Warda starb im Mai dieses Jahres in Sa Pobla, erstickt durch ihren Ex-Mann. Sie ist das bisher letzte dokumentierte Todesopfer häuslicher Gewalt auf Mallorca. Doch die Tragödien haben auf der Insel eine traurige Tradition. Eusèbia Rayó blättert durch ihre Unterlagen. Hunderte von Seiten hat die Historikerin vor sich liegen. Sie alle beschreiben Fälle, in denen Frauen durch männliche Familienmitglieder gequält, vergewaltigt, verletzt, getötet und unterdrückt wurden. Vor sieben Jahren begann die heute knapp 70-Jährige, in den Archiven nach Informationen zu suchen. Bis in das 13. Jahrhundert zurück verfolgte sie Fälle – solche, die zur Anzeige gebracht wurden oder in medizinischen Registern auftauchen. Und immer wieder stellt sie Parallelen zu heutigen Gewaltverbrechen an Frauen fest. Ihr Fazit: „Das Einzige, was sich in all der Zeit wirklich gebessert hat, ist der rechtliche Rahmen.“

Rayós dokumentarische Ausgrabungen sind vielschichtig. Da ist der Richter aus dem Inseldorf Santa Maria, der im 19. Jahrhundert einen Urteilsspruch über einen Mann fällte, der seine Frau schwer verletzt hatte. „Er muss versprechen, dass er sie nicht mehr schlägt, dafür muss sie sich fortan unterordnen“, heißt es dort. Und dann der Zusatz: „Davon ausgenommen ist die natürliche eheliche Züchtigung.“ „Wenn eine Frau geschlagen wurde, berief sich der Ehemann in der Regel auf diesen gesetzlichen Einschub“, so Rayó. Und auch, was Vergewaltigungen anging, waren die Frauen weitgehend schutzlos. „Im Mittelalter war die Vergewaltigung ein gängiges Mittel, um eine Frau, die einen Heiratsantrag ablehnte, doch in die Ehe zu zwingen. War sie einmal entjungfert, stand sie ohne Würde da, und oft gab ihr Vater, der das letzte Wort hatte, nach und stimmte der Hochzeit mit dem Täter zu.“

Eusèbia Rayó (*Palma, 1951) sucht seit sieben Jahren in den Insel-Archiven nach historischen Fällen häuslicher Gewalt. Miguel Ángel Ponce

Im Jahr 1468 habe es erstmals überhaupt eine rechtliche Basis gegeben, um solche Praktiken zu bestrafen. Doch selbst dann sei es alles andere als selbstverständlich gewesen, dass der Vergewaltiger tatsächlich eine gerechte Strafe bekam. „Frauen wurden bis in das 19. Jahrhundert hinein nicht als juristische Person gesehen. Alles hing davon ab, ob ihr Vater oder Ehemann einer Anzeige zustimmte.“

Rayó ist deshalb überrascht, überhaupt so viele Fälle in den Archiven gefunden zu haben. Obgleich natürlich auch die Dunkelziffer entsprechend hoch sein dürfte. „Traurig stimmt, dass es heute ja nicht anders ist. Die Frauen haben das Recht, Anzeige zu erstatten, aber viele machen davon nicht Gebrauch oder ziehen sie wieder zurück“, so Rayó. Stattdessen hielten junge Frauen die Situation mit ihrem Ehemann oder Ex-Partner oft aus – obwohl sie eigentlich nicht aushaltbar sei. „Das zeigt, wie tief die alten Glaubensmuster noch immer in unserer Gesellschaft verankert sind.“

Soviel Rayó sich bei ihren Forschungen mit der Vergangenheit beschäftigt – immer wieder stellt sie Verknüpfungen zur Gegenwart her. „Ich war schon Feministin, da kannte ich den Begriff noch gar nicht“, sagt die pensionierte Beamtin, die ihr Geschichtsstudium erst spät absolvierte. „In unserer Gesellschaft besteht noch immer sehr viel Verbesserungsbedarf, auch wenn das konservative oder rechtsextreme Strömungen heute leugnen.“

Eine große Rolle bei der Unterdrückung der Frau im Allgemeinen, aber auch bei tätlichen Angriffen gegen sie habe schon immer die katholische Kirche und ihr Rollenbild gespielt. „Viele Beichtväter nutzten es aus, dass sie durch ihre Informationen im Beichtstuhl etwas gegen die vermeintliche Sünderin in der Hand hatten, um sie zu missbrauchen.“

Zum Teil wurden Täter schon früher hart bestraft. Miguel Ángel Ponce.

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Rayó, die auch weiter in Archiven nach Fällen häuslicher Gewalt sucht und plant, ihre Ergebnisse in einem Buch zu veröffentlichen, hat ihre Forschungsbasis auf den Zeitrahmen 1200 bis 1950 eingeschränkt. Das Material aus den weit zurückliegenden Jahrhunderten sei allerdings oft nur schwer zu entziffern, in Latein oder antikem Katalanisch und mit unleserlichen Handschriften geschrieben. „Natürlich wäre die Suche nach Fällen aus den vergangenen Jahrzehnten einfacher.“ Doch erstens unterliegen die jüngeren Fälle oft komplizierten Datenschutzbestimmungen, und zweitens sind diese ohnehin bereits weitgehend statistisch ausgewertet. Weiter zurück zu schauen sei dagegen ein praktisch unberührtes Forschungsfeld, und helfe, den heutigen Status quo einzuordnen. „Selbst ich kann mich noch daran erinnern, dass in meiner Kindheit Frauen nicht ohne die Zustimmung ihres Mannes ein Bankkonto eröffnen durften. Und bis in die 1980er-Jahre gab es per Gesetz keinen Tatbestand der Vergewaltigung in der Ehe.“ All das klingt mittelalterlich – bis man weiß, wie viel schlimmer die Zustände im Mittelalter waren.

Und heute? Es gibt sie, die gezielten Verhaltensprotokolle für Beamte, die in Fällen von häuslicher Gewalt agieren, es gibt Frauenhäuser, mediale Aufmerksamkeit, feministische Kollektive und vor allem Gesetze, die Frauen – zumindest theoretisch – vor Misshandlungen schützen. „Wie wichtig das ist, zeigt die Vergangenheit“, so Rayó. Ausreichen tue all dies aber nicht. „Häusliche Gewalt geht weiter, in allen sozialen Schichten, genau wie vor Jahrhunderten“, so Rayó. Was noch immer fehle, sei eine flächendeckende emanzipatorische Erziehung von Kindsbeinen an. „Nur so können wir diese historisch geprägte Mentalität eines Tages durchbrechen.“