Es ist Montag, der 27. September. Am Strand von Cap Djenet im Norden von Algerien, 169 Seemeilen von Mallorca entfernt, kommen gegen 10 Uhr morgens 17 junge Algerier zusammen, um das Boot zu erreichen, das schon auf sie wartet. Das Meer ist ruhig und der Himmel bewölkt. Die jungen Männer heißen Betebiche, Belaada, Karim, Hellis, Samir und Islam, unter anderem. Manche kennen sich schon und rufen sich gegen den Wind Grußworte zu. Sie haben Sommerkleidung an, keine Jacken, geschweige denn wasserfeste Kleidung oder Neoprenanzüge, als wäre ihre Überfahrt nur ein kurzer Ausflug. Das Boot ist vielleicht knapp acht Meter lang.

Es ist ein kleines Motorboot mit Außenbordmotor, eine Jolle mit blauer Schale und ohne weitere Extras. Es ist lediglich für Touren direkt an der Küste und bei ruhigem Seegang gedacht. Aber die jungen Männer wollen der Armut und Aussichtslosigkeit entfliehen, sie beeilen sich an Bord zu kommen. Auch, um nicht der Küstenwache in die Hände zu fallen.

Alle Abfahrten werden gefilmt

Während die Männer im Sand umherlaufen, filmt eine weitere Person das Geschehen. Sie geht nicht an Bord. Wie eine algerische Sozialarbeiterin berichtet, die sich von Spanien aus um die Migranten kümmert und sie mit ihren Familien in Kontakt bringt, handelt es sich dabei um eine Vorsichtsmaßnahme, um die Reisenden im Unglücksfall schneller identifizieren zu können. Inzwischen werde bei jeder Abfahrt gefilmt, so die Sozialarbeiterin.

Ebenfalls um einfacher identifiziert werden zu können, dürfen die Migranten, einmal an Bord, ihre Kleidung nicht mehr wechseln. Ohnehin sollen sie möglichst auffällige Kleidungsstücke anziehen, an die sich ihre Familie erinnern kann. Vielleicht trägt deshalb an diesem Tag am Strand von Cap Djenet einer der jungen Männer ein rot-schwarzes Trikot des AC Mailand, ein anderer ein gelbes T-Shirt mit der riesigen Aufschrift "Warrior" auf dem Rücken.

Der Plan: maximal 48 Stunden auf dem Meer

An diesem 27. September hat das Meer eine fast stahlblaue Farbe, und liegt völlig ruhig da. Der Tag scheint günstig für die Überfahrt zu sein. Der Plan ist, ohne Pausen nur in Richtung Norden zu fahren, bis die Küste erreicht wird. 48 Stunden Überfahrt maximal. Wenn alles gutgeht, sind dann die Küsten von Ibiza, Mallorca oder Cabrera zu sehen.

Dass einiges im Argen liegt, wird bereits bei der Abfahrt klar. Eigentlich ist das Boot nur für sechs oder sieben Menschen ausgelegt, und nicht für 17 wie an diesem Tag. Der Kahn schwankt bereits bedenklich, und der Bootsführer muss ihn gut festhalten, um bereits am Strand ein Umkippen zu verhindern. Als alle Platz genommen haben, hat die Jolle deutlich mehr Tiefgang als sie haben dürfte. An Bord ist so wenig Platz, dass jeder Positionswechsel eines Insassen zum Kentern führen könnte, selbst bei ruhigem Seegang.

Schiffbruch vor Cabrera

In dieser Überfahrt verläuft nichts wie geplant. Die Fahrt dauert acht lange Tage, bis zum 4. Oktober, als das Boot sieben Seemeilen vor Cabrera Schiffbruch erleidet. Die Insassen werden im Meer von einer Yacht entdeckt, deren Besatzung die Seenotrettung verständigt. Die Bilanz bisher: 14 Gerettete und drei Vermisste, von denen möglicherweise zwei die Toten sind, die am Mittwochnachmittag vor Cabrera und am Donnerstagfrüh vor Cap Blanc im Meer treibend entdeckt wurden.

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Noch ist nicht viel bekannt über die Überfahrt an sich und die Schwierigkeiten, mit denen die 17 Algerier während der langen Reise zurechtkommen mussten. Ab Sonntag (3.10.), als das Boot eigentlich längst die Küste erreicht haben sollte, verschlechterte sich das Wetter. In der Nacht auf Montag wurde die Fahrt endgültig zum Höllentrip für ein winziges, überbelegtes Boot. Eine Sturmfront fegte über die Balearen hinweg, die Wellen erreichten eine Höhe von fünf Metern, der Nordwind Geschwindigkeiten von 80 km/h.

Ein weiteres Boot stach am Tag darauf im algerischen Figier mit demselben Ziel in See: die Küste der Balearen. Bis heute ist nichts über den Verbleib des Bootes und seiner Insassen bekannt. /jk