Das Klippenklettern ohne Absicherung, auch als Psicobloc oder Deep Water Soloing bekannt, gilt eigentlich als eine sichere Sportart. Geklettert wird ungesichert, aber das Meer dient als Fangnetz genutzt. Wer fällt, stürzt "nur" ins Wasser. Soweit die Theorie. In der Praxis komme es auf Mallorca im Schnitt alle zwei Jahre immer wieder zu schweren Unfällen, wie Toni Sosa, Chef von Mallorcas Feuerwehrbrigaden schätzt. Nun kamen am Dienstag (14.9.) zwei US-Amerikaner beim Klippenklettern an der Ostküste von Mallorca ums Leben. Wie konnte das passieren? Erklärungsversuche von Eneko Pou: Der Baske mit Wohnsitz auf Mallorca zählt gemeinsam mit seinem Bruder Iker zu den weltbesten Kletterern und kennt die Klippen der Insel, inklusive der Unfallstelle, in- und auswendig.

Können Sie sich erklären, wie es zu der Tragödie kam?

Es gab offenbar keine Zeugen und was wirklich passiert ist, weiß ich natürlich auch nicht. Offenbar kannten die beiden die Gegend nicht und wussten auch nicht, wo genau die Kletterstelle ist. Fotos werden meist vom Meer aus geschossen. Von Land aus sind diese Stellen dann aber nicht leicht zu finden. Die beiden kamen am Morgen mit dem Flieger von Barcelona an und sollten am Abend zurückkehren. Wahrscheinlich hatten sie recht wenig Erfahrung. Völlige Anfänger waren es aber auch nicht, da sie die für Kletterer typischen Schuhe anhatten und ein Magnesiumsäckchen dabei hatten. Ich vermute, dass sie an einem Punkt absteigen wollten, wo im Endeffekt gar keine Kletterstelle ist. Dabei sind sie gestürzt. Vielleicht sind sie aufeinandergefallen oder ein Felsbrocken hat sich gelöst. Es ist ein sehr merkwürdiger Unfall. Ähnliche Fälle im Psicobloc hatten wir bislang auf Mallorca nicht.

Erste Vermutungen sind, dass die Männer möglicherweise ertrunken sind.

Das Meer soll aber ruhig gewesen sein. Es gab wenig Todesfälle beim Psicobloc in den vergangenen Jahren. Bei schlimmen Unfällen ist meist das Meer aufgewühlt. Die Kletterer schaffen es nicht an Land oder werden von den Wellen gegen die Felsen geschleudert und ertrinken dann.

Zu dem Unglück kam es an der Cova des Cossi, einem Klippendurchbruch bei Felanitx. Ist das eine schwierige Kletterstelle?

Die "Höhle" ist etwa 22 Meter hoch. Es sieht nicht danach aus, dass die Männer beim Klettern abgestürzt sind. Die Körper wurden bei dem Felsdurchbruch gefunden, die eigentliche Kletterstelle ist aber 30 Meter rechts davon, vom Meer aus gesehen. Ich war mit meinen Leuten in den vergangenen Tagen ebenfalls dort klettern. Es war Zufall, dass wir dabei nicht auf die US-Amerikaner getroffen sind.

Gibt es Felsen im Wasser, auf die man stürzen kann?

Nein, theoretisch ist das Meer hier tief genug. Das gibt mir zu denken. Denn selbst wenn die Männer aus 22 Metern abgestürzt sind, hätten sie nicht derartige Verletzungen davongetragen. Theoretisch gibt es dort auch kaum Probleme, um vom Wasser wieder an Land zu kommen. Die beiden Kletterer waren in der Szene nicht bekannt und wir wissen nicht, welches Niveau sie hatten. Heutzutage wird das Psicobloc derartig schnell über die sozialen Netzwerke und Videos verbreitet, dass immer mehr Anfänger sich ausprobieren, die gar nicht wirklich vorbereitet sind. Ob das in diesem Fall zutrifft, weiß ich aber nicht.

Zählen zu den weltbesten Kletterern: Interviewpartner Iker (li.) und sein Bruder Eneko Pou. Privat

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Ist es ein Problem, dass es so viele prominente Fürsprecher für das Psicobloc auf Mallorca gibt? Chris Sharma, der als der beste Psicobloc-Kletterer gilt, hat zuletzt die Hollywood-Stars Jared Leto und Jason Momoa beim Klettern auf der Insel begleitet.

Schwer zu sagen. Die Leute sehen es und in den Videos sieht es toll aus. Natürlich gibt es dadurch einen Nachahmungseffekt, und sehr viele Menschen kommen zum Klettern auf die Insel. Im Vergleich zu der Menge an Kletterern ist die Anzahl an Unfällen aber gering. Dennoch ist es wichtig, die Leute darauf aufmerksam zu machen und ihnen einzubläuen, sich verantwortungsvoll zu verhalten.

Warum eigentlich eignet sich Mallorca so gut für das Klippenklettern?

Das Klima hilft - es scheint oft die Sonne. Und es gibt eine schier unglaubliche Anzahl an geeigneten Klippen. Sie sind in der Regel zwischen 15 und 25 Metern hoch, was die ideale Höhe für Psicobloc ist. Wobei es ab 20 Metern anfängt, gefährlich zu werden. Das Meer ist im September und Oktober noch warm, was die beste Zeit zum Klettern über dem Wasser ist. Zudem ist der rötlich-orangene Kalkstein perfekt zum Klettern. Das gibt es nicht oft auf der Welt. Er ist sehr robust, bricht kaum ab und ist selten schmutzig. Es ist ein Paradies. Das Klettern ohne Sicherungsleine gibt ein Gefühl der Freiheit. Es macht einfach nur Spaß.

Sie haben die Höhe angesprochen. Ist der Sturz aufs Meer nicht gefährlich?

Als wirklich gefährlich würde ich es nicht bezeichnen. Wenn man ungünstig auf der Wasseroberfläche aufschlägt, kann man Prellungen davontragen. Im schlimmsten Fall kann eine Rippe oder ein Wirbel brechen. Das ist schon vorgekommen.

Laut der Feuerwehr kommt es etwa alle zwei Jahre zu schweren Unfällen.

Das kann stimmen. Vor zwei oder drei Jahren ist ein Kletterer am Dic de l'Oest in Palma, einem Anfängerrevier, gestorben. In dem Fall war es aber kein Kletterer, sondern ein Felsenspringer. Er ist wohl aus 14 Metern schlecht auf dem Wasser aufgekommen. Wenn man aus dieser Höhe mit dem Gesicht auf dem Wasser aufschlägt, kann es gut sein, dass man bewusstlos wird. Das Meer ist an der Stelle sehr tief, etwa acht bis zehn Meter.

Was raten Sie Anfängern, damit es nicht zu solchen Unfällen kommt?

Immer in der Gruppe zu klettern, damit eine Person eingreifen kann, wenn etwas passiert. Natürlich sollte man gut schwimmen können und die Schwierigkeit der Kletterroute nicht unterschätzen. Manchmal ist auch der Abstieg das Problem, um erst einmal zu der Kletterstelle zu kommen.

Was ist die beste Kletterstelle für Anfänger?

Neben dem Dic de l'Oest ist da vor allem Santa Ponça zu nennen. Die Kletterstellen am Cruz del Descubrimiento habe ich mit meinen Freunden entdeckt.