dampfkraftwerke, so viel Dieselturbinen wie nötig, ein bisschen Müllverbrennung, eine Prise Solarkraft, und beigemischt wird zudem ein immer größerer Anteil Energie vom spanischen Festland, der durch das Stromkabel am Meeresboden nach Mallorca fließt und von hier aus auf die Nachbarinseln Menorca, Ibiza und Formentera. Auch bei der Energieversorgung spielt die Insellage eine wichtige Rolle: Hier gibt es weder Atom-, noch Wasserkraft, große Solarparks und Windkraft sind weitgehend verpönt, und die Anbindung ans restliche spanische Stromnetz ist eine technische Herausforderung.

So wird gemixt

Der genaue Anteil der Zutaten für den balearischen Energiemix - die Inseln getrennt zu betrachten, ergibt heute keinen Sinn mehr - wird jeden Tag neu entschieden. Das passiert im Kontrollzentrum, das der spanische Netzbetreiber REE in den gläsernen Rundbauten neben Palmas Flughafen betreibt. Hier sitzt José Manuel de la Torre, Betriebsleiter für die Balearen, am Computer und wirft Tortendiagramme an die Wand. Für letzten Dienstag (21.1.) wurde ein Energiebedarf auf den Balearen von 15.808 Megawattstunden errechnet. Ein knappes Drittel liefert das Stromkabel vom Festland. Die kombinierten Gas-Dampf-Kraftwerke Cas Tresorer und Son Reus steuern mit 8.640 Megawattstunden den Löwenanteil bei. Weitere Quellen: Diesel- und Gasturbinen auf Ibiza und Menorca (1.472), die Müllverbrennungsanlage ebenfalls mit Namen Son Reus (654), Windkraft auf den Nachbarinseln (44), Solarenergie, soweit es die Wolkendecke des Sturmtiefs Gloria erlaubt (50) sowie ein bisschen Biogas und Biomasse (3). Die Kohle dagegen taucht in dem Diagramm nicht auf - null Megawattstunden.

Das Kraftwerk Es Murterar, das der Energiekonzern Endesa betreibt, steht heute still. Und nicht nur heute: Seit Jahresbeginn wurde es laut den Zahlen von REE noch nicht angeschmissen. „Die Stromproduktion auf den Inseln kommt ganz ohne Kohle aus", stellt Eduardo Maynau klar, Bereichsleiter des spanischen Netzbetreibers auf den Balearen. Egal ob gerade Hochsaison für Heizgeräte oder für Klimaanlagen ist - man habe alle Szenarien durchgerechnet und festgestellt, dass Es Murterar nicht mehr gebraucht werde. Selbst dann nicht, wenn der bisherige Tagesrekord auf den Balearen von 1.368 Megawatt überschritten werden sollte. In die Bresche springen stattdessen neben dem Stromkabel vom spanischen Festland vor allem die anderen Kraftwerke. Und diese arbeiteten damit noch lange nicht am Limit, versichert Maynau, es drohe kein Versorgungsengpass.

Bedarf, Klimaschutz, Kosten - nach diesen Kriterien wird die Energie jeden Tag neu gemischt. Immer zu hundert Prozent dabei sind die erneuerbaren Energien aus Sonne, Wind oder Biogas, sie liefern auf den Inseln nur einen kleinen und zudem schwankenden Beitrag, der vor allem vom Wetter abhängig ist. Wegen seiner geringen Kosten würde an der zweiten Stelle der Liste Es Murterar folgen - auch heute noch ist das Kohlekraftwerk Mallorcas billigste Energiequelle, erklärt de la Torre. Doch weil Es Murterar nun praktisch außen vor bleibt, folgen in der Mix-Rangliste direkt die Gas-Dampf-Kombikraftwerke, dahinter schließlich die Gas- und Dieselturbinen.

Über die Kriterien entscheidet die spanische Politik, und nicht REE. Das börsennotierte, aber staatlich kontrollierte Unternehmen ist auf Mallorca erst seit knapp zehn Jahren vertreten. Vorher betrieb das bis dahin isolierte Inselnetz Ex-Monopolist Endesa, der heute im Sinne der Entflechtung des Energiemarktes nur noch Strom produziert und vermarktet, aber nicht mehr transportiert.

Die Energie der Vergangenheit

Der Abschied von der Kohle in der Energieproduktion bedeutet einen Sprung in der Klimabilanz. Die Dreckschleuder Es Murterar war bislang für 29 Prozent aller Kohlendioxidemissionen auf den Inseln verantwortlich, bei der Stromerzeugung sogar für 65 Prozent. Mit der Teilabschaltung sinkt der Ausstoß balearenweit um zehn Prozent, in der Stromerzeugung sogar um 27 Prozent, hat die Landesregierung ausgerechnet. Der Ausgleich durch andere Kraftwerke ist dabei berücksichtigt. Auch wenn der Verkehr auf den Inseln eine mindestens ebenso große Schuld an den Emissionen hat - der Energiesektor ist in jedem Fall leichter politisch steuerbar. Per Knopfdruck sozusagen.

Für Es Murterar läuft nun eine Gnadenfrist. Bis August 2021 darf das Kraftwerk maximal 1.500 Stunden pro Jahr laufen - also dieses Jahr insgesamt zwei Monate, kommendes Jahr noch insgesamt rund 40 Tage. Bis zur endgültigen Schließung sind es dann nur noch 500 Stunden pro Jahr. Es könne gut sein, dass diese erlaubten Betriebszeiten gar nicht mehr in Anspruch genommen werden, so REE-Manager Maynau. Es Murterar sei praktisch schon abgeschaltet und werde nur hochgefahren, falls etwas Unvorhergesehenes passiere. Möglich sei dies innerhalb eines halben Tages.

Ein konkretes Datum für das endgültige Aus von Es Murterar gibt es nicht, auch wenn das Jahr 2025 angepeilt wird. Vorher aber muss das geplante zweite Stromkabel zwischen Festland und Mallorca verlegt sein. Es soll nicht nur den Anteil grüner Energie auf der Insel steigern, sondern auch die Versorgungssicherheit garantieren.

Eine höhere Stromrechnung wegen der Abschaltung von Es Murterar müssen die Insel-Haushalte jedenfalls nicht fürchten. Zwar wird die Energieerzeugung auf den Balearen etwas teurer. Doch wegen der Insellage liegen die Produktionskosten ohnehin höher als auf dem spanischen Festland, und die Unterschiede werden mit staatlichen Subventionen ausgeglichen. Der balearische Energiemarkt ist nach wie vor staatlich reguliert. Anders gesagt: Die Folgekosten der Abschaltung werden auf sämtliche Haushalte Spaniens umgelegt und fallen somit praktisch nicht ins Gewicht.

Übergangstechnologien

Die Hauptlast der Energieproduktion auf den Inseln liegt nun auf Gas-Dampf-Kombikraftwerken, von denen mit Cas Tresorer und Son Reus praktisch zwei baugleiche auf Mallorca existieren. Beide gehören dem Energiekonzern Endesa. Verfeuert wird das im Vergleich zur Kohle umweltfreundlichere Erdgas , das in einer Pipeline vom spanischen Festland nach Mallorca gelangt. Die Anlagen sind vergleichsweise neu, sie gingen rund um das Jahr 2005 ans Netz, Cas Tresorer wurde zudem 2010 erweitert. Neben den heute vier Gasturbinen verfügt die Anlage über zwei Dampfturbinen, die mit den heißen Abgasen der Gasturbinen betrieben werden. Der Wirkungsgrad steigt so von 33 auf rund 50 Prozent.

Nicht zu verwechseln ist das Kombikraftwerk Son Reus mit der gleichnamigen Recycling- und Müllverbrennungsanlage - diese wird, ebenfalls neben der Landstraße nach Sóller gelegen, vom Konzern Tirme unter Aufsicht des Inselrats betrieben. Energie in vergleichsweise geringem Umfang liefert Tirme auf dreierlei Weise, mit einer Biogas-Anlage, mit der Verbrennung von Restmüll sowie mit der Nutzung der Abwärme.

Endesa betreibt auch die kleineren Turbinenkraftwerke auf Menorca und Ibiza. Drei von fünf Dieselturbinen auf Ibiza wurden vergangenes Jahr vom Netz genommen, die restlichen zwei sollen nur im Notfall zum Einsatz kommen, falls die vier Gasturbinen des Kraftwerks nicht ausreichen. Möglich wurde die Abschaltung durch das Stromkabel zwischen Mallorca und Ibiza. Das Gasturbinenkraftwerk im menorquinischen Maó unterdessen ist über ein Unterseekabel über Alcúdia ebenfalls mit Mallorca verbunden. Ein wenig Energie steuern hier zudem der Solarpark Son Salomó und das Windkraftwerk Es Milà bei.

Die Energie der Zukunft

In Sachen erneuerbare Energien bekommen die Balearen aber weiterhin wenig auf die Reihe. Während der Netzbetreiber REE neue Rekorde mit grünem Strom auf dem spanischen Festland feiert - vergangene Woche stieg der Anteil am Energiemix auf 48,2 Prozent -, geht auf den Inseln trotz vollmundiger Ankündigungen bislang kaum etwas voran. Umso wichtiger ist das Unterseekabel. „Dank ihm fließt auch Strom aus Wind- und Wasserkraft auf die Insel", sagt Maynau. Und so kommt es, dass der mickrige Anteil der erneuerbaren Energien gemessen an der inseleigenen Produktion - weniger als drei Prozent - hinsichtlich des Energieverbrauchs auf den Balearen auf bis zu 20 Prozent steigen kann.

Dass auch Mallorca bald kräftiger die Sonne anzapft, damit rechnet man bei REE zumindest kurzfristig nicht. Bedeutende Projekte für Solarparks sind gescheitert oder hängen fest in den Genehmigungsprozessen von Gemeinden, Inselrat und Umweltministerium. Ein eigenes, balearisches Energie-Institut, das Projekte voranbringen soll, muss erst mal Fahrt aufnehmen. Und auch eine Steigerung der Eigenversorgung von Privathaushalten dürfte trotz verstärkter Förderungen und der Vereinfachung von Genehmigungen auf sich warten lassen. Erst langfristig könnten Anlagen auf Privatdächern dafür sorgen, dass der Energiebedarf im Netz sinke.

Eigentlich wollten die Balearen den Anteil der erneuerbaren Energie bis zum Jahr 2020 auf mindestens 20 Prozent steigern - das ist nun nur auf dem Umweg über das Stromkabel gelungen. Umso ehrgeiziger erscheint das Fernziel in 30 Jahren. Die Energieproduktion auf den Inseln soll nach dem Willen der Linksregierung bis 2050 vollständig dekarbonisiert werden. Die Schlote von Cas Tresorer dürften bis dahin noch kräftig rauchen.