Das Mittelmeer genießt einen Ruf, dem es mit schöner Regelmäßigkeit nicht gerecht wird. Mallorca-Urlauber schießen Jahr für Jahr Hunderttausende Fotos von einem blauen oder türkisfarbenen Meer, das friedlich daliegt. Zu Unrecht wird es deshalb auch immer wieder als „Badewanne“ bezeichnet. „Der Eindruck ist trügerisch, das Mittelmeer kann mitunter ein ziemlich gefährliches Gewässer sein“, sagt Joan Pol, Leiter der Einsatzzentrale bei der Rettungsleitstelle 112 auf Mallorca. Eben dann, wenn es nicht ruhig und friedlich an die Strände plätschert. Dann kann es zu solchen Tragödien kommen, wie in der Nacht auf Donnerstag (2.9.), als zwei deutsche Schwestern beim nächtlichen Baden im aufgewühlten Meer ihr Leben verloren.

Besonders tückisch kann das Mittelmeer gerade zur jetzigen Jahreszeit sein. Wenn der Sommer in den Herbst übergeht, die Temperaturen an Land langsam sinken, die Wassertemperaturen aber noch so hoch wie im Sommer sind, dann bilden sich über dem Meer plötzlich Gewitterzellen oder heftige Windböen, die eine glatt daliegende Wasseroberfläche in Minutenschnelle in wütende Wellenberge verwandeln.

„Dann müssen wir manchmal innerhalb von einer Stunde die grüne Flagge durch die gelbe und dann die rote ersetzen“, berichtet Toni Carrió. Er ist der Koordinator der Rettungsschwimmer an der Playa de Muro und warnt vor allem vor Windböen, die vom Land her in Richtung Meer blasen. „Die treiben einen blitzschnell vom Ufer weg. Wir verbieten bei solchen Wetterlagen dann sofort Luftmatratzen oder sonstige aufblasbare Utensilien. Die Badegäste bekommen oft gar nicht mit, wie weit sie nach wenigen Minuten schon vom Ufer entfernt sind.“

Gefährlich kann es aber auch werden, wenn der Wind böig vom Meer her in Richtung Land weht. In diesem Fall werde man zwar prinzipiell an den Strand gespült, aber der Sog der Wellen beim Rückzug sei mitunter so stark, dass er Badende ins Meer hinausspült. „Dann kann man als Mensch gar nichts mehr machen“, sagt Carrió. „Man treibt wie ein Paket auf dem Wasser und wird mal da-, mal dorthin geschleudert.“

Geballte Energie des Meeres

Gerade die kleinen Buchten im Osten der Insel seien häufiger Schauplatz für derartig heikle Situationen, sagt Joan Pol. Die geballte Energie des Meeres entlade sich in Form der Wellen an kleinen Strandabschnitten, die häufig nicht breiter als 100 Meter sind. „An großen Stränden werden die Wellen viel stärker abgefedert, bis sie ans Ufer kommen, weil das Land flacher ins Meer abfällt. Aber eine kleine Bucht, die von Felsen umgeben ist – da gibt es nichts, was die Kraft der Wellen mindert“, sagt Pol. Es sei deshalb kein Zufall, dass sich an den Buchten an der Ost- und Südostküste immer wieder tödliche Unglücke ereignen. Wie im Fall der beiden ertrunkenen deutschen Frauen besteht in den Buchten in dieser Gegend zusätzlich die Gefahr, dass die Wellen die in Not geratenen Badenden mit voller Wucht gegen die Felsen schleudern, was zu schweren Verletzungen führen kann.

Eine weitere Gefahr sind Unterströmungen, mit denen man vor allem an der Playa de Muro einige Erfahrung hat. Sie bilden sich an Hindernissen auf dem Grund wie Sandbänken. Die Wellen werden ausgebremst, das Wasser bündelt sich und fließt kraftvoll – einem unsichtbaren Fluss gleich – ins offene Meer zurück. „Die Strömungen sind deshalb so tückisch, weil sie ohne jede Vorwarnung zu jeder Tageszeit auftreten können“, sagt Koordinator Carrió. Seit elf Jahren bereits führt er mit seinen Kollegen Buch über die Strömungen, um mehr über ihre Eigenschaften herauszufinden. Mehrere Menschen sind in den vergangenen Jahren dennoch auf Mallorca durch Unterströmungen gestorben.

"Aber es nutzt wenig, wenn diese Informationen so gut wie niemand liest." Joan Pol, Leiter der Rettungsleitstelle 112 über die kaum beachteten Infotafeln an den Stränden

„Wer in eine solche gerät, sollte sich vom Strand mit der Strömung wegtreiben lassen, bis diese nachlässt und dann ein Stück weit parallel zum Strand schwimmen“, rät Carrió. Die Strömungen sind mit etwa 20 bis 80 Meter nicht besonders breit. Einmal den Strudel hinter sich gelassen, kann man wieder Richtung Strand schwimmen. „Die meisten machen den Fehler und schwimmen gegen die Strömung an. Das kann aber kein noch so ausdauernder Schwimmer schaffen. Man verliert die Kraft und kann sich nicht mehr über Wasser halten.“ Die Unterströmungen könnten prinzipiell an jedem Strand auf Mallorca auftreten.

Geringerer Abstand zwischen den Wellen

Das Mittelmeer hat noch weitere Tücken, wie Joan Pol warnt. „In diesem recht kleinen Meer ist der Abstand zwischen den Wellen viel geringer als etwa im Atlantik. Und das führt dazu, dass Menschen, die sich in Schwierigkeiten befinden, häufiger von den schnell aufeinanderfolgenden Wellen unter Wasser gedrückt werden und so schneller das Bewusstsein verlieren als in einem Ozean.“

Um Einheimischen wie Urlaubern die Gefahren des Mittelmeeres vor Mallorca bewusst zu machen, stehen an allen bewachten Stränden Aufsteller mit den wichtigsten Informationen zu der jeweiligen Badestelle. „Aber es nutzt wenig, wenn diese Informationen so gut wie niemand liest“, bedauert Joan Pol. Man bemühe sich, die Urlauber auch direkt aufzuklären, in den Hotels funktioniere das gut. „Dort bekommen die Gäste beim Check-in häufig Informationen zu den örtlichen Stränden und den Regeln.“ Doch Urlauber, die in Ferienwohnungen oder bei Freunden unterkämen, erreiche man leider kaum.

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Und letztlich hilft alles Bemühen wenig, wenn die Vernunft der Badegäste zu wünschen übrig lässt. Und das sind dann gar nicht immer die Urlauber. Besonders empört hat Carrió jüngst ein Mallorquiner, der unter Alkoholeinfluss an der Playa de Muro badete und sich auch von den Hinweisen der Rettungsschwimmer, dass die rote Fahne wehe, nicht aufhalten ließ. Als der Rettungsschwimmer ihn aus dem Wasser holen wollte, griff der Betrunkene den Mann an. Die alarmierte Polizei wurde ebenfalls beschimpft und angegriffen.

Und auch an der Cala Mandia, wo nur Stunden zuvor zwei junge Frauen ihr Leben in den Wellen verloren, hatten die Rettungsschwimmer an jenem Donnerstag jede Menge zu tun, Badewillige trotz Absperrung am Strand bei hohem Wellengang und roter Flagge vom Baden abzuhalten. Er müsse ständig mit Urlaubern diskutieren, die nicht verstünden, warum er sie nicht ins Wasser lasse, beklagte einer der dortigen Rettungsschwimmer.